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Lebensberatung auf hohem literarischen Niveau

Mit "Slam" bezeichnen Skateboardfahrer einen krassen Sturz auf den Asphalt. Einen Sturz, von dem man sich nicht mehr ganz erholt. Solch ein Trauma ist für den Protagonisten Sam die Geburt eines Kindes. Gerademal 16 hat er plötzlich das Gefühl, dass das Leben für ihn vorbei ist. Aus dem Drahtseilakt zwischen Sozialreportage und Sozialromantik bezieht "Slam" seine Spannung.

Von Hajo Steinert | 14.02.2008
    Der fünfzigjährige Schriftsteller Nick Hornby hat mit zwei Büchern das Kunststück fertig gebracht, die hohe Frauenquote unter Romanlesern spürbar zu reduzieren. Das liegt an den Themen des englischen Schriftstellers. Er ist ein Spezialist für Männer, die nicht erwachsen werden wollen. Fußball und Popmusik, Tabellen und Hitparaden - das ist die Welt seiner durchaus nicht unsympathischen Helden, wie wir sie aus "Fever Pitch" und "High Fidelity" kennen. Zwei Romane, die zurecht Bestseller wurden und auch ziemlich erfolgreich als Filme.

    Im neuen Roman ist es umgekehrt. In "Slam" geht es nicht darum, nicht erwachsen werden zu wollen, sondern um Kinder, die es müssen, und zwar früher als es ihnen lieb ist. "Slam" erzählt die keineswegs lustige Geschichte des sechzehnjährigen Sam. Er muss von einem Tag auf den anderen die Rollen tauschen. Die seines heiß geliebten Skateboards gegen die eines Kinderwagens. Sams sechzehnjährige Freundin Alicia ist schwanger geworden; sie bringt das Kind zur Welt und damit sich und den Vater um ihre Jugend. "Es war ein Gefühl, als wäre mein Leben vorbei. Ganz egal wie viele Jahre ich noch zu atmen hatte." Das Kind als Ausweg von Unterschichtkindern aus dem sozialen Abseits - in England ist dieses Thema virulenter als sonst wo in Westeuropa. Der Roman spielt in einem Arbeitervorort Londons.

    Mit "Slam" bezeichnen Skateboardfahrer einen krassen Sturz auf den Asphalt. Einen Sturz, von dem man sich nicht mehr ganz erholt. Ein Trauma. Sams "Slam" ist die Geburt des Kindes. Gerade noch kamen die wesentlichen Geräusche des Lebens aus den Kopfhörern des iPod - jetzt geht es darum, das Gekrächz aus dem Kinderwagen richtig zu interpretieren. Statt des Aufstiegs in die Skateboard Premier-League der Abschied vom Brett. Einem Brett, das einem Burschen wie Sam die Welt bedeutet. Einer werden wie Tony Hawk einer war, das Idol aller Skateboardfahrer in England! Sam verschlingt nicht nur die Memoiren seines Superstars, er zitiert daraus in allen Lebenslagen. Tony Hawk ist Sams Guru.

    Immerhin freilich: Sam ist ein Leser. Das macht ihn zugleich sympathisch und suspekt. Diese überraschende Aufmerksamkeit der Hauptfigur für eine entschlossene Form der sprachlichen Bewältigung des Lebens ist für Nick Hornby gleichsam die literarische Legitimation, seine Hauptfigur in der ersten Person erzählen, klagen und schwadronieren zu lassen. Irgendwo her muss er ja kommen, dieser Drang, diese Leidenschaft, "auf Teufel komm raus" zu erzählen, und sei es eben aus der Erfahrung eigener Lektüre heraus. Lesen als Überlebenstraining. Der Autor selbst scheint, Seite für Seite angetrieben von solchen pädagogischen Ambitionen.

    Auch Sams Eltern waren übrigens sehr jung (die Mutter sechzehn), als er zur Welt kam. Sie haben sich, wie es wohl auch Sam und Alicia passieren wird, früh getrennt - doch sieh an: die Mutter (Oma mit zweiunddreißig, aber selbst für achtzehnjährige Jungs heute noch attraktiv) sammelt Bücher wie andere Frauen der Umgebung Videokassetten mit Schnulzen. Nick Hornby ist ein Autor, dem die Botschaft wichtiger ist als literarische Verrätselung, dem die soziale Frage heißer auf den Nägeln brennt als die ästhetische nach der schicklichen Form eines Romans. Das Exemplarische ist ihm wichtiger als das Außergewöhnliche. Nick Hornby betreibt Lebensberatung auf vergleichbar hohem literarischen Niveau.

    Im Unterschied allerdings zu Autoren einer sogenannten Bekenntnisliteratur ist es einem so leidenschaftlichen und versierten Erzähler wie Nick Hornby ganz egal, ob der betont mündliche Sound des Romans aufgesetzt wirkt oder nicht. Das Einzige, was wirklich, um in der Sprache des Romans zu bleiben, "auf den Keks" geht, ist das dauernde Anreden des Lesers im Duz-Ton. Kaum eine Seite vergeht ohne dieses: "wie ihr wisst", "wie ihr euch denken könnt", "ihr versteht, was ich meine". Wenn Sam solche Sätze sagt wie "Ich will nicht auf die Tränendrüse drücken", dann ist man als Leser geneigt, in solchen Offenbarungen nicht nur das Ansinnen der literarischen Figur zu erkennen, sondern darüber hinaus das redliche Vorhaben eines Autors, dem es um alles in der Welt geht, nur nicht um eine sentimentale Geschichte, - die der Roman am Ende dann doch auch ist.

    Aus diesem Drahtseilakt zwischen Sozialreportage und Sozialromantik bezieht "Slam" seine Spannung. Wegen seiner Erzählhaltung und seiner um umgangssprachliche Standards reichlich bemühten Sprache wird sich kaum verhindern lassen, dass der Roman als Jugendroman gelesen wird. Unter dem Deckmantel dieses mitnichten anrüchigen Genres hat Nick Hornby alle Berechtigung, sein emphatisches Selbstverständnis als Autor, der sich für einen literarischen Weg der Lebenshilfe nicht zu schade ist, zu bezeugen.

    Nick Hornby: Slam. Roman. Aus dem Englischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann,
    Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008, 301 S, Euro (D) 17.95 | sFr 31.80 | Euro (A) 18.50