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Lehrer dringend gesucht!

Angesichts des drohenden Lehrermangels an deutschen Schulen träumen Bildungspolitiker von dem talentierten Quereinsteiger, der einen beruflichen Neustart im Klassenzimmer wagen will. Bildungsministerin Annette Schavan forderte erst kürzlich öffentlichkeitswirksam, die Unternehmen sollten ihre besten Manager in die Schulen schicken. Eine Strategie, die nicht nur auf Gegenliebe stößt.

Von Armin Himmelrath, Vanessa Dähn, Uschi Götz | 04.03.2009
    Die sechste Klasse einer Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen. An der Tafel steht Uwe Hänsch, 42 Jahre alt, verheiratet und Vater von drei Kindern. Er unterrichtet hier Mathematik und Technik. Dabei war die erste Berufswahl des gebürtigen Hamburgers ursprünglich eine andere:

    "Eigentlich wollte ich zur See fahren, Seemann werden. Aber da das auch nicht so richtig Perspektive hatte, bin ich da so Richtung Berufslenkung und dann mach mal ein richtiges Studium, und so bin ich halt Bauingenieur geworden. Und wäre ich wahrscheinlich auch geblieben, wenn der Zufall das da nicht irgendwie anders gewollt hätte."
    Nachdem Uwe Hänsch einige Jahre erfolgreich als Bauleiter gearbeitet hatte, verlor er seinen Job. Für die nächsten beiden Jahre nahm er sich Erziehungszeit. Danach wollte er nicht zurück in seinen alten Beruf und suchte nach einer Alternative. Während seiner Erziehungszeit hatte er festgestellt, dass ihm der Umgang mit Kindern liegt. Ob er sich aber auch vor einer ganzen Schulklasse wohlfühlen würde, das konnte er damals noch nicht sagen.

    "Also ich habe, um mich selbst zu orientieren, um mich selbst zu prüfen, ein Praktikum an einer Hauptschule in Leverkusen gemacht, habe dort auch schon unterrichtet. Also sozusagen ein Sprung ins kalte Wasser, allerdings mit Begleitung von den sehr netten Kollegen dort - insgesamt über ein Vierteljahr. Und hab dort auch eine Einheit, so vier oder fünf Unterrichtsstunden Technik in einer siebten Hauptschulklasse unterrichtet. Um mich selbst zu prüfen, kann ich das überhaupt mit den Schülern."
    Uwe Hänsch war sich schnell sicher: Er wollte nicht nur Vater, sondern auch Lehrer sein. Das Bauingenieurs-Studium wurde ihm als erstes Staatsexamen anerkannt. Seit Abschluss seines Referendariats im vergangenen Jahr ist Uwe Hänsch Lehrer an der Sophie-Scholl-Gesamtschule in Remscheid. Für sich sieht er vor allem Vorteile darin, dass er vorher in einem anderen Beruf gearbeitet hat:

    "Ich kann natürlich auch dann gerade für den Mathematikunterricht, Arbeitslehre oder Technikunterricht immer ganz viele Beispiele ziehen, die dann eben auch praxiserprobt und praxisrelevant sind. Und für mich persönlich: Ich hätte das nicht gerne gehabt, dass ich immer nur in dem System Schule, also selbst in die Schule gegangen, dann weiter Richtung Universität - schulähnlich - danach wieder Referendariat und dann wieder in das System Schule zurück. Also ich für mich bin froh, dass ich da auch ganz viele andere Erfahrungen gesammelt habe."
    Ein Quereinsteiger im Klassenzimmer, der im neuen Beruf Erfolg hat: Uwe Hänsch ist so etwas wie das Paradebeispiel dafür, wie sich Bildungspolitiker die Lösung des Lehrermangels in deutschen Schulen vorstellen. Bundesbildungsministerin Annette Schavan forderte erst kürzlich öffentlichkeitswirksam, die Unternehmen sollten doch, bitteschön, ihre besten Manager stundenweise in die Schulen schicken. Bundesländer wie Hessen wollen Unterrichtsausfall durch den Einsatz ungelernter Lehr-Interessenten verhindern - zur Not kann das auch der Bäckermeister von nebenan sein. Und in den meisten Schulverwaltungen wird mehr oder weniger aktiv auch ganz gezielt nach Quereinsteigern gefahndet, die einen beruflichen Neustart in der Schule wagen wollen. Eine Strategie, die der Bildungsforscher Klaus Klemm höchst fragwürdig findet.

    "Nach PISA haben uns alle gesagt, das eigentliche Problem sei die Lehrerbildung. Und dass man dann das Problem dadurch abschwächte, dass man Leute, die gar nicht als Lehrer ausgebildet wurden, dass man die reinholt - da sehe ich Qualitätsprobleme. Wir wissen aus den Schulen, dass die Schulen zum Teil sagen: Im Einzelfall sind das tolle Kollegen, die da kommen, Seiteneinsteiger, aber in vielen Fällen gehen die auch dann schnell wieder, in vielen Fällen sind das dann nicht die besten Lehrer."
    Doch eine andere Wahl haben die Kultusminister der Länder gar nicht. Denn weil in den vergangenen Jahren neue Junglehrer weder ausreichend ausgebildet noch eingestellt wurden, gehen Bildungsforscher mittlerweile von 20.000 offenen Stellen in Deutschland aus. Und die Situation wird sich noch weiter verschärfen: In den nächsten fünf Jahren gehen 150.000 Pädagogen in den Ruhestand, sodass sich der Fachkräftemangel im Klassenzimmer noch erhöhen wird. Auf bis zu 40.000 Lehrerstellen. Kein Wunder, dass zwischen den Ländern längst ein regelrechtes Hauen und Stechen um die seltenen Nachwuchskräfte eingesetzt hat.

    Dabei gehen die Länder zum Teil so aggressiv vor, dass der Lehrermangel und die Anwerbekampagnen zum wichtigsten Thema der Kultusministerkonferenz geworden sind, die ab morgen in Stralsund zur Plenarsitzung zusammenkommt. Da wird mit schneller Verbeamtung und Umzugsbeihilfen gelockt, mit Gehaltszuschlägen und Pflichtstundenermäßigung. Für Bildungsforscher Klaus Klemm zeigen sich hier die Nachteile des Bildungsföderalismus: Weil Schulpolitik Ländersache ist, geht jede Gemeinsamkeit verloren.

    "Über all diese Elemente - jetzt eben neuerdings auch übers Gehalt - können sie sich Konkurrenz machen. Und wir werden erleben, gerade weil der Mangel anhalten wird, wir werden erleben, dass die zahlungskräftigen Länder gleichsam absahnen. Die holen sich die gefragten, tüchtigen Lehrer - und für die weniger zahlungsstarken Länder bleibt dann das, was noch über ist - manchmal gar nichts."

    Dabei, sagt Klemm, gebe es eigentlich eine elegante Lösung: Denn trotz des Lehrermangels gebe es gleichzeitig auch einen Überschuss an Pädagogen.

    "Wir hatten im Jahre 2007 nach Schätzungen etwa 30.000 Bewerber, die nicht eingestellt wurden. 30.000 junge Menschen, die Lehrer werden wollten, die die Ausbildung mit dem Referendariat, mit der zweiten Phase abgeschlossen hatten, die nicht eingestellt wurden, weil sie die falschen Fächer oder die falschen Fächer für die falsche Schule studiert hatten. Und da wäre auch ein Ansatzpunkt für die Politik, diesen Leuten viel gezielter Qualifizierungen anzubieten und nicht Leuten, die zum Teil in der Industrie gescheitert sind und dann in die Schulen gehen. ( ... ) Da jetzt zu rekrutieren, während gleichzeitig 30.000 Leute, die das Lehrerhandwerk schon mal gelernt haben, nur im falschen Fach - anstatt die umzuqualifizieren, das halte ich für den falschen Weg."
    Auch Lehrervertreter sehen hier ein Versagen der Kultusminister. Peter Silbernagel ist Vorsitzender des Philologenverbands in Nordrhein-Westfalen:

    "Dieser Lehrermangel ist nicht von heute auf morgen gekommen, sondern man konnte ihn schon vorausschauen. Insofern ist es irritierend, dass es jetzt so eine Vielfalt von Vorschlägen gibt, die sich auch zum Teil widersprechen."
    Er ärgere sich jedes Mal, sagt Peter Silbernagel, wenn die Bildungspolitiker den Lehrermangel mal wieder mit schnell hingeworfenen Lösungsvorschlägen aufgreifen, so wie zuletzt Bundesbildungsministerin Annette Schavan mit ihrer Idee zum stundenweisen Einsatz von Managern an der Tafel.

    "Dieser Vorschlag ist in die Kategorie unproduktiv und unrealistisch einzuordnen. Weil: Mit wenigen Stunden Manager oder Naturwissenschaftler abzuwerben aus der Industrie und Wirtschaft bringt für die Schulen gar nichts. Das ist nicht die Kontinuität, die wir brauchen. Wir brauchen Lehrkräfte, die dauerhaft tätig sind und nicht Leute, die nur in die Schule hineinschnuppern."

    Genau darum aber, so der Lehrer-Lobbyist, kümmern sich die Kultusminister nicht oder zu wenig - nicht in ihren jeweiligen Bundesländern und schon gar nicht bundesweit koordiniert in der Kultusministerkonferenz.

    "Das Verhalten der Bundesländer gleicht einem Hühnerhof. Jeder läuft hin und her, sehr aufgeregt und in unterschiedliche Richtungen. Das kann dem Problem Lehrermangel wenig hilfreich sein, wenn sich untereinander die Länder überbieten in Abwerbe-Szenarien. Insofern erwarten wir, dass dringend die Kultusministerkonferenz hier eine klare Linie hineinbringt und klare Vorgaben macht, was zulässig ist, was abgesprochen ist, und was auch letztlich effizient sein kann."
    Als generelle Kritik am Bildungsföderalismus will Peter Silbernagel das allerdings nicht verstanden wissen - eher als Hinweis auf ein kollektives Versagen der derzeitigen Amtsinhaber.

    "Im Prinzip ist der Bildungsföderalismus nichts Schlechtes. Er begünstigt den Wettbewerb, er begünstigt das Bemühen, im Pädagogischen Bestmögliches auch anzubieten und auch umzusetzen in einzelnen Ländern. Wenn es aber auf Kosten der Schülerinnen und Schüler geht, beispielsweise bei der Lehrerversorgung, dann hört dieser Wettbewerb letztlich auf, sinnvoll zu sein."

    Die Grenze sei jedenfalls da erreicht, wo die massive gegenseitige Abwerbung von Lehrkräften den regulären Unterricht gefährde. Und das, sagt Peter Silbernagel, sei bei den Aktivitäten von Baden-Württemberg möglicherweise schon eingetreten.

    Ausschnitt aus Rühmanns Feuerzangenbowle: "Radium, Radium ist ein zweiwertiges Element, welches die Eigenschaft hat im Dunkeln zu leuchten. Bitte Kollege, lassen Sie sich nicht unterbrechen, Sie haben wohl gerade einen kleinen Scherz gemacht. Wissenschaft mit Humor gewürzt!

    Sprecher:
    Baden- Württemberg sucht Lehrkräfte für Gymnasien und berufliche Schulen.
    Bewerben Sie sich jetzt! Wir freuen uns auf Sie."
    Heinz Rühmann muss in einem Werbespot herhalten, Schokolade mit der Aufschrift "Tafeldienst" wird an einschlägigen Stellen verteilt, Plakate hängen vor Ausbildungsseminaren für Lehrer, und auch in überregionalen Zeitungen steht es unübersehbar: Neue Lehrer braucht das Land. Und zwar bald - bereits im neuen Schuljahr nach den Sommerferien. Der Grund: Eine von CDU Ministerpräsident Günther Oettinger gestartete Bildungsoffensive. Die Klassen im Ländle sollen kleiner werden, Schulleiter sollen wieder leiten statt zu unterrichten. Deshalb werden im Südwesten insgesamt 5500 neue Lehrer zusätzlich gebraucht. CDU-Landeskultusminister Helmut Rau bei der Vorstellung der Werbekampagne für Junglehrer im Februar:

    "Wir brauchen noch 900 Personen fürs Gymnasium und noch etwa 500 für die beruflichen Schulen. Wir gehen davon aus, dass wir jetzt einfach mal schauen, wie viel Interesse wir damit in den anderen Ländern wecken können. Ich bin natürlich froh über jeden qualifizierten Lehrer und mache da an den Landesgrenzen nicht halt. Ich kann ihnen aber jetzt beim besten Willen noch keine Prognose abgeben, wie viel Hundert dabei rauskommen."
    Rau stellte klar, er wolle keine Lehrer aus anderen Bundesländern abwerben, sondern fertige Referendare ins Land holen. Also wirbt Baden-Württemberg in den Bundesländern, die mehr Lehrer ausbilden als sie tatsächlich Lehrerstellen haben:

    "Sowohl der Kollege Olbertz aus Sachsen-Anhalt, als auch der Kollege Müller aus Thüringen haben ihr Interesse daran bekundet, dass die Junglehrer, die jetzt kommen, auch eine Chance bekommen zu unterrichten. Und wir haben mit den neuen Ländern - was heißt vereinbart - wir haben ihnen angeboten, dass wir die Junglehrer, die wir jetzt hier einstellen, auf eine Beamtenstelle nehmen."
    Ein verlockendes Angebot: Ein Junglehrer bekommt eine Beamtenstelle, was monatlich rund 800 Euro mehr auf dem Konto ausmacht als in einem Bundesland wie etwa Berlin, das Junglehrer als normale Angestellte behandelt und auch so bezahlt. Doch was, wenn in ein paar Jahren auch in Baden-Württemberg wieder der Normalzustand an den Schulen einkehren wird? Wenn die Zahl der Studierenden wieder ausreicht, um den Lehrerbedarf aus den eigenen Ressourcen zu decken? Müssen die einst Umworbenen dann wieder ihre Koffer packen?
    "Wenn sie hier bleiben wollen, können sie hier bleiben, das ist klar. Wenn die nach drei Jahren sagen, ich will gerne wieder zurück nach Thüringen, da gibt es jetzt Stellen, und ich wollte eigentlich schon immer In Thüringen bleiben, dann wäre das unter normalen Bedingungen höchst kompliziert, und deswegen setzen wir für diese Bewerber das Tauschverfahren außer Kraft und geben denen die Zusage - mit der Verbeamtung, dass sie ab 2012 ohne Tauschverfahren in ihr Herkunftsland zurückgehen können, wenn sie das wollen. Dann geben wir sie einfach wieder frei."
    Dabei ist Baden-Württemberg längst nicht das einzige Bundesland, das Lehrer anwerben will und muss. In Bremen und Bremerhaven geht man dafür sogar über Deutschlands Grenzen hinaus: Schon seit einigen Jahren werden immer wieder Englisch-Lehrer von einer Londoner Vermittlungsagentur nach Bremen geschickt. Und seit einem Jahr ist in Bremerhaven auch Magdalena Reisener als Lehrerin für Chemie, Physik und Informatik tätig - die erste polnische Lehrerin für Naturwissenschaften an einer deutschen Schule:

    "Ja, zuerst habe ich das im Radio und von meinen Bekannten gehört, aber das war so ein kurzer Satz, dass in Bremerhaven, dass der Oberschulrat nach Lehrern in Polen sucht. Und da habe ich im Internet gesucht. Und ich hab wirklich diese Anzeige im - wie heißt das - im Schulamt in Stettin gefunden. Und ich hab eine Bewerbung geschrieben und per E-Mail geschickt."
    Der Mann hinter der Suchanzeige heißt Michael Porwoll und ist Oberschulrat in Bremen. Den massiven Wettstreit der Bundesländer um den Lehrernachwuchs erlebt er aus der Perspektive eines kleinen und eher armen Landes. Und: Er erlebt ihn als Chance:

    "Wenn in Mecklenburg-Vorpommern zentral elf Referendare mit Mathematik und Physik ausgebildet werden, denen von Anfang an gesagt wird: Ihr bekommt keine Anstellung in Mecklenburg-Vorpommern, dann werden viele Bundesländer dort präsentieren. Und ich hole mir meine vier Lehrerinnen und Lehrer, die ich dann brauche. Und die kriege ich auch."
    Michael Porwoll setzt dabei auf persönliche Kontakte und Strategien, die im Bereich der Personalgewinnung bisher eher aus der Wirtschaft bekannt waren.

    "Sie müssen heute präsent sein. Es reicht nicht, wenn Sie annoncieren, es reicht nicht, wenn Sie abwarten. Das mag für Städte wie München, Stuttgart, Mainz gelten, aber für andere Städte nicht. Und Sie müssen mit den Pfunden wuchern, die die Region zu bieten hat. Und das können Sie am besten in der direkten Ansprache."
    Und so macht der Bremer Oberschulrat bei der Suche nach neuen Lehrkräften auch vor Staatsgrenzen nicht halt. Michael Porwoll schwärmt regelrecht von den potenziellen Lehrerkollegen aus Osteuropa:

    "Sie sind didaktisch hervorragend ausgebildet! Bei der Methodik müssen wir immer gucken, ob das kompatibel ist mit unserer liberalen Art und Weise, umzugehen in der Pädagogik, aber auch mit der größeren Disziplinlosigkeit von Schülerinnen und Schülern. Da bedarf es einer Eingewöhnung, einer Adaption, und auch einer Einweisung."
    Eine solche Eingewöhnung brauchen allerdings auch manche Neu-Lehrer aus Deutschland - zumindest dann, wenn sie vorher in der Industrie gearbeitet haben und dann als Quereinsteiger an die Schulen kommen. Besonders für Führungskräfte aus der Wirtschaft sieht der Remscheider Seiteneinsteiger Uwe Hänsch nämlich ein Problem: Wer aus einem Unternehmen in den Lehrerberuf wechseln möchte, muss sich auf eine etwas andere Form der Hierarchie gefasst machen. Schüler sind eben keine Angestellten:

    "Bei Schülern ist das ja manchmal nicht so ganz einfach. Also da muss man die schon mit anderen Sachen überzeugen. Ans Geld kann man denen nicht gehen, rausschmeißen kann man sie nicht und das sind viele eben so gewohnt. Ich glaube, viele unterschätzen auch den Aspekt Erziehen und den Schülern zuhören und auch Respekt den Schülern gegenüber aufbringen. Sondern die möchten eben ganz gerne einfach so hingehen, das Wissen einfach auf den Markt bringen, und gehen davon aus, dass die, also die Schüler in dem Falle, sich das dann schon nehmen. Aber die Schüler sind oftmals halt auch unwillig."
    Uwe Hänsch jedenfalls scheint der Seiteneinstieg ins Lehramt geglückt zu sein. Er hat ein gutes Verhältnis zu den meisten Schülern und seine Kollegen akzeptieren ihn. Für viele Seiteneinsteiger ist das keine Selbstverständlichkeit:
    "Ich habe natürlich auch schon oft gehört von Kollegen, da ging es dann meistens nicht um mich selber, dass die so allgemein über Seiteneinsteiger sehr negativ gesprochen haben. Ich glaube, das haben sich Seiteneinsteiger zum Teil auch selber zuzuschreiben, weil manche da recht blauäugig ran gehen und sagen, so ein bisschen Schule, das kann jeder. Ich kenne auch einige, die dann eben gescheitert sind und dass nicht so toll fanden dann an der Schule. Und dann auch wieder aufgehört haben."
    Dabei haben die Kultusminister derzeit gar keine andere Chance, als auf Quereinsteiger zurückzugreifen, wenn sie die Lücken in den Lehrerzimmern schnell auffüllen wollen, sagt selbst Peter Silbernagel vom Philologenverband:

    "Wir sind darauf angewiesen, in Zeiten, in denen wir zu wenig Lehrkräfte insgesamt in der Ausbildung noch haben, dass wir auf sogenannte Seiten- und Quereinsteiger zurückgreifen. Das tut zwar dem hehren Ideal des ausgebildeten Lehrers Abbruch, aber es ist eine Notsituation, und insofern muss man Verständnis dafür haben, dass Schulen in Einstellungsverfahren auch auf Kräfte zurückgreifen, die keine Grundständige Lehrerausbildung hinter sich haben."
    Doch die Notsituation wird noch mindestens fünf bis sieben Jahre anhalten - so lange rollt die Pensionierungswelle, und so lange dauert es eben auch mindestens, bis die heutigen Studienanfänger, wenn sie sich denn für eine Lehramtsausbildung entscheiden, in den Klassenzimmern ankommen. Es muss also schnell gehandelt werden, um Studieninteressenten von den Perspektiven einer Lehrer-Karriere zu überzeugen. Doch genau dieses schnelle Handeln lassen die Kultusminister vermissen, kritisiert Bildungsforscher Klaus Klemm, und setzen stattdessen lieber auf kurzfristige Flickschusterei.

    "Die Abiturienten, die heute unmittelbar nach ihrem Abitur oder vorher sich überlegen, was soll ich denn studieren, tappen in der Frage: Wie wird denn ihre Einstellungssituation im Jahre 2015, 2016, 2017, wenn sie aus dem Seminar in die Schulen hineinwollen, wenn sie fertig sind, wie wird ihre Einstellungssituation da sein? Da tappen sie völlig im Dunkeln, da hat die Kultusministerkonferenz insgesamt eine Bringschuld."
    Und diese Bringschuld wird nach Klemms Meinung derzeit nicht eingelöst. Sein Fazit: Die Kultusminister versagen bei der Nachwuchswerbung, bei der bundesweiten Bedarfsplanung für Lehrerstellen und sogar bei der Qualifizierung der als Notbehelf eingesetzten Quereinsteiger. Tatsächlich fühlt auch Seiteneinsteiger Uwe Hänsch immer noch Bedarf an weiteren Schulungen - obwohl er dem Gesetz nach längst als voll ausgebildeter Lehrer gilt.

    "Was mir komplett fehlte in meiner Ausbildung jetzt, also in diesen zwei Jahren Referendariat, ist so Psychologie, Entwicklungs-Psychologie, Lernstörungen, die ganzen Bereiche. Dann auch Schulrecht, was darf ich als Lehrer, was muss ich beachten. Das ist sehr, sehr, sehr kurz gekommen. Also da finde ich, ist diese gesamte zweite Phase Referendariat gar nicht auf die Seiteneinsteiger zugeschnitten. Logisch, ist ja auch ursprünglich nicht dafür gedacht. Aber hätte man in der Phase - in unserem Kurs waren vielleicht 50 Prozent Seiteneinsteiger - hätte man da, denke ich, noch mehr drauf eingehen sollen. Da fühle ich mich etwas schmal ausgebildet."