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Laumann: Gesundheitskompromiss ist ein großer Schritt

Karl-Josef Laumann (CDU), Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales in Nordrhein-Westfalen, betrachtet den Gesundheitskompromiss als einen großen Schritt, um mehr Transparenz und Wettbewerb einzuführen. Entscheidend sei nun, wie das Gesetz ausgestaltet würde und wie dann die Mechanismen am Markt funktionierten.

08.07.2006
    Heckmann: Mit einem Paukenschlag verabschiedet sich die große Koalition derzeit in die Sommerferien. Das Echo auf den erzielten Kompromiss bei der Gesundheitsreform kann nur als verheerend bezeichnet werden. Und als sei das nicht genug schloss sich dann auch noch ein handfester Koalitionskrach an. Die SPD warf Kanzlerin Merkel Wortbruch vor, die Union keilte entsprechend zurück. Wenn man bei der Gesundheit keine vernünftige Lösung hinbekomme, habe es die große Koalition nicht verdient zu regieren, das hatte SPD-Fraktionschef Peter Struck einmal gesagt. Die meisten Beobachter sind sich nun einig, sie habe es nicht, zumindest habe sie eine große Chance vertan. Am Telefon ist jetzt der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales in Nordrhein-Westfalen, Karl-Josef Laumann, CDU. Herr Laumann, wenn man sich den Gesundheitskompromiss anschaut, wird man das Gefühl nicht los, die große Koalition in Berlin sei eine Verhinderungskoalition, in der es nur darum geht, die Forderungen der Gegenseite zu durchkreuzen, oder?

    Laumann: Also ich glaube, dass der Kompromiss der Gesundheitsreform auf jeden Fall, was die Strukturen des Gesundheitswesens angeht, ein großer Schritt ist und eine größere Reform wie bisherige Gesundheitsreformen, denn es wird natürlich schon durch diese Reform im Gesundheitsmarkt wesentlich mehr Wettbewerb eingeführt, es wird wesentlich mehr Transparenz eingeführt, und das sind ja Dinge, die bislang im Gesundheitssystem sehr gemangelt haben. Ich glaube auch, dass die Debatte jetzt in der Koalition über die Frage Steuern ging. Man muss ganz eindeutig sehen, dass es aufgrund der Mehrwertsteuererhöhung nicht jetzt der richtige Zeitpunkt ist, eine neue Steuer zu kreieren für das Gesundheitswesen.

    Heckmann: Aber selbst der Ministerpräsident von Thüringen Dieter Althaus sagt jetzt, der nun erzielte Kompromiss, die jetzige Reform, hält vielleicht zwei Jahre oder so.

    Laumann: Also ich glaube, dass die Frage ist, wie man jetzt genau das Gesetz ausgestaltet. Wir haben Eckpunkte, und diese Eckpunkte machen schon sehr deutlich, dass es hier eben einen größeren Wettbewerb gibt, dass wir viel unterschiedlichere und buntere Krankenkassenverträge kriegen. Die Krankenkassen kriegen natürlich im Gesundheitswesen durch diese Reform einen erheblichen Gestaltungsrahmen, indem sie auch Einzelverträge machen können mit Krankenhäusern, mit Anbietergemeinschaft, dass sie direkt mit der Pharmaindustrie verhandeln können. Also ich glaube schon, dass es auch ein bisschen jetzt in Ruhe abzuwarten gilt, wie denn diese Mechanismen auf dem Markt funktionieren. Viele haben ja immer gesagt, dass gerade deswegen wir die Kostensituation in den großen Blöcken Krankenhaus und Arzneimittel nicht in den Griff bekommen, weil wir diesen Wettbewerb nicht haben. Dieser Wettbewerb wird jetzt hergestellt, wenn das Gesetz jetzt auch vernünftig mit Leben erfüllt wird.

    Heckmann: Sie sprechen von Wettbewerb. Auf der anderen Seite ist die große Koalition angetreten, die Lohnnebenkosten zu senken beziehungsweise wenigstens stabil zu halten. Die große Koalition hat genau das Gegenteil getan. Wundert Sie dann das verheerende Echo?

    Laumann: Nein, dieses Echo wundert mich nicht. Der Fehler ist schon ganz am Anfang gemacht worden, indem man in der Koalitionsvereinbarung vereinbart hat, dass man die Tabaksteuer – immerhin 3,5 Milliarden Euro – aus dem Gesundheitssystem rausnimmt. Wir hätten weder eine Beitragssteigerung bekommen noch neues Steuergeld gebraucht, wenn man diesen Schritt nicht gemacht hätte, denn das Defizit von sieben Milliarden zur Zeit in der gesetzlichen Krankenkasse, wir haben ja Einsparungen hingekriegt, aber den Anteil der Tabaksteuer auch noch dann im System einzusparen, das ist dann irgendwie auch nicht möglich, und ich finde, dass jetzt die Grundsatzentscheidung zu sagen, wir wollen über die Jahre die Kinder über Steuern finanzieren, auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung ist.

    Heckmann: Kann es sein, dass bei dem erzielten Kompromiss es sich um ein Modell handelt, das so gestaltet ist, damit es nach den nächsten Bundestagswahlen entsprechend dem Unions oder dem SPD-Modell wieder weiter umgebaut werden kann?

    Laumann: Ja gut, also man kann sicherlich dieses Modell mit dem Fonds in die eine oder andere Richtung weiterentwickeln. Allerdings glaube ich als jemand, der nun auch schon ein paar Jahre in der Politik ist, wenn der Fonds richtig ausgestaltet wird, wenn wir den Risikostrukturausgleich in diesen Fonds transparent reinbringen, wenn die Krankenkassen auch die Möglichkeiten mit der kleinen Prämie, mit unterschiedlichen Verträgen, ich sage das noch einmal, auch mit Selbstbehalt, was die ja jetzt alles machen können, wenn das Gesetz mal in Kraft ist, ausfüllen, dann kann es auch sein, dass dieses System viel länger halten wird, als der eine oder andere denkt, denn man muss ja auch eins mal ganz objektiv sehen, die Freude und Begeisterung für die Bürgerversicherung der SPD hält sich auch in Grenzen, und eine reine solidarische Gesundheitsprämie, da hält sich auch die Begeisterung in den Grenzen. Vielleicht ist dieses auch eine Konstruktion, die in der Mitte einer solchen Überlegung liegt, die vielleicht eher konsensfähiger ist, und mir kommt es vor allem darauf an, dass wir die Steuerungswirkung im Gesundheitswesen hinkriegen.

    Heckmann: Das sieht die Bevölkerung allerdings etwas anders, also nur ein Viertel der Wähler ist laut ARD-Deutschlandtrend zufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung, das entspricht dem Niveau von Rot-Grün am Ende ihrer Amtszeit, und auch die Umfragewerte für Union und Kanzlerin Merkel sind im Keller. Ist das Ergebnis der Profilierungsversuche der Unionsministerpräsidenten, die Angela Merkel unter Druck setzen?

    Laumann: Also ich glaube, dass es wichtig war – und das war ja auch die Position der nordrhein-westfälischen Landesregierung -, dass es zum jetzigen Zeitpunkt keine weitere Steuererhöhung, selbst nicht für das Gesundheitssystem für richtig halten. Ich glaube, dass diese Position richtig ist. Ich glaube, dass das Grundproblem der Koalition in Berlin ist, hier müssen zwei Parteien zusammen regieren, die eigentlich nicht zusammen regieren wollen, und das führt natürlich immer wieder zu Reibungsverlusten, und ich finde, das macht eigentlich sehr deutlich, dass die große Koalition eben nicht das ist, was man will, was man auch nicht sehr lange will, glaube ich.

    Also es ist einfach die Fakt des Notwendigen, es ist eine andere Mehrheitsbildung im Deutschen Bundestag zur Zeit nicht möglich, und ich finde, man sollte die Probleme im Land auch in dieser Koalition lösen, und wenn man jetzt sieht, dass in dieser Zeit, wo sie jetzt regiert, das ist ja nun auch erst ein gutes halbes Jahr, ist natürlich schon vieles auf den Weg gebracht worden, und es gibt auch Unterschiede zwischen der Wahrnehmung und das, was jetzt wirklich real umgesetzt wird.

    Heckmann: Das heißt, das würde bei Ihnen nicht auf negative Reaktionen stoßen, wenn die Koalition vor den vier Jahren Amtszeit ihr Ende findet?

    Laumann: Das habe ich damit nicht gesagt. Ich sage nur, eine große Koalition ist nie das, was sich die CDU gewünscht hat, und mit Sicherheit ist es auch das nicht, was sich die SPD gewünscht hat, und deswegen sind natürlich in einer solchen Koalition die Bruchstellen und natürlich auch die Reibereien größer als etwa in einer Koalition, wie wir sie in Nordrhein-Westfalen haben aus CDU und FDP, die beide Parteien nun auch gewollt haben.

    Heckmann: Kommen wir nun mal zur Machtkonstellation innerhalb der großen Koalition. Die Föderalismusreform, die gestern vom Bundestag verabschiedet worden ist, sollte dazu dienen, Zuständigkeiten zu entzerren, aber das Hineinregieren durch den Ministerpräsidenten über den Koalitionsausschuss oder auch das Präsidium der CDU ist ja weiterhin möglich. Finanzminister Steinbrück hat deswegen gesagt, dass das Verhältnis zwischen Regierung, Parlament und Ländern auf die Tagesordnung gesetzt werden sollte. Hat er Recht?

    Laumann: Also man kann über alles reden, aber man muss einfach sehen, wir haben einen Föderalismus in Deutschland. Es gilt auch sicherlich aus Sicht der Länder darum, hier die Interessen von Ländern zu wahren. Wir sind mit diesem Föderalismus in unserer Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg alles in allem sehr gut gefahren, weil sich das Land ja nicht schlecht entwickelt, sondern Föderalismus hat vor allem dafür gesorgt, dass es sich auch in den Regionen gut entwickelt hat. Also da möchte ich mal nicht daran rütteln lassen, und es gibt natürlich in diesem Zusammenhang immer natürliche Interessensgegensätze zwischen einem Bundespolitiker und einem Landespolitiker, das ist der erste Punkt, und der zweite Punkt ist natürlich, dass – Sie sprachen das Parteipräsidium der CDU an – das ich für was ganz normales halte, dass wir in diesem wichtigsten Führungsgremium der CDU natürlich auch über die politischen Fragen sprechen, die es gilt jetzt und auch in einer mittelfristigen Perspektive umzusetzen, und dass natürlich Ministerpräsidenten auch auf Grund ihrer Ämter in der CDU da eine große Rolle spielen, das ist mehr als normal.

    Heckmann: Ein Ergebnis der Föderalismusreform ist ja auch, dass der Ladenschluss jetzt nun komplett in Länderhand ist. Nordrhein-Westfalen plant ebenso wie andere Bundesländer, die Öffnungszeiten an Werktagen freizugeben. Was sagen denn dazu die Arbeitnehmer, die in der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft organisiert sind, deren Vorsitzender Sie ja sind. Haben Sie da schon Protestbriefe bekommen?

    Laumann: Ja gut, also da kriegt man immer mal wieder Protestbriefe von Beschäftigten im Einzelhandel, aber im Grunde ist die Geschichte, dass wir zu liberaleren Öffnungszeiten kommen und dass wir hier nicht mehr so viel vorschreiben, die ist irgendwo in der politischen Diskussion, wie man so sagt, gegessen und abgehakt. Wir sehen auch, wenn wir die Ladenöffnungszeiten jetzt weiter liberalisieren, wir haben es ja während der Weltmeisterschaft auch relativ liberale Öffnungszeiten, dass das alles nur sehr begrenzte Auswirkungen hat. Ich finde, hier ist jetzt viel Emotion aus der Diskussion heraus, und der Staat muss eben nicht den Geschäftsleuten vorschreiben, wann sie ihr Geschäft öffnen. Was aber klar in Nordrhein-Westfalen ist, es wird bei einer sehr restriktiven Handhabung für den Sonntag bleiben.

    Heckmann: Die Erfahrungen, die gesammelt wurden jetzt während der Fußballweltmeisterschaft, waren nicht unbedingt ermutigend. Offenbar wollen die Menschen nachts nicht so in der Masse jedenfalls einkaufen. Der hessische Einzelhandelsverband hat auch angekündigt, ein Bündnis für Ladenschluss einzurichten, da vor allem kleine Unternehmen unter der neuen Regelung leiden würden. Verfolgt die Union da möglicherweise ideologische Ziele?

    Laumann: Nein, wir verfolgen keine ideologischen Ziele, sondern wir haben eine klare Linie, dass wir sagen, der Staat muss in diesem Land nicht alles regulieren, und der Ladenschluss ist nun mal ein Bereich, wo sehr deutlich wird, wo der Staat sich schlicht und ergreifend als Regulierungsinstanz zurückziehen kann, und es ist so, die Menschen haben bestimmte Lebensrhythmen, und deswegen wird ein liberaler Ladenschluss auch nicht dazu führen, dass die Kaufhäuser nachts aufhaben, aber es wird dazu führen, dass Sie auch kleine, bestimmte Nischen nutzen können zu bestimmten Uhrzeiten, wo Sie es heute nicht so gut können. Ich finde einfach, man sollte einfach mal sagen wie in vielen anderen Ländern auch, in der Woche haben wir als Staat kein Interesse, Leuten vorzuschreiben, wie sie das machen, am Sonntag haben wir ein Interesse, weil wir zum Beispiel wollen, dass die Sonntagskultur in Deutschland erhalten bleibt.

    Heckmann: Sie sehen nicht die Gefahr, dass immer mehr Menschen in die Schichtarbeit gehen müssen, dass die Bindungen in Familien und Partnerschaften abnehmen. Verträgt sich das mit Ihrem christlichen Menschenbild?

    Laumann: Also ich glaube, dass auch unterschiedliche Arbeitszeiten – und da haben wir nun in den letzten 20 Jahren eine große Veränderung in unserer Gesellschaft erlebt - auch unterschiedliche Möglichkeiten gerade für Familien eröffnen, gerade auch wo es ja häufig die Lebensrealität vor allem der jüngeren Menschen und der Menschen im mittleren Alter ist, dass sie in einer Ehe oder in einer Partnerschaft beide berufstätig sind, dass auch unterschiedliche Arbeitszeitmodelle, eine Flexibilität, die sie da haben, natürlich auch bestimmte Möglichkeiten für die Familien eröffnen als, sagen wir mal, vor 30 Jahren die rein uniformierte Arbeitszeit, man fing morgens um 7:00 Uhr an und war nachmittags um 5:00 Uhr wieder zu Hause, sondern diese Unterschiedlichkeit bietet ja auch tolle Möglichkeiten, auch etwa Haushalt und Hausarbeit mit Arbeitszeit zusammenzubringen. Also das muss man ja nicht nur von der schlechten Seite sehen, und noch einmal: Wir haben heute schon viele Schichtmodelle in den Kaufhäusern, im Einzelhandel. Ich glaube im Übrigen, dass die Liberalisierung, die angestrebt wird, die Kaufhäuser können jetzt ja auch bis 20:00 Uhr aufhaben, dass sich durch diese Liberalisierung allzu viel in der Woche gar nicht verändern wird. Ich glaube, dass die Veränderungen eher an den Samstagen liegen, obwohl da ja auch heute die Möglichkeiten bis 20:00 Uhr sind. Also ich glaube einfach nicht, dass dieses noch die große Revolution ist, aber es ist eben ein Bereich, finde ich, wo der Staat auch beweisen kann, dass er es nicht mehr regeln muss.

    Heckmann: Vielen Dank für das Gespräch.