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Leben im Lehm

Lehm - ein Gemisch aus Ton, Feinsand und Sand - ist einer der ältesten Baustoffe in den heiß-trockenen und gemäßigten Klimazonen der Erde. Noch heute lebt etwa ein Drittel der Menschheit in Lehmhäusern. Bei uns ist er vor allem im Fachwerkbau bekannt. Doch Lehm ist gleichzeitig auch ein moderner, gesunder und umweltfreundlicher Baustoff, sagen Experten. Nicht erst, seitdem bekannt wurde, dass Lehm offenbar Mobilfunkstrahlung viel besser abhält als andere Baustoffe. Im Vergleich zum Beispiel mit Beton führt Lehm noch immer ein kümmerliches Schattendasein. Doch er gewinnt offenbar mehr und mehr Freunde - gerade auch im Neubaubereich.

Von Gerd Stuhlfauth | 27.10.2004
    Ich mische hier einen Lehmunterputz an. Den setzen wir als Ausgleichsmörtel im Fachwerkhausbereich ein. Da ist eine Strohfaser drin von etwa dreißig Millimetern. Den kann man einlagig in sehr großen Stärken auftragen und er ist sehr elastisch. Das heißt, er unterstützt die Bewegung, die das Fachwerkhaus verursacht.
    Gerd Meurer ist auf Lehmbau spezialisiert. Zur Zeit saniert er ein mehr als 300 Jahre altes Fachwerkhaus im Koblenzer Stadtteil Neuendorf. Sitz seiner kleinen Firma. Lehm entfeuchtet und konserviert damit das Holz. Doch Lehm kann noch mehr: er bindet Schadstoffe, speichert Wärme, reguliert die Luftfeuchtigkeit, erzeugt ein gesundes Raumklima.
    Dass Lehm sogar besser als andere Baustoffe hochfrequente Strahlung - etwa von Mobilfunksendern - abschirmt, hat Professor Gernot Minke von der Universität Kassel gezeigt. Ideal: ein 24 Zentimeter dickes Lehmsteingewölbe. Es schirmt die Strahlung zu 99,9 Prozent ab. Wer das in seinem Neubau umsetzen möchte, hat trotzdem vieles zu beachten, so Professor Minke:

    Es hat ja jetzt keinen Sinn, nur die Wand jetzt zu schützen oder nur das Dach. Dann kommen die Wellen durch die Fenster und Türen rein. Also wenn, dann muss ein Gesamtkonzept entwickelt werden. Und es gibt ja entsprechend auch mit Edelmetall bedampfte Gläser, die moderne Wärmeschutzverglasung, die eben auch die Strahlung zu einem hohen Prozentsatz zurückhalten.
    Inzwischen sind zahlreiche Lehmbau-Produkte auf dem Markt: von farbigen Putzen bis hin zu Lehmbausteinen. Dass sich ihr Absatz noch immer verglichen mit den üblichen Baustoffen wie Beton oder Ziegel im Zehntel-Prozent-Bereich bewegt, dürfte kaum an den Kosten liegen - die Produkte seien nicht unbedingt teurer als andere, heißt es beim "Dachverband Lehm". Der Grund dürfte eher die noch verbreitete Skepsis sein. Lehm schwindet beim Trocknen. Und er ist nicht wasserfest. Lehm ist vor allem aber - aus Sicht eines Bauingenieurs gedacht - kein normiertes, berechenbares Material. Sagt Professor Manfred Breitbach von der Fachhochschule Koblenz:

    Wir wollen bei allen Baustoffen, dass man den Baustoff - ob das ein Beton ist, ein Stahl, eine Mauerwerkswand - belasten kann bis zu einem gewissen Niveau und wieder entlasten kann. Und dann muss es sich elastisch verhalten, das heißt, er darf jetzt nicht irgendwie zunehmende Verformungen aufweisen. Und genau das haben wir bei einem Lehm nicht. Ich kann ihn belasten, und wenn ich ihn entlaste, bleibt ein Stück dieser Verformung zurück.
    Jeder Lehm ist anders. Die Materialeigenschaften variieren. Lehmbau-Experte Minke sieht dennoch kein großes Problem:
    Es war in Deutschland immer erlaubt, zweigeschossig tragende Lehmwände zu errichten. Die alten DIN-Normen sind zum Beispiel in Hessen auch wieder anerkannt. Es gibt ein Regelwerk, das auch anerkannt ist, was diese Werte aus der DIN-Norm übernommen hat.
    Lehm-Massivbau ist allerdings die Ausnahme. Im Neubaubereich wird Lehm meist mit anderen Baustoffen - Bims oder Holz etwa - kombiniert. Besonders beliebt sind Lehmputze
    für den Innenbereich. In verschiedensten Farbvarianten. Ist der Putz dick genug, entfaltet der Lehm seine Wirkung, sagt Gerd Meurer:
    Die entscheidenden Stärken sind die ersten eineinhalb bis zwei Zentimeter, die aktiviert werden können für das Raumklima. Eine drei Millimeter Lehmputzschicht beeinflusst das Raumklima, das muss man schon sagen, nur mäßig.
    Auch wenn Lehmbaustoffe nach wie vor Nischenprodukte sind: beim "Dachverband Lehm" verzeichnet man jährliche Zuwachsraten zwischen 5 und 10 Prozent. Trotz der Bauflaute. Das Interesse am Baustoff Lehm wächst. Das hat auch Gerd Meurer festgestellt:
    Mittlerweile merkt man auch, wenn man auf einer Messe steht, dass man im Kundengespräch nicht mehr bei A anfangen muss, sondern es liegt teilweise schon eine sehr erhebliche Vorbildung vor. In den fünfzehn Jahren, wo ich mich mit dem Thema beschäftige, hat sich das extrem in die Breite geöffnet. Es ist ein sehr alter und mittlerweile auch ein sehr moderner Baustoff zugleich.


    Infos

    Wer mehr über Lehmbau wissen möchte, kann sich auf der Internetseite des "Dachverbandes Lehm" informieren: www.dachverband-lehm.de

    Oder die "Lehm 2004" besuchen. Die Messe findet vom 27.-31.10.2004 in Leipzig im Rahmen der "Denkmal 2004" statt. 18 Aussteller werden ihre Lehmprodukte vorstellen. Übrigens auch Gerd Meurer aus Koblenz.