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Lebensmittelkontrolleure in Tel Aviv
Alles koscher?

Die meisten Restaurants in Israel wollen ein "Koscher"-Zertifikat. Sie bekommen es aber nur, wenn sie mit dem Oberrabbinat zusammenarbeiten. Das entsendet Kontrolleure, die Maschgiach, die darauf achten, ob die Regeln für koscheres Essen tatsächlich eingehalten werden. Doch unter den Restaurantbesitzern regt sich auch Widerstand.

Von Peter Kapern | 03.04.2017
    Eviatar ist der Maschgiach, Kontrolleur, im Chooka-Restaurant in Tel Aviv
    Eviatar ist der Maschgiach, Kontrolleur, im Chooka-Restaurant in Tel Aviv (Peter Kapern)
    Jeden Tag untersucht er je fünf Kilo von zwei verschiedenen Reissorten, sagt Eviatar. Der junge Mann mit den buschigen Augenbrauen legt ein weißes Papier auf einen Restauranttisch, setzt sich davor und schüttet eine kleine Schüssel weißer Reiskörner auf das Blatt. Dann wedeln seine Fingerspitzen durch die Reiskörner, auf der Suche nach einem Makel:
    "Wenn das Reiskorn einen braunen Streifen hat, dann ist es trotzdem koscher, denn das ist nur ein Rest der Spelze. Aber wenn es einen schwarzen Streifen oder ein kleines Loch hat, dann deutet das auf einen Wurm hin, und dann lege ich das Reiskorn zu Seite und sortiere weiter."
    So macht Eviatar das, solange, bis 10 Kilo Reis untersucht sind. Die Tagesration für das Restaurant. Und er findet das keinesfalls pingelig:
    Auf einer Hand liegen zwei Reiskörner, eines mit Makel, eines ohne
    Ein Reiskorn mit Makel und eines ohne (Peter Kapern)
    In der Thora steht, dass es verboten ist, Würmer zu essen, sagt er, und zitiert dann:
    "Von allem Gewürm, das auf der Erde kriecht, sollst Du nicht essen!"
    Und deshalb, sagt er, untersuche ich den Reis. Du isst doch schließlich auch keine Kakerlaken!
    Zwei Drittel der Israelis gehen nur in koschere Restaurants
    Eviatar ist ein Kontrolleur, ein Maschgiach, der im Auftrag des Oberrabbinats unterwegs ist. Um 11 Uhr morgens ist er in das Chooka gekommen, ein Restaurant auf der Bograshov Straße in Tel Aviv. Gleich rechts vom Eingang des Restaurants hängt das Kashrut-Zertifikat. Eine Urkunde mit Stempel und Unterschrift des Oberrabbiners, die belegt, dass in diesem Restaurant alles koscher ist, also alle Gerichte nach den unglaublich komplizierten jüdischen Speisevorschriften zubereitet werden. So ein Zertifikat zu haben ist wichtig, denn 70 Prozent aller Israelis gehen nur in koschere Restaurants. Eviatars Aufgabe ist es nun, aufzupassen, dass im Chooka auch tatsächlich alle Regeln eingehalten werden.
    Mit der Reiskontrolle hat er sein Pensum längst nicht erledigt. Als nächstes kümmert er sich um die Gemüsekisten, die ein Lieferant am Hintereingang abgestellt hat. Alles koscher? Alles mit den notwendigen Stempeln versehen? Denn auch für Blattsalat und Petersilie gibt es in der Thora strenge Vorschriften. So, wie für die gesamte Küche: Fleisch und Fisch dürfen zum Beispiel nie im selben Topf, im selben Fritteusenfett landen oder mit demselben Messer geschnitten werden. Und sie dürfen auch nicht im selben Kühlschrank liegen. All das kontrolliert der Maschgiach. Drei bis vier Stunden täglich verbringt Eviatar im Restaurant Chooka. Ist er hier fertig, dann kümmert er sich um die beiden anderen Restaurants, die er auch noch kontrolliert.
    Das Oberrabbinat hat ein gesetzlich geschütztes Monopol für die Vergabe von Kashrut-Zertifikaten. Und genau dagegen regt sich Widerstand. In Modiin, einer Stadt auf halbem Weg zwischen Tel Aviv und Jerusalem, sitzt Tani Frank an seinem Küchentisch. Er ist ein orthodoxer Jude, er hält sich selbstverständlich an die strengen Speisevorschriften. Und doch kämpft er gegen das System der Vergabe von Kashrut-Zertifikaten. Er will, dass das Oberrabbinat sein Monopol für die Zertifikats-Vergabe verliert. Deshalb engagiert er sich in einer strenggläubigen, aber marktliberalen NGO.
    "Wenn Du als Restaurantbesitzer ein Kashrut-Zertifikat haben willst, dann musst Du den Maschgiach für seine Arbeit bezahlen. Dabei soll der dich doch kontrollieren. Das ist doch ein ganz klarer Interessenskonflikt."
    Schwarze Schafe unter den Kontrolleuren
    Und nicht das einzige Problem. Die Restaurantbesitzer bekommen vorgeschrieben, bei welchem Lieferanten sie ihre Ware beziehen müssen. Das treibt nicht nur die Preise nach oben, sondern riecht auch immer nach Korruption. Und dann gibt es auch schwarze Schafe unter den Kontrolleuren, wie Tani Frank bei seinen Recherchen in Jerusalemer Restaurants herausgefunden hat:
    Tani Frank möchte die Zertifikatsvergabe modifizieren
    Tani Frank möchte die Zertifikatsvergabe modifizieren (Peter Kapern)
    "Vor anderthalb Jahren kam da ein Maschgiach in ein alteingesessenes Restaurant und sagt zum Besitzer: So, ab jetzt bezahlst Du für meine Arbeit das Doppelte. Der Restaurantbesitzer hat das abgelehnt, und dann haben ihm der Oberrabbi von Jerusalem und der Maschgiach das Kaschrut-Zertifikat aberkannt."
    Ein schwerer Schlag für einen Restaurantbetreiber in der durch und durch religiösen Stadt Jerusalem. Die Gäste blieben aus, der Laden, erzählt Tani Frank, steht mittlerweile kurz vor der Pleite. Beim Obersten Gericht klagt ein Hotel- und Gaststättenverband derzeit gegen das Kashrut-Monopol des Oberrabbinats. Und Tani Franks NGO hat sich der Klage angeschlossen.
    Die Kontrolleure der Kontrolleure
    Zurück nach Tel Aviv, ins Chooka. Da kommt gerade Brach El mit einem Gruß durch die Tür. Er ist ein Mefakeach. Er arbeitet im Auftrag der Stadt Tel Aviv und sorgt dafür, dass der Maschgiach Eviatar schweißnasse Hände bekommt, sobald er auftaucht:
    "Die Aufgabe des Mefakeach ist es, meine Arbeit zu überprüfen. Per App kann er sehen, in welchem Restaurant ich gerade bin. Und dann taucht er plötzlich auf und kontrolliert mich. Er kann mich jederzeit feuern. Und das hieße, dass ich von jetzt auf gleich nichts mehr verdienen würde."
    Brach El, das heißt auf Deutsch: Gottes Segen, hat kürzlich erst zwei Maschgiach auf die Straße gesetzt. An Eviatars Arbeit hat er aber nichts auszusetzen. Brach El kontrolliert alles, was Eviatar auch schon kontrolliert hat, noch einmal. Den Reis, die Kühlschränke, die Stempel auf den Salattüten. Nebenbei erklärt er uns ein paar weitere der vielen Speisevorschriften. Zum Beispiel, dass in einem koscheren Restaurant nur Juden kochen dürfen, Nicht-Juden dürfen nur als Küchenhilfen beschäftigt werden. Aber die Thora ist auch in diesem Punkt auslegbar und bietet Möglichkeiten für flexible Arbeitsabläufe in der Küche:
    Brach El ist Mefakeach und kontrolliert im Auftrag der Stadt Tel Aviv die Maschgiachs
    Brach El ist Mefakeach und kontrolliert im Auftrag der Stadt Tel Aviv die Maschgiachs (Peter Kapern)
    "Wenn morgens der Jude in die Küche kommt und den Gasherd und die Fritteusen anstellt, dann ist es in Ordnung, wenn ein Nicht-Jude den Tag über die Speisen auf die Flamme oder in die Fritteuse legt. Schließlich hat dann ja ein Jude den Anfang gemacht."
    "Geld macht sogar die weisesten und ehrlichsten Menschen blind"
    Ob bei der Vergabe der Zertifikate durch die Maschgiach alles koscher zugeht, wollen wir wissen. Das ist der Moment, in dem Brach El etwas schmallippig wird:
    "Ich weiß darüber nichts. Aber man ja kann's nicht wissen. In der Thora steht geschrieben, dass Geld sogar die weisesten und ehrlichsten Menschen blind macht. Also, wenn es Korruption gibt, dass ist das Kashrut-Zertifikat an der Tür jedenfalls wertlos und nur noch ein Stück Dekoration," sagt der Mefakeach und schaut in seiner App nach, in welchem Restaurant der nächste Maschgiach gerade arbeitet, den er kontrollieren muss. Dann schnappt er sich seinen Helm, springt auf seinen Motorroller und stürzt sich in das Verkehrsgewühl auf der Bograshov in Tel Aviv.