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Leckerbissen des jüdischen Humors

"Relatively Speaking" ist ein Abend mit drei Einaktern von Kultautor Ethan Coen, Filmautorin Elaine May und dem Altstar des paranoiden Stadtlebens: Woody Allen, der erstmals seit 16 Jahren wieder fürs Theater gearbeitet hat.

Von Andreas Robertz | 25.10.2011
    Alle drei Stücke handeln von neurotischen Müttern und deformierten Kindern. Und alle drei Stücke sind Leckerbissen des jüdischen Humors.

    Ethan Coens Einakter "Talking Cure" spielt in einer Gefängnispsychiatrie. Der Psychotherapeut der Anstalt versucht mit dem ehemaligen Postbeamten Larry ein Gespräch über die Gewalttat zu führen, die Larry in diese Institution brachte. Doch die sarkastischen Antworten des Patienten bringen den Arzt zunehmend aus dem Konzept. Der Autor Ethan Coen führt die psychoanalytische Annahme ad absurdum, dass jedes psychische Problem durch ein Gespräch geheilt werden könnte. "Wissen Sie", sagt der Arzt, "man kann das Problem durch einfaches Sprechen heilen, ohne den Gebrauch von Medikamenten." Larrys Antwort: "Was ist, wenn das Problem durch zu viel Reden ausgelöst wurde. Gibt es nicht auch ein Halt-ja-die-Fresse-Rezept?"

    "Talking Cure" schließt mit einer Szene vor Larrys Geburt, in der man einen heftigen Streit zwischen seiner schwangeren Mutter und seinem Vater sieht. Sie sprechen über unliebsame Gäste und die unendliche Enttäuschung, die der jeweils andere bedeutet. Es gipfelt in dem Ausruf: "Da hättest du ja gleich die Hitlers einladen können"

    Elaine May ist die zweite Autorin des Abends. Sie ist dem amerikanischen Publikum hauptsächlich als Filmautorin bekannt, unter anderem für "The Birdcage" mit Robin Williams, Nathan Lane, Dianne Wiest und Gene Hackman.

    Ihr Einakter "George is Dead" arbeitet im Gegensatz zu Coens drastischer Sprache eher mit dem absurden Humor einer bestimmten Situation. Die reiche und äußerst weltfremde Doreen – wunderbar im rosafarbenen Chanel-Kostüm – erscheint mitten in der Nacht an der Tür von Carla. Ihr Mann George ist plötzlich gestorben und sie weiß jetzt nicht wohin. Carlas Mutter war Doreens Kindermädchen. Obwohl Carla Doreen hasst, wird sie ihr im Verlauf des Abends nicht nur Essen und Bett anbieten, sondern auch im Streit um Doreens Anwesenheit ihren Ehemann Michael verlieren. Sie organisiert sogar für die völlig unselbstständige Doreen das Begräbnis von George. Am Ende erscheint ihre uralte Mutter und hält Doreen in ihren Armen, während sie Carla Anweisungen entgegenzischt. Carlas Unfähigkeit Nein zu sagen, war immer nur der hilflose Versuch, die Liebe der Mutter zu verdienen. Aus der lustigen Absurdität des Anfangs wird eine grausame Manipulation.

    Woody Allens "Honeymoon Motel", das dritte Stück des Abends, ist im Stil einer typischen Boulevardkomödie geschrieben. Ein anscheinend frisch verheiratetes Paar will seine Hochzeitsnacht in einem kitschigen Hotelzimmer verbringen. Doch der Mann ist der Vater des Bräutigams, der mit der Braut durchgebrannt ist. Woody Allens ureigenes Thema der Liebe zwischen einer jungen Frau und einem älteren Mann ist genauso präsent, wie seine Liebe zur französischen Hauptstadt und die permanente Angst vor Krankheit. Als seine Eltern, ihre Eltern, seine Frau, der Rabbi, der Bruder der Braut, sein Psychiater und am Ende der Bräutigam selbst auch noch das Hotelzimmer stürmen, werden in verschiedenen Varianten Woody Allens gesamtes Arsenal an Witzen über Sex, Ehe und Judentum präsentiert. Das ist oft sehr witzig, denn Woody Allen ist ein Meister satirischer Repliken. Dass die Geschichte flach und klischiert ist, macht da wenig, denn letztlich dient sie nur als Hintergrund für Woody Allens jüdisch-urbane Sitcom. Es ist so, als würde man zehn verschiedene Stimmen im Kopf des Autors hören, die ständig durcheinander brabbeln und niemals Ruhe geben. Das ist äußerst unterhaltsam.

    "Relatively Speaking" ist ein Abend mit drei Stücken von berühmten jüdisch-amerikanischen Autoren, die sehr unterschiedliche Ideen von Humor haben. Er handelt von dem Abgrund Familie, die einen prägt und nie loslassen wird. Das Publikum entlässt das 19-köpfige Ensemble mit Standing Ovations.