Ilia Vasella: Windstill: "Roman"

Glücksversprechen wird zur Passionsgeschichte

05:53 Minuten
Cover: Ilia Vasella "Windstill", Roman
Mit "Windstill" ist Ilia Vasella ein schmerzlich schöner Debütroman gelungen. © Dorlemann / Deutschlandradio
Von Meike Feßmann · 28.05.2021
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Eine bunt zusammen gewürfelte Urlaubsgesellschaft auf einem alten Landschloss in Südfrankreich. Rotweinselige Nächte werden gefeiert, das schöne Licht bewundert. Doch in das Glück bricht der Tod einer jungen Frau. Ein schmerzlich schöner Debütroman.
Ein altes Landschloss in Südfrankreich am Rand der Pyrenäen, etwas heruntergekommen, aber springlebendig, zumindest jetzt, im August, wo alles grünt und summt, wo der Himmel blau ist und die Kühle des Gemäuers zur Wohltat wird. Ein langer Holztisch steht auf der Terrasse. Dort findet sich ein, wer Lust auf Gespräche und gemeinsames Essen hat.
Kinder springen herum, irgendein Erwachsener kümmert sich immer. Die Nächte sind lang, rotweinselig, morgens kriecht man aus dem Bett und hofft, dass jemand schon Kaffee gemacht hat. Unter den Urlaubern, die sich um Pierre, einen Schweizer Künstler, dem das Schloss gehört, versammeln, finden sich immer auch Frühaufsteher. Wegen des Lichts zum Beispiel oder wegen der Ruhe, die sie abends brauchen, um ihren Gedanken und Ideen nachzuhängen. Oder weil sie früh aufs Rad wollen.

Eine feine Tonspur geglückten Lebens

Es ist eine bunte, zufällig zusammengewürfelte Schar, die jedes Jahr in anderer Zusammensetzung aufeinandertrifft. Manche kommen öfter, die meisten haben künstlerische oder sozialpädagogische Berufe. Eine feine Tonspur geglückten Lebens durchweht Ilia Vasellas Debütroman. Sie bleibt hörbar, auch wenn sich das Glücksversprechen nicht erfüllt. Im Gegenteil.
Der schmale Roman beginnt mit einem Unglück. Marie, höchst sympathisch und etwas verpeilt, hängt nach einer langen Nacht morgens die Wäsche auf. Der Feigenbaum duftet, die Katze schleicht herum. Sie rutscht aus und landet mit dem Kopf auf dem Rohr des Sonnenschirmhalters. "Marie ist auf der Stelle tot." So klar und kurz lautet der fest geschnürte Knoten dieser denkbar knappen Exposition.

Tod von Marie als Vorzeichen

Was dann geschieht, ist eine Operation am offenen Herzen: Marie wird aufgebahrt, Blumen und Kerzen drapiert, die Holzläden werden geschlossen, ein Ventilator zur Kühlung geholt. Alle sollen in Ruhe Abschied nehmen können. Franz, Maries Mann, wird beim Gang zu den Ämtern unterstützt. Stephan, ein Anwalt, geht mit den Kindern zum Strand. Dorothea, Mutter eines Zwillingspaars, erklärt sich bereit, bei der Toten zu bleiben. Sie ist die einzige Figur, die in diesem aus mehreren Perspektiven erzählten Roman, auch in der ersten Person spricht. Ihr Leben wird sich durch diesen Urlaub verändern. Mauro, ihr Mann, trennt sich von ihr. Und sie interpretiert den Tod Maries, die durch einen unglücklichen Zufall ums Leben kam, als eine Art Vorzeichen. Sie fühlt sich als "Versehrte" seitdem, und sie scheint diesen Zustand in gewisser Weise auszukosten – als einen "Ausnahmezustand", der das Leben intensiviert.

Mit zarten Farben starke Bilder

"Windstill" zeichnet mit zarten Farben starke Bilder. Die Aufbahrungs-Szenerie lässt an Bill Violas Video-Zyklus "Going Forth By Day" denken. Überhaupt merkt man, dass die 1961 geborene Autorin von der Bildenden Kunst kommt. Sie hat Grafik Design studiert und unterrichtet Visuelle Gestaltung an der F+F Schule für Kunst und Design in Zürich. "Windstill" ist ein schmerzlich schöner Debütroman. Er verwebt Eros und Thanatos so eng, dass sich das Glücksversprechen in eine Passionsgeschichte verkehrt.

Ilia Vasella: "Windstill", Roman"
Dörlemann Verlag, Zürich 2021
159 Seiten, 22 Euro

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