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Leben im jüngsten Staat Europas

Zwei Jahre nach Kosovos Unabhängigkeit sei die Zahl der ethnischen Konflikte stark zurückgegangen, sagen Einheimische. In Pristina greift geschäftiges Treiben um sich. Dennoch: Die Wirtschaft ist noch längst nicht auf einem grünen Zweig.

Von Gerwald Herter | 17.02.2010
    Auch wenn Fastfood-Ketten wie McDonalds oder Burger King hier noch keine Restaurants eröffnet haben - auf gutes Essen, Kaffee Latte oder Cappuccino braucht in Pristina schon längst niemand mehr zu verzichten. "Strip-Depot" heißt diese Kaffeebar in der Innenstadt, weil überall an den Wänden Comicstrips hängen.

    Valan Djelili arbeitet hier. Er ist 27 Jahre alt und Geschäftsführer. Dass inzwischen auch Serben zu den Gästen gehören, ist für ihn völlig normal. Probleme, so sagt er, habe es deshalb noch nie gegeben:

    "Natürlich haben wir viele Gäste aus Belgrad. Vor zwei Jahren war sogar ein serbisches Mädchen hier, um mit uns hier im Café die Unabhängigkeit der Republik Kosovo zu feiern!"

    1999, direkt nach dem Krieg, wäre das kaum möglich gewesen. Für viele Menschen in Pristina, viele Gäste dieses Cafés und auch für Valan Djelili sind andere Dinge inzwischen wichtiger, als die so lange ersehnte Unabhängigkeit:

    "Vor dem Krieg haben wir für die Unabhängigkeit unseres Landes gekämpft. Jetzt müssen wir hart arbeiten, damit Kosovo vorankommt."

    In Pristina wird tatsächlich hart gearbeitet. Vier Hotels entstehen derzeit in der Hauptstadt der Republik. Eine Autobahn soll Serbien bald mit Albanien verbinden und durch Kosovo führen. Bald werden die alten jugoslawischen Gebäude wohl wie Denkmale wirken. Allerdings gibt es auch Kosovo-Albaner, die sich gerne an Jugoslawien und Tito erinnern. Fatmir, ein Regisseur, der beim Fernsehen in Pristina arbeitet, wird bald in Rente gehen, und das ist für ihn keine schöne Aussicht. Wie viel Geld er dann monatlich erhalten wird, will er uns gar nicht erst sagen:

    "Ich empfinde kein Heimweh nach Jugoslawien, aber die derzeitige Lage ist sehr schlecht. Unsere Regierung hier im Kosovo ist nicht gut."

    Allerdings ist es seit der Unabhängigkeit vor zwei Jahren auch zu Fortschritten gekommen. Um die Menschenrechte kümmert sich inzwischen ein Kosovare und kein Ausländer mehr. Sami Kurteshi hatte in den 80er-Jahren lange in serbischen Gefängnissen verbracht. Er ging dann in die Schweiz und ist vor einigen Jahren in seine Heimat zurückgekehrt. Der Ombudsmann für Menschenrechte beklagt zwar, dass es für Albaner immer noch gefährlich sei, in den serbischen Norden des Kosovo zu reisen und dass Serben umgekehrt mancherorts im Süden Schwierigkeiten bekommen können. Dennoch sagt er, die Zahl der ethnischen Konflikte sei stark zurückgegangen. Sie sei so gering wie seit 20 Jahren nicht mehr. Allerdings gibt er zu, dass es solche Konflikte immer noch gibt:

    "Die Traumas sind noch hier, wir haben noch auf der Straße Menschen, die ihre Nächsten verloren haben. Man kann nie sagen, wie sie reagieren werden in einer bestimmten Zeit, Situation."

    Obwohl in Pristina immer mehr Geschäfte eröffnet werden, verkaufen einige Buchhändler ihre Ware noch immer auf der Straße. Dazu gehören auch Werke, die aus dem Deutschen übersetzt worden sind: Bücher von Max Frisch, Hermann Hesse, Erich Fromm oder Jürgen Habermas liegen an diesem Stand in der Innenstadt aus. Der 22-jährige Buchhändler erzählt uns, dass er gute Geschäfte macht. Noch studiert er Wirtschaft, bald wird er sein Diplom machen und dann will er im Verlagsgeschäft bleiben. Die Bedingungen dafür könnten in der Republik Kosovo allerdings besser sein, sagt er, auch wenn die Menschen über die Unabhängigkeit glücklich seien.

    Die Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Die Politik macht er dafür verantwortlich. Der 28-jährige Dschan Djili ist derselben Meinung. Natürlich habe die Regierung auch vieles erreicht, sagt er. Nur was? Das ist schnell gesagt:

    Unabhängigkeit - nur die Unabhängigkeit. Das muss wohl heißen, dass die Regierung in den letzten zwei Jahren gar nichts erreicht hat.