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Lebenszeichen aus der Opposition

Auf die FDP ist Verlass. Sobald die Scheinwerfer eingeschaltet sind, die Kameras laufen, ist ihr Kleinmut fremd. Nicht die Arbeit am politischen Detail inszeniert sie dann, die ehemalige Drei-Pünktchen-Partei, sondern den Anlauf zum großen Wurf.

Von Peter Kapern und Jochen Spengler | 01.06.2008
    Wie eine Botschaft, die mit aufgeblasenen Backen herausposaunt wird, prangt das Motto des Parteitags an der Stirnwand der Münchener Messehalle. Mehr Freiheit. Mehr Wohlstand. Mehr Netto für alle. Warum, mag man sich fragen, fehlt das Versprechen, auch gleich noch für mehr Gesundheit zu sorgen? Mehr Freiheit also. Sie wird, so Parteichef Guido Westerwelle, scheibchenweise eingeschränkt. Vom Staat, aber auch von der Gesellschaft selbst, die den Wert der Freiheit erst später, hoffentlich nicht zu spät, zu schätzen lernen wird:

    "Erst, wenn die Luft zum Atmen dünner wird, wenn sie einem fehlt, merkt man erst, wie sehr man sie braucht, und so ist es mit der Freiheit auch."

    Und dann - mehr Wohlstand. Der allgemeine Linksrutsch der politischen Landschaft, so die Kernbotschaft von München, hat die einstmals so umworbene Mitte verwaist zurückgelassen. Alle Parteien kümmern sich um die Sorgenkinder der Gesellschaft, keine Partei findet sich mehr, die sich um die ganz normalen Menschen kümmert. Keine Partei?

    "Es muss noch eine Partei in Deutschland geben, die kümmert sich um die ganz normale Mitte, aber wenn ich mir manche Nachmittags-Talkshow im Fernsehen ansehe, kriegt man ja einen völlig falschen Eindruck; ich habe eine große Überraschung: die Mehrheit der Deutschen steht morgens noch auf und um die muss es auch gehen; es muss auch endlich eine Entlastung her, für die, die das Land tragen, meine Damen und Herren - die ganz normale Mittelschicht."

    Und um diese vergessene Mitte will die FDP bis zur Bundestagswahl in einem guten Jahr werben. Was bewegt diese ominöse Mitte, dieses ebenso umworbene wie unbekannte Wesen? Die Klimafrage? Die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit? Die Frage nach der inneren oder äußeren Sicherheit? Nein, so der Befund des Chefliberalen Guido Westerwelle, die Mitte ist derzeit fixiert auf den Inhalt ihres Portemonnaies. Die Kernfrage der Gegenwart, so Westerwelle wörtlich, sei die Nettofrage:

    "Es kann nicht so sein, dass der Bürger sich zuhause freut, weil er eine Gehaltserhöhung bekommt - und dann merkt er plötzlich, dass sie ihm beinahe in die Progression hinein rutscht, trotzdem weniger im Portemonnaie hat."

    Seltsam nur: Obwohl die Liberalen den Bürgern also ein volleres Portemonnaie versprechen, was an sich ja ein treffliches Mittel ist, um Aufmerksamkeit zu finden, attestieren Beobachter der Partei, sie bewege sich weitgehend hinter dem Wahrnehmungshorizont der Öffentlichkeit.

    "Ja, es ist vielleicht ein bisschen langweilig; in der FDP werden im Augenblick keine großen Debatten geführt - da gibt es auch außer Guido Westerwelle kaum einen mitreißenden Redner und aus diesem Grunde ist die FDP im Augenblick politisch etwas im Windschatten", "

    beschreibt der Politikwissenschaftler Jürgen W. Falter ein schon länger anhaltendes Problem der FDP. Das Publikum interessiert sich einfach nicht für die Liberalen.

    Umso ärgerlicher, dass parallel zum Münchener FDP-Parteitag SPD-Chef Kurt Beck seinen Zukunftskongress abhielt, der angesichts der ungewissen Zukunft der Sozialdemokraten auf ein deutlich größeres Medieninteresse stieß. Auch im vergangenen Jahr hatte die FDP Pech. Just als sie sich in Stuttgart zum Parteitag zusammenfand, um über Kultur- und Sozialpolitik zu debattieren, da vereinigten sich PDS Ost und WASG West zur Linkspartei.

    Und weil schon der Rostocker Parteitag der Liberalen vor zwei Jahren im Schatten Kurt Becks stand, der damals auf einem Sonderparteitag den Vorsitzenden Matthias Platzeck ablöste, mag FDP-Generalsekretär Dirk Niebel nicht mehr an Zufall glauben.

    " "Unsere Parteitage werden ein Jahr vorher geplant, und wir haben vor einem Jahr schriftlich alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien über den Termin und den Ort des Parteitages informiert. Es gab in den vergangenen Jahren einen Common sense: dass andere Parteien nicht auf Termine von ordentlichen Parteitages gehen - der ist schon zum zweiten Mal gebrochen worden von der SPD, von den Linken sowieso, aber bei denen hätten wir auch nichts anderes erwartet; das muss man zur Kenntnis nehmen."

    Und sich ärgern, wenn der alljährliche Höhepunkt des Bemühens, aus der öffentlichen Bewusstseinslücke aufzutauchen, auf solche Weise konterkariert wird. Stell dir vor es ist FDP und keiner schaut hin!

    Wenn dann aber doch mal einer hinschaut, dann - so wünscht es Guido Westerwelle - dann soll kein Streit und kein Scharmützel das Bild der liberalen Geschlossenheit trüben.

    "Ich weiß, dass Geschlossenheit manchmal von vielen als langweilig empfunden wird; ich weiß das auch! Natürlich wird die SPD größere Schlagzeilen kriegen am heutigen Tag, aber auf die Schlagzeilen von Herrn Beck verzichte ich gerne - Wahlergebnisse sind besser, meine sehr geehrten Damen und Herren."

    Viele in der Partei sind allerdings davon überzeugt, dass der Erfolg beim Bürger größer sein könnte, sein müsste, in einer Zeit, in der die großen Parteien kontinuierlich an Stimmen und Mitgliedern verlieren. Davon zu profitieren, ist den Freien Demokraten bislang kaum gelungen. Christian Linder, Generalsekretär der FDP in NRW, ist nicht der einzige, der offenere Debatten fordert:

    "Der FDP steht es gut an, wenn sie auch an, wenn sie auch über politische Überzeugungen diskutiert, wenn sie ringt um ihre Antworten; das macht uns nach draußen spannend..."


    "Ich glaube, dass die FDP mehr Mut haben muss, auch inhaltliche Kontroversen öffentlich zu debattieren","

    ergänzt die ehemalige Generalsekretärin der Bundes-FDP, Cornelia Pieper.

    " "Das offene Ringen um den besten Weg ist, glaube ich, der bessere Weg, als jetzt zum Thema gar nichts zu sagen oder dadurch, dass es eben keine Kontroverse gibt, nicht in der Öffentlichkeit stattzufinden."

    Man müsste natürlich auch spannende Anliegen haben, um die innerparteilich gerungen wird. Bislang wird die FDP in der Öffentlichkeit vor allem als Ein-Punkt-Partei, als Steuersenkungspartei wahrgenommen und vor allem jüngere Parteimitglieder monieren die programmatische Beschränktheit als eine Ursache für mangelnde Anziehungskraft.

    Was heißt für die FDP soziale Gerechtigkeit, wie sieht eine vernünftige Schul- und Bildungspolitik aus, welche Bürgergesellschaft wollen die Liberalen, zu welchen Werten stehen sie, wie werden sie sympathischer, wie wird die FDP eine Partei nicht nur für den Verstand, sondern auch fürs Herz? Fragen, die nicht wenige in der Partei stellen und die in der Frage gipfelte:

    "Ob wir nicht eine neue Grundsatzdebatte in der Partei brauchen, ein neues Grundsatzprogramm brauchen, weil es einfach - die Welt sich verändert hat und weil das Programm Mitte der Neunziger Jahre geschrieben wurde und sich seitdem viel getan hat."

    Doch Johannes Vogel, Chef der Jungliberalen, wurde von der Parteispitze in München abgeblockt. Dirk Niebel, der Ausputzer Westerwelles, stellt klar: Eine programmatische Enge gibt es nicht, für ein Grundsatzprogramm benötige man drei Jahre, vor dem Wahlmarathon im nächsten Jahr ist das nicht zu schaffen und im Übrigen gelte:

    "Wir haben ein hervorragendes Grundsatzprogramm in den Wiesbadener Grundsätzen, das im wesentlichen die Bürgergesellschaft beschreibt, wie wir sie uns vorstellen und ein Großteil dessen - eigentlich fast Alles - ist noch nicht umgesetzt, und deswegen braucht man sie nicht neu zu schreiben, sondern muss sie noch wieder auf die Agenda setzen."

    Basta. Es bleibt einstweilen bei der programmatischen Enge und die entspricht der dünnen Personaldecke. Der Politikwissenschaftler Jürgen W. Falter:

    "Ich glaube, es ist ein großer Fehler, das alles auf eine Person zuläuft; es ist zwar verständlich, dass er Parteivorsitzender und Fraktionsvorsitzender ist, dass er aber sozusagen der Einzige ist, der regelmäßig nach außen hin sichtbar für die FDP spricht - ab und zu darf auch sein Generalsekretär Niebel ran - aber insgesamt eben tatsächlich die FDP mit Westerwelle identifiziert, dass nicht andere starke Personen, wie das früher der Fall war, für verschiedene Politikbereiche stehen; das halte ich für einen enormen Nachteil..."

    Trotzdem: Guido Westerwelle steht unangefochten an der Sitze der Partei. Und alternativlos. Neben ihm stehen erfahrende Politiker, allesamt vereint im Makel: Ihnen haftet das Odium des Gestrigen an. Man hat sie schon lange und oft gesehen, in Landes- und Bundesregierungen, in den Parlamenten. Rainer Brüderle, den Kreuzritter des Mittelstandes, der lange Jahre in der Landesregierung von Rheinland-Pfalz für Wirtschaft und Weinbau zuständig war. Wolfgang Gerhard, glückloser Ex- Chef von Partei und Bundestagsfraktion. Dazu Herman Otto Solms, der ewige Steuersenker und die seit Jahrzehnten kampferprobte Heilige Johanna der Bürgerrechte, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Hinter Westerwelle steht ein Talentschuppen, der es noch nicht in die erste Reihe geschafft hat. Allen voran der Vorsitzende der niedersächsischen Landtagsfraktion, Philipp Rößler. Dazu einige ausgewiesene Fachpolitiker der Bundestagsfraktion. Otto Fricke, der Haushälter, Daniel Bahr, der Gesundheitsexperte. Fähig, aber noch zu unerfahren für die großen Aufgaben, so das allgemeine Urteil. Und so ist die gesamte Partei auf Guido Westerwelle fokussiert, der von 1994 bis 2001 ihr Generalsekretär war und seit sieben Jahren ihr Vorsitzender ist. Westerwelle ist seit Jahren der einzige Liberale, der öffentlich wahrnehmbar ist. Zeitweise schien er ein Abonnement auf einen Stuhl in jedem Fernseh-Polittalk zu haben. Anfang des Jahres regte sich dann erstmals Unmut. Wolfgang Gerhard, den Westerwelle von der Spitze der Fraktion und der Partei verdrängt hatte, warnte die FDP vor einer . Die Partei müsse sich personell breiter aufstellen. Nun, kein halbes Jahr später, mag er diese Kritik an Westerwelle, dem liberalen Alleinunterhalter, nicht mehr untermauern:

    "Ich habe das selbst mal kritisch bemerkt zu Beginn des Jahres, aber dann gibt es auch seitdem Lockerungsübungen und Verbreitungsvorschläge und es wird mit Sicherheit zur Bundestagswahl eine Mannschaft erkennbar sein."

    Erkennbar war auf dem Parteitag jedenfalls, dass sich nur wenige Delegierte daran stoßen, dass die Liberalen in der Öffentlichkeit so sehr mit ihrem Vorsitzenden gleichgesetzt werden. Und dies, obwohl Meinungsforscher darauf hinweisen, dass Westerwelle die FDP Stimmen kostet. Seine Beliebtheitswerte, so die Forschungsgruppe Wahlen, liegen stabil bei Null. Der Bundestagswahlkampf von 2002 haftet ihm an wie ein Muttermal. Damals turnte er durch die Container von Big Brother, klebte sich 18-Prozent-Aufkleber auf die Schuhsohle und bereiste Deutschland im Guidomobil, während die politische Konkurrenz auf den aufgeweichten Elbdämmen stand. Der Spaßpolitiker war geboren, dem bis heute das Image anhaftet, nicht ganz seriös zu sein. Auch stoßen sich viele Wähler an seiner konstant schrillen Tonlage. Wenn Westerwelle redet, geht es immer ums Ganze, um die Zukunft, um Deutschland, darum, den Untergang abzuwenden. Er könne durchaus auch anders, wolle aber nicht, beharrte Westerwelle auf dem Münchener Parteitag:

    "Wir können Politik nicht immer nur so betreiben, dass es schöngeistig zu einem fabelhaften Kommentar im Feuilleton führt; da bin ich strikt dagegen! Ich weiß dass ich da ja auch gelegentlich einiges abkriege für; aber ich bleibe dabei, Politiker sind auch die Übersetzer von Politik und ich habe nicht die Absicht, volksnahe Sprache Anderen zu überlassen, weil ich nicht die Absicht habe, dass wir da bleiben, wo wir sind, sondern, weil wir wachsen wollen, damit die Kraft der Freiheit mehr Einfluss bekommt; das ist doch das eigentliche Ziel unserer Arbeit, meine Damen und Herren."

    Die FDP - also eine einzige große Guido-Show? Bis zur Bundestagswahl 2009 wird sich nichts tun. Dann wird die FDP im 11. Jahr in der Opposition sein. Sollte sich auch dann nichts daran ändern, dürften die Zeiten der namens Westerwelle wohl zu Ende gehen.

    Wie der Vorsitzende seine Partei zurück in die Regierungsverantwortung führen will, das machte der Münchener Parteitag deutlich. Massive Steuersenkungen sollen massiven Wählerzuspruch bringen. Und begründet hat Westerwelle dies mit massiven Angriffen auf die Große Koalition:

    "Das Abkassieren der Mitte - es geschieht durch die Sozis, und zwar die roten und durch die schwarzen Sozis - es ist doch so: bei dieser Regierung sind alle, die arbeiten die Deppen der Nation, und wir müssen endlich dafür sorgen, dass wieder die Mitte in diesem Land entscheidet, und dass die Mittelschicht endlich Solidarität bekommt."

    Das Konzept, das die FDP auf ihrem Parteitag beschloss, war, in weiten Teilen, ein alter bekannter Bekannter. Ein Drei-Stufen-Modell, das die Bürger nicht nur entlastet, sondern mit dem das Steuerrecht zudem radikal vereinfacht werden soll. Ein solches Drei-Stufen-Modell ist bereits von mehreren FDP-Parteitagen beschlossen worden, von Jahr zu Jahr wurde es lediglich leicht modifiziert. In seiner jüngsten Version, die heute beschlossen wurde, sieht es drei verschiedene Steuersätze vor. Bis zu einem Jahresbruttoeinkommen von 20.000 € werden 10 Prozent Steuern fällig, zwischen 20.000 und 50.000 Euro sollen es 25 % sein. Und wer mehr als 50.000 verdient, zahlt den Spitzensteuersatz von 35 Prozent. Gleichzeitig sollen die Freibeträge auf 8000 € angehoben werden, und zwar für Erwachsene gleichermaßen wie für Kinder. Und schließlich soll das Kindergeld auf 200 € steigen. Unter dem Strich bedeutet dies, dass eine vierköpfige Familie mit einem Jahresbruttoeinkommen von etwas über 40.000 Euro überhaupt keine Steuern mehr zahlen würde. Gleichzeitig will die FDP Bund, Ländern und Gemeinden ein Neuverschuldungsverbot auferlegen. Der Finanzexperte Hermann-Otto Solms:

    "Haushaltskonsolidierung und Steuersenkung sind zwei Seiten derselben Medaille. Wir wollen nicht auf Kosten unserer Kinder leben; das muss nun endlich beendet werden - und das ist machbar."

    Das eigentlich Neue ist die Einbindung eines sogenannten Bürgergeldes in das Steuerkonzept. Das Bürgergeld, das ist die Bündelung zahlreicher Sozialleistungen vom Arbeitslosengeld II über das Wohngeld bis hin zur Sozialhilfe. Alle diese Leistungen sollen ein Grundeinkommen darstellen, auf das jeder Bürger Anspruch hat, der seinen eigenen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann.

    "Das ist uns ein ganz wichtiges Anliegen, nicht nur, weil wir damit die soziale Flanke schließen, was dringend notwendig ist, sondern weil wir auch zeigen, dass wir ganzheitlich denken, das wir das Ganze in ein System fassen können."

    Nach Vorstellung der FDP soll dieses Grundeinkommen bei rund 660 Euro liegen. Wer Arbeit ablehnt, so sieht es das Konzept vor, dessen Grundeinkommen wird gekürzt. Und, so fügte Hermann Otto Solms hinzu, wer Arbeit mehrfach ablehnt, dessen Grundeinkommen wird drastisch gekürzt.

    Der Charme des Bürgergeldes liegt nach Auffassung der Liberalen darin, dass es den Arbeitslosen einen leichteren weil gleitenden Übergang in die Berufstätigkeit ermöglicht. Ein Zusatzverdienst soll sich lohnen, indem das Grundeinkommen nur schrittweise bei steigendem, eigenem Einkommen abgesenkt wird. Unter dem Strich, so das Versprechen der FDP, soll niemand schlechter abschneiden als heute beim Arbeitslosengeld II. Geheimnisumwölkt blieb in München die Antwort auf die
    Frage, wie die FDP die Kosten ihres Steuer- und Bürgergeldmodells finanzieren will. Immerhin sollen die Steuerzahler um insgesamt knapp 30 Milliarden Euro entlastet werden. Das Gegenfinanzierungskonzept, das den Delegierten erst während der Debatte vorgelegt wurde, weist etwa Mehreinnahmen des Staates durch die Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs von pauschal 2 bis 3 Milliarden Euro aus. Außerdem zusätzliche, nicht konkretisierte Privatisierungserlöse von 4 Milliarden und nicht näher genannte Subventionskürzungen von ebenfalls vier Milliarden Euro. Ein Rechenmodell, das sich nun bis zur Bundestagswahl im Schlagabtausch mit den anderen Parteien bewähren muss.

    Mit wem die FDP dann regieren will, diese Frage blieb in München unbeantwortet. Nach der Koalitionsentscheidung in Hamburg, wo ein schwarz-grünes Pilotprojekt gestartet wurde, hatte Guido Westerwelle das Kommando für einen Kurswechsel gegeben. Die FDP sollte nicht mehr auf Gedeih und Verderb an die Union gekettet sein. Wir können auch mit den anderen, den Sozialdemokraten - so sein Signal damals. Beim Münchener Parteitag lieferte er eine weitere Lesart: Geht man nach dem, was SPD und Union in der Großen Koalition so treiben, dann kann man eigentlich weder mit Schwarz noch Rot eine Regierung bilden. Der SPD attestierte er, unabhängig vom Kooperationsangebot, das Kurt Beck am Samstag Liberalen und Grünen unterbreitet hatte, die Koalitionsfrage im Prinzip entschieden zu haben.
    Und zwar durch die Aufstellung von Gesine Schwan als Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten:

    "Wenn SPD, Grüne und Links-Partei den amtierenden Bundespräsidenten abwählen wollen, dann rufen wir Liberale: Bürger hört die Signale; dann werden sie auch bereit sein, jedes andere Staatsamt gemeinsam zu besetzen.

    Ob die SPD etwas anderes beschließt, ob sie es notariell beglaubigen lässt und anschließend an jede Kirchentür nagelt, es wird ihr die Glaubwürdigkeit nicht zurück bringen. Die Bürger haben längst Klarheit, und deswegen sagen wir den Bürgerinnen und Bürger: Der beste Schutz vor Links ist Liberal!"

    Und Generalsekretär Dirk Niebel untermauerte diese These. In seiner Rede zum Abschluss des Parteitags sagte er:

    "Bevor Kurt Beck so tut, als wolle er Brücken bauen, muss er erst einmal die Tunnel zur PDS zuschütten. Das ist die wichtigste Voraussetzung, wieder ein Stück Glaubwürdigkeit zu kriegen."

    Ebenso hart wie mit der SPD gingen die Liberalen in München mit der Union zu Gericht. Zumal mit der CSU, die die FDP bei den Landtagswahlen Ende September unter die 50-Prozent-Marke drücken will. Deren Steuersenkungskonzept sei opportunistisch und unseriös, außerdem stehe Sie durch die Verschärfung der Sicherheitsgesetze für die Aushöhlung der Bürgerrechte. Parteichef Guido Westerwelle:

    "Ich lese gelegentlich, wir seien in einem Lager mit einer anderen Partei; das sehe ich ganz anders: Die FDP ist in keinem Lager mit irgendeiner anderen Partei; wenn, dann sind wir unser eigenes Lager mit dem Unterschied, dass deren Lager schrumpfen und unseres wächst, meine Damen und Herren."