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Lebensmittelüberwachung
Krankheitserregern in Fleisch, Eiern und Rohmilch auf der Spur

Listerien, Salmonellen, Noroviren: Immer wieder landen mit Keimen belastete Lebensmittel auf dem Teller - und verursachen rund 200.000 Erkrankungen pro Jahr. Nur wenige sind bisher großen Ausbrüchen zuzuordnen. Doch genauere Untersuchungen zeigen: Viele Einzelfälle hängen doch zusammen.

Volkart Wildermuth im Gespräch mit Ralf Krauter | 04.11.2019
Mikroskopische Ansicht der Listeria monocytogenes. Listeria monocytogenes ist der Erreger der bakteriellen Infektion namens Listeriose.
Erreger der Listeriose (imago / StockTrek Images)
Ralf Krauter: Beim Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin gab es heute ein Symposium zu Lebensmittel, die krank machen, weil sie mit Keimen kontaminiert sind. Also zum Beispiel Eier, die mit Salmonellen belastet sind, oder Wurstwaren, die jene Listerien enthalten, an denen vor wenigen Wochen mehrere Menschen gestorben sind. Als Verbraucher fragt man sich nach solchen Skandalen ja immer: Wäre das nicht zu verhindern gewesen?
Der Wissenschaftsjournalist Volkart Wildermuth hat sich die Diskussion der Experten in Berlin angehört. Herr Wildermuth, welche Keime standen da denn heute beim Bundesinstitut für Risikobewertung im Focus?
Volkart Wildermuth: Die Liste ist lang und umfasst auch wirklich exotische Kandidaten und die verursachen jedes Jahr rund 200.000 Krankheitsfälle. Aber es gibt da eine klare Rangfolge. Mit deutlich über 70.000 Fällen sind die Noroviren am verbreitetsten. Der Durchfall ist unangenehm, die meisten stecken ihn aber weg. Aber gerade für ältere Menschen, die sowieso mit anderen Krankheiten zu kämpfen haben, werden Noroviren manchmal zum Verhängnis. Vergangenes Jahr starben so 25 Menschen. Ähnlich häufig sind Infektionen mit dem Durchfallerreger Camphylobacter. Die Salmonellenfälle sind dagegen in den letzten zwanzig Jahren deutlich zurückgegangen - auf ein Zehntel, auf rund 13.500 Fälle. Das sind also die häufigen Erreger. Die Listerien haben dagegen nur rund 700 Menschen befallen, aber unter denen kam es zu 32 Todesfällen. Also auch wenn Listerien eher selten sind, haben sie doch eine große Bedeutung.
Die Rolle von großen Krankheitsausbrüchen
Ralf Krauter: Das hat ja auch der jüngste Ausbruch gezeigt, der letztlich auf einen Wursthersteller zurückging. Welche Rolle spielen solche Ausbrüche bei den absoluten Zahlen der Lebensmittelinfektionen?
Volkart Wildermuth: Darauf gibt es zwei Antworten. Von diesem Ausbruch mit Listerien vom Typ Sigma 1 sind bislang 37 Erkrankungen bekannt, fünf Personen sind verstorben. Das ist schrecklich, weil vermeidbar. Aber die überwiegende Mehrzahl der Listerien-Infektionen und auch Todesfälle finden abseits der bekannten Ausbrüche statt, das gilt nicht nur für Listerien, sondern ganz allgemein. Auf der Tagung in Berlin wurden die neuen Zahlen für 2018 vorgestellt. Man schätzt, dass es 200.000 Infektionen mit irgendeinem Lebensmittelerregern im Jahr gibt, aber nur 2.500 Infektionen finden innerhalb von Ausbrüchen statt, also ein gutes Prozent. Jetzt könnte man sagen, Ausbrüche sorgen für Schlagzeilen, aber das Geschehen spielt sich anderswo ab. Aber das ist nur die eine Seite. Nur wenn ein Ausbruch erkannt wird, kann man nachforschen, woher kommt eigentlich die Infektion? Und daraus kann man dann wieder ableiten, was getan werden muss, dass man sein Essen auch wirklich genießen kann.
Vermeintliche Einzelereignisse lassen sich Ausbrüchen zuordnen
Ralf Krauter: Wenn nur ein Prozent der Krankheitsfälle durch Lebensmittelinfektionen auf Ausbrüche zurückgehen, heißt das dann: 99 Prozent der Lebensmittelinfektionen sind Einzelereignisse, die sich kaum verhindern lassen?
Volkart Wildermuth: Nein, so ist das auch nicht und das zeigt auch gerade dieser Listerienausbruch. Dem ist man auf die Spur gekommen, weil man angefangen hat, das Genom dieser Erreger zu sequenzieren. Und dann konnte man sehen: Infektionen aus ganz unterschiedlichen Gemeinden gehen auf ein und denselben Erregertyp zurück und nachträglich konnte man sogar zeitlich weit zurückliegende Fälle diesem Ausbruch zuordnen. Ich habe verschiedene Forscherinnen gefragt und die einhellige Meinung war: Wenn man mehr sequenziert, dann wird man feststellen, viele vermeintliche Einzelfälle gehören eben doch zu Ausbrüchen.
Ralf Krauter: Mehr Erbgutanalysen, mehr Sequenzierung - ist das denn ein Wunsch der Wissenschaftler oder wird das schon gemacht?
Volkart Wildermuth: Ja, das wird auch schon gemacht. Das wurde in Berlin am Beispiel eines großen Ausbruchs von Salmonella Enterica diskutiert, einem Durchfall-Erreger. Da sind 306 Fälle bekannt geworden, wo ein spezieller Salmonellen-Typ auftritt, CT1734, verteilt über 12 Bundesländer und drei Jahre. Das wäre ohne die Sequenzierung nie aufgefallen.
Detektivarbeit nötig
Ralf Krauter: Ok, jetzt weiß man, da gibt es einen Ausbruch, aber wie geht es weiter? Es gibt ja kein Restaurant zum Beispiel, das man schließen könnte.
Volkart Wildermuth: Stimmt, einen Ausbruch zu entdecken, das ist der Anfang, dann geht eine wahre Detektivarbeit los. Schritt eins, die Patienten werden befragt und dabei fiel auf: Viele von ihnen hatten kurz vor den Durchfällen Eier gegessen. Schritt zwei: Spurensuche. Bei zwei Haushalten fanden sich im Mülleimer tatsächlich noch Eierschalen, auf denen CT1734 nachweisbar war. Einmal wurde daraus Tiramisu zubereitet und einmal Zuckerei, rohes mit Zucker aufgeschlagenes Ei. Also in beiden Fällen waren die Speisen nicht erhitzt - freie Bahn für die Salmonellen. Laut den Eierkartons kamen die Eier der einen Familie aus einem deutschen Betrieb, die anderen Eier stammten aber aus den Niederlanden. Also kein einheitliches Bild. Deswegen hat man angefangen, eine spezielle Software zu nutzen, FoodChain-Lab. Damit kann man weiterverfolgen, woher haben die Leute denn eigentlich ihre Rohstoffe bezogen. Und da konnte man zwei Hühnerbetriebe identifizieren. Da hat sich herausgestellt, dass einer dieser Betriebe alles desinfiziert hat. Der spezielle Erreger kam trotzdem wieder. Vielleicht hat CT1734 eine Resistenz gegen Desinfektionsmittel und ist deshalb so bedeutsam.
Ralf Krauter: Das klingt alles ziemlich aufwändig und komplex. Werden denn solche Analysen in Zukunft Standard sein?
Volkart Wildermuth: Da gucken die Forscherinnen ein bisschen neidisch nach Dänemark und England, dort ist das schon üblich. Bei uns fängt das jetzt an. Es ist schwierig, da müssen ganz viele Behörden zusammenarbeiten. Aber das fängt eben an, wird immer häufiger gemacht. Und gerade was das Thema Rückverfolgung betrifft, da tut sich einiges. Nächstes Jahr gibt es ein Modellprojekt, das die Betriebe nicht mehr angeschrieben werden müssen, "wo habt Ihr denn eure Rohstoffe herbekommen?", sondern dass die das vorab in Datenbanken abspeichern, und das wird diese Analyse dramatisch beschleunigen, da hoffen jetzt alle darauf.