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Lebensgefährliche Panscherei

Zehn Prozent aller Medikamente weltweit sind Plagiate, in Afrika sogar jedes zweite Präparat. Davon geht die Weltgesundheitsorganisation WHO aus. Auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin wurde erörtert, welche Produkte besonders oft gefälscht werden und wie dem beizukommen ist.

Von Anke Petermann | 09.04.2013
    Dokumentierte Fälle von massiven Nebenwirkungen, Gesundheitsschäden oder gar Todesfällen infolge gefälschter Medikamente – in Deutschland bislang Fehlanzeige. 2012 beschlagnahmte der Zoll mehr als 300.000 gefälschte Arzneimittel, fünfmal so viele wie zwei Jahre zuvor. Der niederländische Zoll geht auf Basis einer Schätzung des Pharmaproduzenten Pfizer davon aus, dass der Marktanteil von Fälschungen unter zwei Prozent liegt. Das Risiko für deutsche Patienten, ein gefälschtes Medikament untergeschoben zu bekommen, lässt sich statistisch nicht beziffern. Verschwindend gering ist die Gefahr jedenfalls für Patienten, die vom Arzt ein Rezept bekommen und dieses in der Apotheke einlösen, meint Professor Ulrich Fölsch. Im illegalen Onlinehandel aber seien längst nicht mehr nur nachgemachte Schlankheits- und Potenzpillen sowie Anabolika für Freizeitsportler kostengünstig zu erhalten, so der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin.

    "Es gibt Antibiotika, Schmerzmittel, AIDS-Medikamente, Medikamente gegen Tuberkulose - das Spektrum der Medikamente, die über das Internet bezogen werden kann, wird immer größer."

    Vor sieben Jahren starben in Panama mehr als 100 Menschen an Hustensaft, der mit giftigem Frostschutzmittel gestreckt war. Industrienationen sind nicht gefeit gegen Plagiate. In den USA wurde eine gefälschte Heparin-Version verkauft, erinnert sich Professor Manfred Schubert-Zsilavecz, Chef des Zentrums für Arzneimittelforschung an der Uni Frankfurt am Main.

    "Heparine werden als Blutverdünner eingesetzt. Dieser Wirkstoff ist in China hergestellt worden und in krimineller Absicht gestreckt worden, um mehr Verkaufserlös zu erzielen, und dieser gestreckte Wirkstoff ist in den USA verarbeitet worden, ist bei Patienten angewandt worden, und aufgrund von allergischen Reaktionen auf die Fälschung sind auch Patienten zu Schaden gekommen, beziehungsweise sind auch gestorben, und eine solche Situation wünschen wir uns natürlich nicht für Deutschland."

    Von 250 Toten berichtete die Zeitschrift "Geo" und auch darüber, dass der US-Skandal nach Deutschland schwappte: bei 14 Dialyse-Patienten seien durch den gestreckten Blutverdünner lebensbedrohliche Nebenwirkungen aufgetreten, allerdings sei niemand daran gestorben. Doch nicht nur giftige, unreine oder überdosierte Substanzen bergen Gefahr, sondern auch Fälschungen ganz ohne Wirkstoff. Ulrich Fölsch und Manfred Schubert Zsilavecz, Experten für Innere Medizin und Arzneimittelforschung:

    "Denken Sie nur an Patienten mit einer HIV-Infektion, da geht es entscheidend darum, dass durch die Wirkstoffe eine Senkung der Viruslast erfolgt, denken Sie beispielsweise daran, dass wenn Menschen mit Antibiotika behandelt werden, um in einer lebensbedrohlichen Situation einen Keim zu eliminieren. Das hat natürlich eine ganze Bandbreite an möglichen Konsequenzen."

    "Das kann natürlich zum Tod führen, wenn Antibiotika nicht die Keime töten, dann können diese Patienten an diesen Keimen sterben."

    "Patienten begeben sich in Höchste Gefahr, wenn Sie möglicherweise auf einer illegalen Homepage, um Kosten zu sparen, sich ein Arzneimittel bestellen."

    Erkennen lassen sich die Fälschungen häufig nicht, warnt Professor Fölsch:

    "Sie haben die gleiche Größe, die gleiche Farbe wie andere Pillen, die gleiche Packung – es ist für einen Laien ganz schwierig zu erkennen."

    2017 will die Europäische Union zusätzliche Sicherungen einführen. Schon jetzt erproben 150 deutsche Apotheken gemeinsam mit Herstellern und Großhändlern im Rahmen des Projekts "securPharm", inwieweit ein individueller Sicherheitscode auf den Packungen gegen Betrug schützt. Bei jedem Verkauf hält der Apotheker die Schachtel vor einen Matrix-Code-Scanner und bringt damit eine Datenabfrage in Gang. Nur wenn der abgefragte Code des Medikaments bekannt ist und stimmt, wird das Medikament verkauft. In sechs Wochen sollen erste Ergebnisse vorgelegt werden.

    Legale Versand-Apotheken in das System einzubinden, ist theoretisch möglich. Den Wildwuchs des illegalen Online-Handels mit Medikamenten kann "securPharm" allerdings nicht eindämmen. Auch den Heparin-Skandal hätte diese Sicherung nicht verhindert. In dem Fall war nämlich der legale Hersteller von einem der Subunternehmer in der langen Lieferantenkette betrogen worden. Das heißt, dieser gestreckte Blutverdünner hätte sich dann mit einem stimmigen Sicherheitscode tarnen können.