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Lebenskunst
Warum Feindschaft nützt

Die Feindschaft rehabilitieren, das fordert ein Ordensmann. Feindliche Gefühle gehören zum Menschsein, sagt auch ein evangelischer Theologe. Gegenpole können Energie erzeugen, also Leben, hofft ein Philosoph. Auch Jesus werden Sätze zugeschrieben, die nicht allzu friedlich wirken. Etwa: "Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich!" Ist die Feindesliebe also ein frommer Wunsch?

Von Burkhard Schäfers | 12.04.2017
    Zwei Geschäftsmänner starren sich böse an.
    Das Phänomen der Feindschaft hat also viel mit uns selbst zu tun. (imago/emil umdorf)
    Julia: "Nicht du, bloß dein Nahme ist mein Feind; du würdest du selbst seyn, wenn du gleich kein Montague wärest."
    Romeo: "Durch einen Namen weiß ich dir nicht zu sagen, wer ich bin; mein Name, theure Heilige, ist mir selbst verhaßt, weil er ein Feind von dir ist. Ich wollt' ihn zerreissen, wenn ich ihn geschrieben hätte."
    Wie bei Romeo und Julia kann Feindschaft direkt in die Tragödie führen. Feindschaft zehrt aus, tut weh, bringt den Tod. Und: Feindschaft nützt.
    Eckhard Frick, Jesuit:
    "Vielleicht sollten wir auch die Feindschaft in gewisser Weise rehabilitieren. Es ist doch viel besser, wenn mir klar ist, was in mir feindselige Gefühle auslöst und ich mich dann dazu verhalte. Mich selbst frage, ist das angemessen? Möchte ich das ändern?"
    Friedrich Lohmann, evangelischer Theologe:
    "Ich würde sagen, das Christentum ist realistisch, indem es wahrnimmt, dass in der Welt der Sünde Konflikte und eben dann auch feindliche Gefühle zum Menschsein dazu gehören."
    Wilhelm Schmid, Philosoph:
    "Als ich mir die Feindschaft genauer angesehen habe, fielen mir einige Dinge auf: Menschen sind außerordentlich motiviert, wenn sie mit jemand zu tun haben, der ihnen übel will. Und dann kommt es immer mal wieder zu der Formulierung: ‚Dem oder denen werde ich es zeigen.‘ Das ist doch etwas, was man nutzen kann."
    Feindbilder gibt es, so lange es Menschen gibt. Feinde gibt es in der Politik, in Religionen, unter Kollegen, Nachbarn, in der Familie. Ehemals Liebende können zu Feinden werden, auch Eltern und Geschwister, Fußballteams, Chefs und Angestellte. Feindbilder sind ein beliebtes Mittel, um die eigene Sicht auf die Dinge zu ordnen, sagt der Münchner Psychoanalytiker Eckhard Frick:
    "Insofern ist die Unterscheidung eigen und fremd eine sehr nützliche. Sehr rasch entwickeln sich dann Vorurteile. Solche Vorurteile, sagen wir dann gern, müssen wir abbauen – weil wir weltoffen sein wollen. Ich halte es aber für nützlich, einmal andersherum zu denken: Wozu sind eigentlich Vorurteile gut? Ich denke, sie helfen mir, die Welt erst einmal einzuteilen. Sie bieten mir eine gewisse Sicherheit, von der aus ich mich dem anderen annähern kann."
    Nun ist nicht jeder Fremde gleich ein Feind. Dennoch scheint der Hang im Menschen tief verwurzelt, den Anderen nicht einfach gewähren zu lassen, sondern ihm Grenzen aufzuzeigen. Das Wort Feindschaft ist verwandt mit dem Begriff Hass. Es geht also um starke Gefühle, erklärt Eckhard Frick. Er ist Professor für Anthropologische Psychologie und lehrt an der Münchner Hochschule für Philosophie.
    "Der Feind ist der Fremde, von dem ich meine, er könnte mir gefährlich werden, weil er andere Ziele verfolgt als ich selber. Weil er mit mir in Konkurrenz steht, weil ich aus meinen Vorurteilen das herausgreife, was mich zu einem abwehrenden oder den anderen unterwerfenden Handeln bringt. Emmanuel Levinas spricht davon, dass wir eine Allergie dem anderen gegenüber haben. Das heißt, wir halten nicht aus, dass es den oder die andere gibt."
    Der Feind - ein Spiegel unseres Selbst
    Das Phänomen der Feindschaft hat also viel mit uns selbst zu tun. Um dem auf die Spur zu kommen, rät Psychoanalytiker Eckhard Frick dazu, sich selbst den Spiegel vorzuhalten. Denn häufig versuchen wir, im Anderen etwas zu bekämpfen, das eigentlich zu uns selbst gehört. Fachleute bezeichnen das als Projektion.
    Professor Frick:
    "Im Neuen Testament heißt es, dass ich im eigenen Auge einen Balken habe, um den ich mich nicht kümmere, aber ich will den Splitter im Auge des anderen herausziehen. Carl Gustav Jung nennt das den Schatten."
    "Wenn du dich und den Feind kennst, brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fürchten."
    Eine Weisheit des chinesischen Militärstrategen Sunzi, der um 500 vor Christus lebte. Der persönliche Schatten also als größter Feind? Was hilft, mit sich selbst ins Reine zu kommen?
    "Der Weg der Gesundung ist nun aber nicht, dass ich im Außen Spiegelfechtereien betreibe und meinen eigenen Schatten bekämpfe, sondern dass ich merke, da gibt es Seiten an mir, die ich nicht so kenne und die ich letztlich auch nicht loswerden kann. Wenn ich mich dem, so gut es geht, – das ist schwer – stelle, muss ich nicht mehr so stark schlechte Eigenschaften anderer Menschen bekämpfen," so Eckhard Frick, der einer Ordensgemeinschaft angehört, den Jesuiten.
    Wäre die Feindschaft also aus der Welt, wenn nur jeder mit seinen eigenen Schattenseiten klar käme? Oder anders gefragt: Ist es überhaupt erstrebenswert, dass alle Menschen ausschließlich hehre Absichten verfolgen? Steckt hinter dem Phänomen der Feindschaft ein tieferer Sinn? Vom Dramatiker Karl Gutzkow ist der Satz überliefert:
    "Halte dir einen tüchtigen Feind! Er wird dir ein Sporn sein, dich zu tummeln."
    Feindschaft gegen Langeweile und für Lebensenergie
    Aus Sicht des Berliner Philosophen Wilhelm Schmid spricht einiges dafür, dass Feindschaft wichtig ist, ja, lebensnotwendig. Und zwar als Gegenpol zu Liebe und Freundschaft. Gleichsam als Rezept gegen Einseitigkeit oder Langeweile, sagt Schmid:
    "Wir können nur leben, wenn wir Energie haben. Insofern wächst die Aufmerksamkeit darauf: Wo ist die größte Spannung? Die größte Spannung ist immer dort, wo die größten Gegenpole sind. Das scheint bei der Feindschaft fast noch stärker da zu sein als bei der Liebe. Bei der Feindschaft haben wir Gegenpole, die tatsächlich Plus und Minus sind. Und grundsätzlich ist diese Energie Leben."
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    Philosoph und Autor Wilhelm Schmid (picture alliance / dpa)
    Wilhelm Schmid, Fachmann für Lebenskunst, plädiert dafür, diese Energie so zu lenken, dass sie konstruktiv wirkt und nicht zerstörerisch. Lieber die eine oder andere Bosheit aushecken, als dass sich das Böse in einem Menschen gefährlich anstaue, meint der Philosoph. Er nennt das die Kunst, sich Feinde zu machen:
    "Dem Feind Gutes zu tun, also ihm wieder mal ein bisschen Stoff zu liefern, dass er Feindschaft seinerseits gegen uns haben kann. Aber ihm auf der anderen Seite auch Signale zu geben, dass wir es nicht so schlimm mit ihm meinen wie er möglicherweise mit uns. Nichts irritiert den Feind mehr als eine Freundlichkeit."
    Das wäre ein spielerischer, unkonventioneller Umgang mit dem Feind. Manche aber halten so etwas gar nicht aus: Sie wollen sich mit jedem gut stellen, sehnen sich nach Harmonie und streben deshalb beständig nach Ausgleich. Schmid dazu:
    "Das ist ehrenwert, aber was die Feindschaft betrifft, hängt das ja nicht allein von mir ab, ob ich Feinde habe. Darüber entscheiden andere Menschen, ob sie mich zu ihrem Feind haben wollen. Häufig ist das ja auch kein bewusster Prozess, sondern es gibt eine Antipathie, dann gibt es Sticheleien, und dann wächst daraus mehr. Letzten Endes wird eine Feindschaft daraus, und keiner weiß mehr, wie er oder sie da rauskommt."
    "Liebt eure Feinde"
    "Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen. Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten?"
    In der Bergpredigt aus dem Matthäus-Evangelium spricht Jesus Klartext. Was auf den ersten Blick leicht verständlich erscheint, ist wohl eine der größten Herausforderungen für praktizierende Christen: die Feindesliebe. Damit eckte der jüdische Wanderprediger schon zu Lebzeiten an und wurde selbst angefeindet, sagt der Münchner Jesuit Eckhard Frick:
    "Ich denke, er ist zum Opfer geworden, weil er eine radikale Gewaltlosigkeit gelebt hat. Auch gerade, was den Fremden betrifft, denken wir an seinen Umgang mit Randgruppen, mit den Prostituierten und so weiter. Diese Spontaneität war eine Provokation fürs religiöse Establishment."
    Mit der Forderung "Liebt eure Feinde" provoziert das Christentum bis heute. Zumal Menschen an dieser Forderung regelmäßig scheitern – oder daran nur scheitern können? Im Alten Testament ist wiederholt von Feindschaft die Rede: Kain und Abel werden aus Eifersucht zu Todfeinden. Kain erschlägt seinen Bruder. Ein Volk kämpft gegen ein anderes, manche Städte werden vollständig ausgelöscht. Auch die Psalmen beklagen den Feind und die Feindschaft.
    "Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich"
    Und selbst von Jesus ist der Satz überliefert: "Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich." Die Feindesliebe also ein frommer Wunsch, lebensfern und damit ohnehin nicht weiter diskussionswürdig?
    "Ich denke diese Botschaft der Liebe ist eine sehr menschliche, die auch Entwicklung ermöglicht."
    Die Feindesliebe – nach dieser Lesart von Eckard Frick wäre sie ein Wegweiser in eine bestimmte Richtung. Der Ariadnefaden, der uns heraushelfen kann aus dem Labyrinth der Feindschaft. Im Christentum spielen Frieden und Versöhnung eine zentrale Rolle. In Gottesdiensten wird regelmäßig gebetet für den Frieden, der zugleich als beliebtes Predigtthema gilt. Wo so viel von Einheit die Rede ist, bleibt wenig Platz für das, was trennt. Wo aber Konflikte unter dem Deckel gehalten werden, fehlt die Differenzierung, sagt der Psychoanalytiker und Theologe Eckard Frick. Ist die Feindschaft also so etwas wie der blinde Fleck des Christentums?
    "Diese Betonung der Liebe, des Altruismus kann in der Tat dazu führen, dass etwas ausgeblendet wird. Dass ich gar nicht mehr wahrnehmen kann, wenn ich feindselige Gefühle habe, weil ich mich das gewissermaßen nicht traue. Dass ich mir den Fremden zum Nächsten machen kann, das braucht eine Entwicklung. Sonst ist es eine Überforderung oder kann zu einem blinden Fleck führen."
    Feindschaft kultivieren
    Wie also geht man richtig um mit der Feindschaft? Der Berliner Philosoph Wilhelm Schmid hat dazu ein Buch geschrieben mit dem Titel ‚Vom Nutzen der Feindschaft‘. Über das christliche Liebesgebot schreibt er:
    "Wird es nicht zur unerträglichen Belastung, immerzu lieben zu sollen, auch noch im Falle von Feindschaft, um schließlich unter der Last unterdrückter Schuldgefühle zusammenzubrechen, wenn es nicht gelingen sollte?"
    Schmid ergänzt: "Das war etwas, was mich sehr lange schon beunruhigt hat: Nämlich dass ich bei bekennenden Christen das Phänomen vorgefunden habe, dass sie nicht in der Lage sind, ihre Feinde zu lieben. Also versuchen wir die nächst niedrigere Stufe: Feinden wohl zu wollen als Feinden. Um die Feindschaft auf eine Weise zu pflegen, die nicht zerstörerisch wird für beide Seiten. Also Feindschaft zu kultivieren."
    Was für das Verhältnis einzelner Menschen gilt, lässt sich auf die Gesellschaft übertragen. Auch dort habe die Feindschaft durchaus einen Nutzen, meint der Philosoph. Populisten rund um den Globus erzielen Erfolge, indem sie auf Gegnerschaft setzen. Sie sprechen immer vom "Wir" und "den Anderen". Damit besetzen sie womöglich eine Nische, eine Marktlücke, um die sich niemand mehr gekümmert hat. Schmid sagt mit Blick auf die harmoniesüchtige Mehrheit: Wo die Wonnen des Gewöhnlichen überhandnehmen, werde die Versuchung übermächtig, einen Kontrapunkt zu setzen. Dann wachse das Potential für den großen Knall heran, meint Wilhelm Schmid:
    "Die Entwicklung, die wir nun in der Weltpolitik haben, könnte auch eine Reaktion darauf sein, dass der Konsens zu groß geworden ist. Ein Konsens, den ich selber nicht in Frage stellen möchte. Aber ich beobachte: Dort, wo der Konsens zu groß wird, werden eben auch die Widerstandskräfte gegen den Konsens besonders groß."
    Also wird demokratisch legitimierten Politikern unterstellt, sie seien zum Regieren nicht in der Lage. Die Wut richtet sich gegen einzelne Gruppen. Wissen Demokratien dem etwas entgegen zu setzen? Oder sind sie in Sachen Feindschaft womöglich betriebsblind? Dazu Wilhelm Schmid:
    "Demokratie ist eigentlich die Kultivierung der Feindschaft, sie herunter zu dimmen zur Gegnerschaft. Und auch da scheint mir, haben wir es mit dem Konsens in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten übertrieben. Es waren halt nur noch marginale Unterschiede zwischen den sogenannten Gegnern zu sehen. Und das hat viele Menschen verdrossen."
    "Die eigentliche politische Unterscheidung ist die Unterscheidung von Freund und Feind."
    Behauptete der Staatsrechtler Carl Schmitt, einer der bekanntesten, wenn auch umstrittensten deutschen Staats- und Völkerrechtler des 20. Jahrhunderts, der von seinen Kritikern als "Kronjurist des Dritten Reiches" bezeichnet wurde. Seine "Freund-Feind-Unterscheidung" ist in den politischen und allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen.
    Der frühere US-Präsident George W. Bush bezeichnete die Staaten Irak, Iran und Nordkorea als ‚Achse des Bösen‘. Häufig geht es um Macht, wenn von Feindschaft geredet wird. Religiöse Extremisten wie der sogenannte Islamische Staat oder Boko Haram bekämpfen die Freiheit und einen Lebensstil, der angeblich nicht dem Islam entspricht. So wird der Westen zum Feind. Auch die gegenwärtig um sich greifende politische Rhetorik zielt darauf ab, Menschen gegeneinander aufzubringen, stellt Friedrich Lohmann fest, Professor für Evangelische Theologie an der Bundeswehr-Universität München. Sein Schwerpunkt: Angewandte Ethik.
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    Friedrich Lohmann, Professor für Evangelische Theologie an der Bundeswehr-Universität München (Burkhard Schäfers)
    "Von Donald Trump habe ich gelesen: ‚We have to fight fire with fire‘. Er versucht damit so etwas wie eine Evidenz herzustellen, aber man merkt ja sehr schnell, wenn man sich überlegt: Wie löschen wir denn Feuer? Gerade nicht mit Feuer, sondern mit Wasser. Das heißt, gerade wenn ein Brand entstanden ist, müssen wir versuchen den zu löschen. Und das geht nicht, indem ich die Feindschaft des Gegners noch steigere."
    Wie lässt sich Feindschaft im politischen Raum einhegen? Eine häufige Antwortet lautet: Mit Hilfe der Demokratie, dem fein tarierten Ausgleich zwischen verschiedenen Gruppen, Strömungen und Meinungen. Dass das jedoch nicht überall funktioniert, zeigen Staaten wie Afghanistan oder das frühere Jugoslawien. Demokratie sei kein Allheilmittel, sagt Friedensethiker Lohmann:
    "Mir scheint eben tatsächlich, dass dabei übersehen wird, dass es natürlich auch Feinde der Demokratie gibt, die dann möglicherweise solche demokratischen Strukturen missbrauchen. Wo man dann doch das hässliche Gesicht der Demokratie zeigen kann. In meiner Definition des Politischen ist der Begriff des Regelgeleiteten so wichtig. Das heißt in erster Linie, dass man sich an das Recht hält. Und dann ist die Demokratie natürlich tatsächlich die vorzugswürdige Form des politischen Lebens, aber man darf sie nicht idealisieren."
    Freund-Feind-Bild verschwimmt bei heutigen Kampfeinsätzen
    Friedrich Lohmann lehrt Militärische Berufsethik an der Universität der Bundeswehr. Die angehenden Offiziere befassen sich mit Fragen nach dem soldatischen Ethos, dem Spannungsfeld zwischen Gewaltverbot und Beistandspflicht. Und ganz praktisch: Wie sollen sie sich entscheiden und handeln im Kampfeinsatz? Lohmann schildert eine Szene aus dem Auslandseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan:
    "Da beschreibt der Soldat, wie ein Mädchen auf ihn zugelaufen ist, Drähte guckten unten vor. Und der Verdacht war natürlich, das ist eine Bombe. Das ist ein Mädchen, das darauf hin gepolt worden ist, um sich vor mir und damit auch mich selbst in den Tod zu bringen. Die große Frage ist dann eben: Schieße ich aufgrund dieser möglichen Gefahr oder tue ich es nicht."
    Mit solchen Extremsituationen sind Soldaten immer wieder konfrontiert. Daraus könnte man schließen, dass im Einsatz ein eindeutiges Freund-Feind-Bild überlebensnotwendig ist. Lohmann widerspricht:
    "Als Ethiker würde ich sagen nein. Von vornherein zu sagen: Das sind deine Feinde und damit ist ganz klar, wie du dich zu verhalten hast - das ist in den heutigen Szenarien gar nicht möglich. Weil es in der asymmetrischen Konstellation dazu gehört, dass die Grenzen zwischen Terrorist, zwischen Gegner, Feind und letztlich unbeteiligtem Zivilisten vollkommen verschwimmen."
    Die Menschlichkeit im Krieg zu bewahren - das versucht das humanitäre Völkerrecht. Eine Errungenschaft der Neuzeit, festgehalten in der Haager Landkriegsordnung sowie in den Genfer Konventionen: Wie umgehen mit Gefangenen; welche Waffen sind erlaubt; auf welche Weise lassen sich Zivilisten schützen.
    "Die Genfer Konventionen sind ja die völkerrechtlichen Verträge, die von allen die meisten Ratifikationen erreicht haben. Die Frage ist natürlich, ob sich dann auch alle daran halten. Aber es ist jedenfalls im Völkerrecht verankert, die Grundregeln der – soweit das geht – humanitären Kriegsführung."
    Extremistische Attentäter aber kümmern sich nicht um das Völkerrecht, so Lohmann. Terror-Gruppen bleiben als Feind diffus, geben sich nicht zu erkennen, schlagen aus dem Hinterhalt zu. Mehr noch: Sie suchen sich gezielt ahnungs- und wehrlose Menschen aus. Daraus könnte man folgern, dass der Staat gegenüber Terroristen besonders hart zurückschlagen, den Feind vernichten sollte.
    "Das gehört ja gerade zu der Strategie der Gegner, dass sie solche Überreaktionen feindlicher Art herbeiführen wollen. Aber da denke ich, nicht nur das Christentum, sondern auch der Rechtsstaat plädiert ganz stark dafür, dass wir hier nicht gleiches mit gleichem vergelten oder eine Eskalationsspirale anregen, sondern dass wir den Rechtsstaat tätig werden lassen und ihm am Ende auch die Entscheidung übertragen. Ansonsten: Es scheint mir nicht sinnvoll zu sein, sein Leben gegen etwas zu führen, gegen Feinde, sondern als Ethiker und Theologe würde ich sagen, wir müssen versuchen, unser Leben für etwas zu führen. Und das geht, glaube ich, ohne Feindbilder."
    Kino, Literatur und Bühne als Blitzableiter
    Oder wir versuchen, die Feindbilder aus dem echten Leben ins Fiktionale zu verlagern. Kino, Literatur und Bühne werden dann zu einer Art Blitzableiter für destruktive Gedanken. Der Berliner Philosoph Wilhelm Schmid stellt fest: Krimis und Thriller florieren im Fernsehen und auf dem Buchmarkt:
    "Ich glaube dahinter steckt, dass vielen Menschen zu langweilig ist in ihrem Leben, weil vieles zu gut geht. Und dann natürlich die Sehnsucht danach wächst, Spannung zu erleben, und diese Spannung muss in Filmen und Büchern abgehandelt werden."
    Die Feindschaft hat wohl tatsächlich einen Nutzen. Menschen haben sich bereits in längst vergangenen Zeiten etwas einfallen lassen, wie sie die Oberhand über feindliche Gefühle gewinnen können. Wilhelm Schmid:
    "Die antike Tragödie war immer der Versuch, Spannung auf die Bühne zu stellen, sie zum Exzess zu treiben. Die Menschen fühlen mit, erleben diesen ganzen Prozess mit des Hochkochens von Energien, des Zerstiebens in einer Explosion, und sind so ihre negativen Energien losgeworden und sind beruhigt wieder nach Hause gegangen."