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Legendärer Surrealist
Dalís Spuren im Nordosten Spaniens

Die Costa Brava ist eines der beliebtesten Reiseziele der Deutschen. Auch für Künstler ist und war die Küstenregion ein Ort der Inspiration. Salvador Dalí verbrachte in dieser Region den Großteil seines Lebens. Auf einer Dalí-Route kann man dem legendären Surrealisten näher kommen.

Von Julian Ignatowitsch | 17.11.2019
Eine Wohnzimmereinrichtung ist so ausgerichtet, dass sie von einem bestimmten Standpunkt aussieht wie ein Gesicht
Das berühmte Mae-West-Wohnzimmer in Dalís Theatre Museu (Julian Ignatowitsch/Viviana Duque/Deutschlandradio)
Die Rambla von Figueres ist an diesem Vormittag ruhig. Ein Rentnerpaar sitzt auf einer Bank unter einem der hohen Bäume, die rechts und links den breiten Fußweg beschatten; eine Mutter nimmt ihr Kind an die Hand und geht über die Straße.
Das alles passiert unter dem Blick eines Mannes, mit gezogenem Schnurrbart und gegeltem, schwarzen Haar: Salvador Dalí. Sein Gesicht am Ende des Platzes als Trompe-l’œil auf den Boden gemalt und von einer verspiegelten Säule reflektiert, beobachtet die Leute hier seit einigen Jahren Tag und Nacht. Eine Hommage an das berühmteste Kind der Stadt, das auf seine Weise immer Kind geblieben ist. Imma Parada von der Fundació Dalí ist sich sicher, dem Surrealisten hätte dieses schiefe Kunstwerk, eine optische Täuschung, Vergnügen bereitet:
"Dalí hatte ja einen sehr speziellen Humor, bis zum Schluss. Einen direkten Humor, der dort anfängt, wo man über sich selber lacht und sich dann auf andere richtet."
Das Haus, in dem Dalí geboren wurde, liegt gleich um die Ecke. Heute steht es leer. Und auch das Cafe L’Epórium, in dem Dalí mit Gin Fizz in der Hand das Drehbuch zum surrealistischen Filmklassiker "Ein andalusischer Hund" geschrieben hat, gibt es nicht mehr.
Dalís Museum ist Mittelpunkt von Figueres
Wie ein Schnitt mit der Rasierklinge durch das Auge - so radikal hat Dalí auch seine Heimatstadt verändert. Nicht die Rambla ist heute der Mittelpunkt von Figueres, sondern knapp 300 Meter, fünf Minuten weiter das phantastische Theatre-Museu, das jährlich fast eine Million Touristen anzieht.
"Dieses Museum ist nicht nur Dalís Selbstporträt, sondern sein Weg, sich unsterblich zu machen. Aus einer Ruine hat er seinen ganz eigenen Ort aufgebaut. Es hat 14 Jahre gedauert, das Museum zu errichten."
Venus mit Kuppel im Innenhof des Theatre Museu von Dalí
Venus mit Kuppel im Innenhof des Theatre Museu von Dalí (Deuschlandradio / Julian Ignatowitsch/Viviana Duque)
Dalí hat es natürlich selbst geplant, konzipiert und bis zum Ende alles genauestens arrangiert. Das alte, im Bürgerkrieg zerstörte Theater der Stadt kaufte er 1960 und ließ es zum Museum umbauen. Als Teil seiner Selbstinszenierung, als Mittelpunkt seines Vermächtnis. Schon von außen ein märchenhaftes Gebäude, eine architektonische Schimäre: die Burgtürme an den Ecken, die Zypressen wie Wächter vor den roten Festungsmauern, die Eier auf dem Dach, die Oscar-gleichen Statuen daneben - und natürlich die über allem thronende Glaskuppel, die schon von Weitem erkennbar ist:
"Die Glaskuppel war das Erste, was Dalí von seinem Museum entwarf. Das Dach war komplett zerstört und als ein guter Surrealist sagte er: ‚Ich werde mit dem Dach anfangen und seine sphärische Struktur wird die Skyline der Stadt verändern und eine Touristenattraktion werden.‘ Genauso ist es gekommen. 1974 wurde das Museum eröffnet - das Glasdach ist sein wichtigstes Symbol und, ja, auch das wichtigste Symbol der Stadt."
Gleichzeitig bedeckt es die gut 15 Meter hohe Eingangshalle des Museums. An der Stirnseite ein monumentales Wandgemälde im typischen Dalí Stil: ein menschlicher Körper, der aus einer Küstenlandschaft erwächst, im Brustkorb sprießt ein Baum, an der Stelle des Kopfes befindet sich ein Ei. Auf der gegenüberliegenden Seite blickt man auf den Innenhof hinaus. Dort steht der berühmte Cadillac, in dem sich Dalí gerne vorfahren ließ, darauf eine üppige Venus-Statue.
Museum als Friedhof für Kunst
"Als sich Dalí das Museum vorstellte, dachte er nicht einfach an einen Ort, an dem man Kunstwerke aufhängt. Er stellte sich das Museum wie einen Friedhof für Kunst vor. Wie eine große Kunstinstallation. Sozusagen, das größte vorstellbare surrealistische Objekt", erklärt Imma Parada, die fast täglich an den Kunstwerken vorbeiläuft.
Wohin man schaut, Kuriositäten: Ein alter Leierkasten als Altar, ein vergoldeter Brotleib, Menschen ohne Kopf. Anspielungen auf Michelangelo, Caravaggio und Botticelli. Dalí verwendete Schneckenhäuser, alten Bauschutt oder Äste von den Bäumen der Rambla für die Ausstaffierung seines Museum. Wie in einem abgedrehten Pantheon fühlt man sich unter der großen Glaskuppel - und tatsächlich nur wenige Räume weiter liegt der Meister selbst:
"Unter unseren Füßen ist Dalís Krypta. Er hat sich entschieden, hier begraben zu werden als eines der vielen Teile, wie ein Ziegel in diesem letzten großen Kunstwerk."
Das wahrscheinlich berühmteste Ausstellungsstück ist das Dada-Wohnzimmer, von einer kleinen Empore sieht es wie das Gesicht der Schauspielerin Mae West aus: Ein rotes Sofa als Lippen, ein Kamin als Nase, zwei Gemälde als Augen. Hier stehen die Besucher Schlange, auch viele Deutsche. Dalí - damals wie heute ein Magier und Menschenfänger.
Figueres war und ist das Zentrum des Dalí-Kults. Gleichzeitig ist es der Hauptort des Gemeindeverbandes Alt Empordà im Nordosten Kataloniens an der Grenze zu Frankreich. Die Gegend ist bekannt für ihre raue Natur und ihren strahlend blauen Himmel. Wer die knapp 60 Minuten mit dem Auto ins Küstenstädtchen Cadaqués fährt, sieht schiefe Pinien, gekrümmte Zypressen, kantige Felsen und die Ausläufer der Pyrenäen. Der junge Dalí beschrieb es in seinem Tagebuch so:
"Die Weizenfelder breiten sich am Weg entlang voller Disteln aus. Der Wind wiegt die Ähren und die Felder wogen sich wie goldene Wellen. (…) Die Bäume wachsen so wie es ihnen gefällt, es gibt keine Ordnung. Die Blumen und der Ginster schmücken den Teppich aus feuchtem Moos und die Schwertlilien heben die gelben und dunkelvioletten Köpfe und betrachten den glänzenden Himmel, der sich hinter den Blättern verbirgt."
Früher hat die Fahrt mit der Kutsche nach Cadaqués sechs Stunden gedauert, und davor als es die kurvige Bergstraße zur Küste noch nicht gab, kannten die Seemänner hier - isoliert vom Rest Spaniens - Städte in Afrika oder Südamerika besser als den Hauptort ihrer Region, Figueres.
Tramuntana - der verrückte Wind
Am Meer angekommen fallen sofort zwei Dinge auf: die durchweg weißen Häuser und der stürmische Wind, die Tramuntana. Expertin Imma Parada erklärt wie dieser Wind, den Charakter einer ganzen Region prägt:
"Dieser starke und kalte Wind definiert die ganze Landschaft: Die Bäume krümmen sich unter diesem starken Wind; die Felsen von Cabo de Creus werden davon getroffen, ja angegriffen so wie das Salzwasser, das Meer. Auch Dalí wurde stark beeinflusst von Landschaft und Klima. Man sagt, der starke Wind macht uns Bewohner hier verrückt, also sagte auch Dalí, er sei wegen des Tramuntana verrückt."
Im Katalanischen existiert ein eigenes Adjektiv in Anlehnung an den Tramuntana-Wind: "entramuntanat" meint so viel wie ungezwungen, offen, extrovertiert, bis hinzu verrückt.
Landschaft und Klima prägten Dalí
Hier also fand Dalí seine künstlerische Inspiration und Kreativität. Im Künstlerhaus in Portlligat, Cadaqués, in dessen Werkstatt die meisten seiner Gemälde entstanden.
"Schon seine Familie hatte ein Sommerhaus in Cadaqués. Dort malte Dalí Strände, Felsen und die Halbinsel Cabo de Creus. Es ist ein sehr spezielles Licht hier, Künstler wie Picasso oder Matisse haben das auch bemerkt und kamen hierher. Die Gegend wurde also zu einem kleinen Zentrum von Künstlern, die hier für einige Zeit malten und ihre Ideen austauschen."
Das Foto zeigt ein Exemplar der Bronzeskulptur "Profil der Zeit" von Salvador Dalí. Eine schmelzend dargestellte Uhr scheint dabei von den Ästen eines Baumes zu laufen.
Schmelzende Uhren: Die Bronzeskulptur "Profil der Zeit / Profile of Time) des spanischen Surrealisten Salvador Dalí. (Toby Melville / dpa / picture-alliance)
Dalís schmelzende Uhren, Frauen mit Schubladen am Körper oder Elefanten auf Stelzenbeinen - wer genau hinsieht, erkennt das reale Fundament von Land und Leuten in diesen fantastischen Bildern: Da sind Fischerboote, gewaltige Felsformationen und fast immer dieser babyblau leuchtende Himmel, der die Gegenstände unter sich messerscharf erscheinen lässt.
"Da sind diese alltäglichen Elemente, manches wirkt vielleicht folkloristisch, aber sie sind für Dalí sehr wichtig. Er ist verwurzelt mit dieser Landschaft, den Menschen und der Kultur hier. Er hat das nie vergessen und überall mit hingenommen. So ist er auch ein großer Botschafter seiner Kultur."
Wie ein Labyrinth muten Haus und Garten an, mit schmalen Treppen, engen Fluren und winzigen Räumen. Man verliert schnell den Überblick, auch weil überall bizarre Details zu bestaunen sind: ein ausgestopfter Schwan, eine Armbrust oder ein Vogel in Form eines Penis. Und auch hier wieder: Eier, auf dem Dach, im Garten des Hauses, der sich zur Hälfte, ja eben auf dem Dach befindet.
"Das Ei hat mehrere Bedeutungen bei Dalí. Zum einen griechische Mythologie: Dalí malte seine Frau Gala als Königin Leda. Leda gebar Zeus’ Kinder, sie schlüpften aus Eiern. Zum anderen hat es eine persönliche Bedeutung: Dalí identifiziert sich mit dem schwachen Künstler, der eine harte Schale braucht, um sich zu beschützen. Oder zumindest eine Maske - das ist ein kontinuierliches Spiel."
Ein Schloss für die Ehefrau
Die Welt Dalís - sie ist faszinierend, aber nach einiger Zeit auch anstrengend.
So ging es auch seiner Jugendliebe und (späteren) Frau Gala irgendwann. Sie suchte einen Platz für sich, Dalí fand ihn für sie.
Im Vordergund das von Dalí gekaufte Schloss in Pubol, im Hintergrund mediteranne Landschaft
Das Schloss in Pubol, Wohnort von Dalís Ehefrau Gala (Deuschlandradio / Julian Ignatowitsch/Viviana Duque)
Gut eine weitere Stunde von Cadaqués entfernt, südlich im Landesinneren, liegt das Dörfchen Púbol. Dort kaufte der Künstler-König seiner Königin ein Schloss, ein echtes Schloss aus dem 11. Jahrhundert. Und baute ihr einen Thron, einen echten Thron, dazu: ein Himmelbett, einen Schlossgarten (nach italienischem Vorbild) mit Wasserbecken, einen Pianosaal, eine Bibliothek und ein Bad mit goldenen Armaturen.
Nur auf Einladung von Gala durfte Dalí das Schloss besuchen, jedes Mal, wenn er kam, brachte er ihr ein Geschenk mit, erzählt Führerin Emma Pascual beim Rundgang durch die vornehmen Zimmer, die zwar farblich markant, aber nicht so dalinesk ausgeschmückt sind wie die beiden anderen Orten. Púbol war Galas Refugium, ein Ort der Ruhe - auch heute noch. Nur wenige Touristen schlendern durch das Schloss.
Erst nach dem Tod seiner Frau zog Dalí hier dauerhaft ein, ehe er nach Figueres an seinen Geburtsort zurückkehrte. Vor 30 Jahren starb er dort, am 23. Januar 1989. Was er seiner Heimat Katalonien hinterlassen hat, ist nicht weniger als sein ganz eigenes Universum, ein Realität gewordenes Märchen, das er natürlich selbst geschrieben und inszeniert hat. Ein begehbarer Traum, der genauso wirklich erscheint, wie die weiten Strände der Costa Brava und der raue Wind, der den Menschen den Kopf verdreht.