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Lebenswende-Feier
Segen für die Sinnsucher

Im Erfurter Dom spielt die Band Stairway to Heaven, Jugendliche erzählen, was ihnen wichtig ist: Die Lebenswende-Feier ist ein Ritual für alle, denen Konfirmation und Firmung ebenso fremd sind wie die Jugendweihe. Das Angebot kommt zwar von der katholischen Kirche, doch Gott bleibt diskret im Hintergrund.

Von Henry Bernhard | 06.06.2016
    Der Erfurter Dom.
    Lebenswende-Feier im Erfurter Dom (imago/stock&people/Karina Hessland)
    Es klingt wie ein Gottesdienst; es sieht aus wie ein Gottesdienst; aber es riecht nicht wie ein Gottesdienst: Der Weihrauch fehlt im Erfurter Dom an diesem Samstagvormittag. Drei Dutzend Jugendliche, viele noch eher Kinder, warten aufgeregt auf die Feier der Lebenswende. Bei ihnen sitzen Eltern, Großeltern, Geschwister, Verwandte. Kirchen kennen die meisten allenfalls aus Besichtigungen, weniger aus Gottesdiensten.
    "Herzlich Willkommen im Dom zu Erfurt. Herzlich willkommen vor allem euch, den Jugendlichen!"
    Bruder Jeremias ist Augustiner-Mönch in Erfurt.
    "Das wollen wir heute euch anbieten: Dass ihr ein gutes Wort hier mitnehmt. Dass ihr den Segen der christlichen Gemeinde hier mitnehmt, für den wir für euch bei Gott bitten."
    In Erfurt seit 18 Jahren ein Ritual
    Ein Segen für die Gottlosen. Was in mehrheitlich christlich geprägten Gebieten seltsam klingen mag, vielleicht absurd, ist in Erfurt seit 18 Jahren ein Ritual. Der damalige Dompfarrer und heutige Weihbischof Reinhard Hauke hat die "Lebenswende" selbst "erfunden". Er unterrichtete damals Religion für die Konfessionslosen an einer katholischen Schule.
    "Als ich 1997 einmal ins Lehrerzimmer kam in der Edith-Stein-Schule, sah ich Flyer auf den Tisch. Und diese Flyer luden ein zur Jugendweihe."
    Die Jugendweihe, ein Initiationsritual in ursprünglich freireligiös-freidenkerischer Tradition, wurde in der DDR zum Bekenntnis zum sozialistischen Staat umgedeutet, dessen Verweigerung regelmäßig Nachteile nach sich zog: Wer die Jugendweihe ablehnte, durften oft kein Abitur machen oder nicht studieren. Mit der Feier wollte man auch den Kirchen die Basis entziehen. Nach der Revolution 1989 hat aber die Jugendweihe im mehrheitlich atheistisch geprägten Osten überlebt.
    Dazu Hauke: "Und da habe ich mir gesagt: Also, wenn die Flyer jetzt schon in der katholischen Schule gelandet sind, jetzt ist es Zeit, dass du mal irgendwas machst! In der Frage nämlich: Kann man junge Menschen, die ohne Konfession sind und in einer katholischen Schule sind, einladen zu einer sinnvollen Gestaltung des Erwachsenwerdens?"
    Die Verärgerung, dass sich die Jugendweihe auch mehr als 25 Jahre nach der Wende so gut im Osten erhalten hat, ist in den Kirchen groß. Reinhard Hauke entwickelte mit anfangs acht Jugendlichen der 8. Klasse die Lebenswende - eine nichtkonfessionelle Feier im kirchlichen Rahmen.
    Symbole, Texte und Musik selbst ausdenken
    Seit 1998 gibt es so die Lebenswende als feste Form in Erfurt, jährlich nehmen 70 bis 90 Jugendliche teil. Die Jugendlichen gestalten einen Großteil der Feier selbst – musikalisch, mit selbstgestalteten Tüchern und mitgebrachten Erinnerungsstücken an die Kindheit.
    "Ich habe heute meinen kleinen Basketball mitgebracht, da Basketball für mich meine große Leidenschaft ist. Auch möchte ich meiner Familie dafür danken, dass sie mich bei jeder meiner Schritte und Spiele unterstützt haben."
    "Ich habe diesen Stoffelefanten mitgebracht, weil ich ihn im Kleinkindalter von meiner Mama geschenkt bekommen habe und er mich durch meine Kindheit begleitet hat."
    In den Vorbereitungstreffen, die sich über ein halbes Jahr hinzogen, haben sie über den Sinn des Lebens gesprochen, über Ziele, über Nächstenliebe. Auch mit Pfarrer Michael Neudert.
    "Wir wollen zusammen in ein Seniorenheim gehen. Hat jemand von euch schon eine Erfahrung gemacht, eine Begegnung gemacht? Vielleicht jemand, der im Seniorenheim ist?"
    "Wir waren schon oft im Seniorenheim, und wenn es zu Auftritten mit unserem Tanzverein oder was auch immer war. Prinzipiell kommt es immer darauf an, wie die Menschen sind, die sich um die älteren Menschen kümmern. Das sieht man ja oft, dass das einfach nur abgestempelt wird."
    "Also, sehr aufgeschlossene Menschen; die wollten viel reden. Teilweise waren die auch so fröhlich berührt über uns, dass wir da hingekommen sind und die unterhalten haben quasi. Also, die Menschen freuen sich, wenn sie besucht werden."
    Missionierung, Bekehrung?
    Neudert ist froh über jeden Ungetauften, der nicht zur Jugendweihe geht und stattdessen zu ihm kommt. Zu schlecht die Erinnerungen an die DDR. Man wolle aber keinesfalls missionieren. Das Christliche scheine ohnehin überall durch und werbe für sich. Der Bischof sieht das etwas konkreter.
    "Für mich sind sie erst einmal Menschen, die einen guten Willen haben, eine Offenheit haben für die Kirche, aber nicht beten und keine Konfession haben. Ich bete sicher auch für die, dass sich das vielleicht auch mal ändert irgendwann, und habe doch die Hoffnung, dass sie zumindest eine positive Erfahrung mit Kirche machen. Ich sage ja immer. Das Klingeln am Pfarrhaus ist der entscheidende Bekehrungsschritt."
    Und für Cordula Hörbe, als Gemeindereferentin mit der Vorbereitung der Lebenswende betraut, ist es eine tiefe Genugtuung, dass Atheisten zumindest den Raum und die Rituale ihrer Kirche schätzen und nutzen.
    "Das war unglaublich! Ich selbst bin aus einem Milieu, in dem selbstverständlich war, dass Glaube unwissenschaftlich ist, falsches Denken, und dass das Betreten einer Kirche und das Sein in einer Kirche etwas ist für Menschen aus vergangenen Jahrhunderten. Und nun sind da Menschen, die kommen und die unsere Hoffnung in Anspruch nehmen. Ja, und das ist als Mensch, der im Sozialismus großgeworden ist, unglaublich."
    Alternative zur Jugendweihe?
    "Wenn wir uns erinnern,
    dass jeder Mensch das gleiche Recht hat,
    wenn wir Achtung und Respekt voreinander haben,
    dann wird es hell unter uns.
    Dann siegt das Licht in der Nacht,
    dann finden Menschen zum Frieden
    und die Freude erwacht."
    Die Jugendlichen bekommen eine Kerze von einer Person ihres Vertrauens und schenken eine Rose jemandem, dem sie viel verdanken. Rituale, die einer Firmung nicht unähnlich sind. Am Ende steht der Segen.
    "Herr, segne uns alle! Du, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist. Amen!"
    Und die Jugendlichen, was treibt sie an, nicht zur Jugendweihe zu gehen? Lea Sailer und Paula Molsdorf hatten von ihren Eltern nichts Gutes über die Jugendweihe gehört.
    Lea Sailer:
    "Wir fanden es eine persönlichere Art als die Jugendweihe, in das Erwachsenenleben überzugehen. Die Treffen vor der Feier sind sehr persönlich, da man da sich auf die Feier vorbereitet und gewisse Themen anspricht."
    Paula Molsdorf
    "Na ja, ich habe eine Alternative zur Jugendweihe gesucht und auch nichts Kirchliches, wozu man auch getauft sein muss. Und da habe ich halt die Lebenswende entdeckt."
    Die Organisatoren der Jugendweihe sehen die Lebenswende mit gemischten Gefühlen: So einige Rituale hätten sich die Katholiken da bei ihnen abgeschaut, meint Dana Grosch vom Jugendweihe-Verein Erfurt.
    "Keine Konkurrenz! Das ist eine Tatsache und Fakt, die Lebenswende für uns. Wir wollen eigentlich keine Wertung vornehmen; wir sind da tolerant. Jeder muss seine Rituale da entsprechend seiner Wünsche und Bedürfnisse finden, und wir akzeptieren das natürlich auch."
    In katholischen Kreisen ohne DDR-Hintergrund spekuliert man sogar über eine mögliche Kooperation zwischen Lebenswende und Jugendweihe. Für die DDR-Erfahrenen bleibt das: unvorstellbar.