Samstag, 20. April 2024

Archiv

Lehramtsstudium
Lernen für die Inklusion

Wie man mit Menschen mit Behinderung umgeht, das kann man zwar im Seminarraum theoretisch lernen. Am besten aber hilft der direkte Kontakt. Das ist die Idee hinter einem Projekt der PH Heidelberg. Dort unterrichten Menschen mit Behinderung angehende Lehrerinnen und Lehrer.

Von Martina Senghas | 29.06.2018
    Ein Schulkind steht vor einer Tafel, auf der das Wort "Inklusion" geschrieben steht.
    Menschen mit Behinderung sollen als Dozenten angehende Lehrer auf die Inklusion an den Schulen vorbereiten (picture alliance / dpa)
    "Mein Name ist Helmut Pflanzer. Ich war an der Pforte bei den Heidelberger Werkstätten. Ich war schon zufrieden, nur: Ich hab gewusst, da muss noch mehr kommen. Und dann kam die große Chance."
    Die große Chance nämlich, eine sogenannte Bildungsfachkraft zu werden. Das heißt, eine dreijährige Qualifizierung mitzumachen, bei der er ab dem zweiten Halbjahr Studierende darin unterrichtet, wie sie Menschen wie ihm begegnen können. Ihm, der irgendwann in seinem Leben als behindert eingestuft wurde. Er möchte ihnen beibringen, "dass man mit uns ganz normal auf Augenhöhe spricht. Und nicht über uns, sondern mit uns."
    Hintergrundwissen ist nötig
    Vierzig Bewerber gab es für dieses Bildungsprojekt, das es nun ganz neu in Heidelberg gibt. Sechs von diesen Bewerben wurden ausgewählt und kommen seit dem vergangenen Herbst täglich an die Pädagogische Hochschule.
    "Also mein Name ist Anna Neff. Ich habe vorher in Schwarzach in der Werkstatt gearbeitet – Deckel befestigen, Schrauben sortieren. Und das war mit ein bisschen zu … nicht so gut."
    Deshalb ist diese neue Herausforderung genau richtig für sie. Sie fährt jeden Tag anderthalb Stunden aus dem Odenwald an die Hochschule. Hier lernt sie, wie sie vor angehenden Lehrerinnen und Lehrern über die Lebens- und Bildungswege von Menschen mit Behinderung sprechen kann. Sie eignet sich Hintergrundwissen an, beispielsweise über das Bundesteilhabegesetz, und sie bereitet sich darauf vor, auf Nachfragen zu reagieren.
    "Also es ist anstrengend jeden Tag mit dem Zug hierher zu fahren und abends wieder heim. Da bin ich auch immer sehr müde und kaputt, aber es macht Spaß."
    Teamwork mit den Studierenden
    Inklusion lasse sich am konsequentesten mit den Betroffenen selbst umsetzen, meint Projektleiter Stephan Friebe, der das Konzept aus Kiel nach Süddeutschland geholt hat.
    "Das sind Experten in eigener Sache, aber es sind keine Experten in Bildungsarbeit. Und wir müssen die Menschen - so wie jeder sonst auch qualifiziert wird für eine Tätigkeit – qualifizieren, dass sie gute Bildungsarbeit leisten."
    Die Vollzeitausbildung ist in sechs Module eingeteilt. Die ersten beiden haben die Teilnehmer bereits hinter sich und die waren eher theoretisch. Seit dem laufenden Sommersemester stecken die angehenden Bildungsfachkräfte aber nun in ihrem ersten praktischen Teil und halten ihr erstes Seminar mit Studierenden ab – im Team. Sonderpädagogik-Professorin Karin Terfloth.
    "Die sind methodisch top vorbereitet, es geht nur noch um wenige Absprachen im Vorfeld, wie im normalen Teamteaching auch. Die Kollegen übernehmen ihren Teil. Am Anfang sind wir gestartet mit dem Thema Lebenswege, also wir haben uns erst einmal kennengelernt natürlich und dieses Wahrnehmen: jeder hat seinen Weg und viele Institutionen prägen die Wege, das war sehr eindrücklich. Und es gab das Thema Bildung."
    Große Hilfe für Lehrämtler
    Die Studierenden, die vorher teilweise noch nie einem Menschen mit Behinderung begegnet sind, sind sehr angetan von den sehr besonderen wöchentlichen Treffen und überzeugt davon, dass es ihnen hilft.
    "Es ist sehr interessant und vor allen ist es unglaublich toll, wie selbstverständlich, die Bildungsfachkräfte mit uns in den Austausch gehen und vor allem, wie sie das auch alles humorvoll machen und mit ihrer eignen Art einfach."
    "In der Schule ist das große Problem, dass viele Lehrer überfordert sind. Es kommen inklusive Schüler, aber sie wissen nicht, wie sie unterrichten, sie wissen nicht, was die Schüler brauchen."
    "Man hat jetzt noch mal eine andere Perspektive bekommen, weil man in den Seminaren eher theoretisch darüber redet. Ja, es war interessant zu hören, dass die eben nicht so viele Möglichkeiten hatten wie andere Schüler und das eben viel vorbestimmt wurde von den Eltern und Lehrern."
    Die Biografien von Menschen mit Behinderung sind so individuell wie die nicht-behinderter Menschen, das ist den Studierenden klar geworden. Und vielleicht die wichtigste Erkenntnis: Auch wer als geistig behindert gilt, hat mitunter Lust, sich weiterzuentwickeln.
    "Jetzt weiß ich, warum ich müde bin, also das wusste ich vorher nicht. Ich war intellektuell nicht gefordert genug."