Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


Lehrer ohne Stimme

Für Lehrerinnen und Lehrer ist die Stimme das wichtigstes Medium im Klassenzimmer. Die Sprechwissenschaftlerin Susanne Voigt-Zimmermann wies in dem Zusammenhang darauf hin, dass die häufigsten Schwierigkeiten von Lehramtsanwärter beim Sprechen stimmliche Probleme sind. Heiserkeit, fehlende Belastbarkeit der Stimme und eine fehlende Steigerungsfähigkeit machten für viele den Unterricht zur Qual.

Moderation: Jörg Biesler | 22.02.2008
    Jörg Biesler: Wenn Lehrerinnen und Lehrer vor der Klasse stehen, dann ist trotz aller Technik im Unterricht, die mittlerweile eingesetzt wird, die Stimme ihr wichtigstes Medium. Über die Stimme vermitteln sie ihr Wissen, und wenn die Schüler die nicht hören, oder besser, verstehen können, dann sind Unterricht und Lernen insgesamt in der Krise. Mehr als ein Drittel der Lehramtsanwärter hat Probleme beim Sprechen und braucht deshalb dringend Hilfe. Susanne Voigt-Zimmermann ist Sprechwissenschaftlerin und Sprecherzieherin an der Universität in Heidelberg. Guten Tag!

    Susanne Voigt-Zimmermann: Guten Tag!

    Biesler: Was sind denn die häufigsten Schwierigkeiten der Lehramtsanwärter beim Sprechen?

    Voigt-Zimmermann: Wir haben in einer Studie nachweisen können, dass die häufigsten Schwierigkeiten eigentlich stimmliche Probleme sind. Nun, was sind stimmliche Probleme? Das Hauptmerkmal eines Stimmproblems ist die Heiserkeit, die fehlende Belastbarkeit der Stimme, die fehlende Steigerungsfähigkeit und der große Druck oder die große Belastung für den Kehlkopf und für das Stimmorgan selbst. Schmerzen, Globusgefühl und das Gefühl, nicht den Raum durchdringen zu können und die Schüler erreichen zu können.

    Biesler: Es ist aber nicht nur ein Gefühl, sondern die Lehramtsanwärter können wirklich den Raum nicht durchdringen, also nicht bis in die letzte Reihe kommen, sodass jeder alles verstehen kann?

    Voigt-Zimmermann: So ist es.

    Biesler: Spielt das bei der Ausbildung an der Universität irgendeine Rolle? Wird das beachtet, wird das vielleicht sogar korrigiert?

    Voigt-Zimmermann: Ja, es ist leider so, dass das an den pädagogischen Hochschulen und an den Universitäten, also in der Gymnasiallehrerausbildung sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Es gibt Einrichtungen, wo es obligatorische Veranstaltungen für die Lehramtsstudierenden gibt, aber zum Beispiel an der Universität Heidelberg ist es so, dass sie fakultative Veranstaltungen besuchen können, wenn sie diese dann finden.

    Biesler: Das heißt, man kann nicht davon ausgehen, dass nach Abschluss der Ausbildung an der Universität dann tatsächlich auch alle zukünftigen Lehrer mit ihrer Stimme eins sind?

    Voigt-Zimmermann: Nein, davon kann man nicht ausgehen. Ich selber habe ja Veranstaltungen mit Lehramtsstudierenden, und mir kommt es dann eben auch unter, dass ein Studierender stottert oder dass die Studierenden den Raum nicht durchdringen können oder nicht in der Lage sind, ein korrektes Hochdeutsch zu sprechen.

    Biesler: Sind das bei den Lehramtsanwärtern einfach besonders viele, die solche Sprechschwierigkeiten haben, oder ist das der Durchschnitt der Gesellschaft, und dann ist dann eben auch bei den Lehramtsanwärtern so?

    Voigt-Zimmermann: Nein, ich glaube, man muss die Frage anders stellen oder von einer anderen Seite rangehen. Ich glaube, dass der Kehlkopf als solches nicht dafür geeignet ist oder nicht dafür geschaffen wurde, um einen großen Raum mit vielen Teilnehmern zu füllen und das über eine längere Zeit. Sie müssen bedenken, ein Gymnasiallehrer hat 25 Unterrichtsstunden pro Woche, das ist eine enorme Belastung für den Kehlkopf, und dafür ist die Stimme eigentlich nicht angelegt. Deshalb fordern wir auch von der Deutschen Gesellschaft für Sprechwissenschaft und Sprecherziehung eine obligatorische Sprecherziehung für alle Lehramtsanwärter in gesamt Deutschland.

    Biesler: Das würde sozusagen das Problem dann auf lange Sicht lösen, es könnte aber doch auch dazu führen, dass der eine oder andere Lehramtsanwärter vielleicht als nicht geeignet fürs Studium und nicht geeignet für den späteren Beruf sich entpuppt?

    Voigt-Zimmermann: Ja, hier sprechen Sie ein sehr wichtiges Thema an. Die Eignungsuntersuchung, die wir ja fordern am Anfang des Studiums oder noch besser vor dem Studium, soll keine Selektion sein, sondern soll eine frühzeitige Hilfestellung bieten für die Studierenden, um in einer Stimmtherapie das Stimmproblem zu beheben oder bei einer Artikulationsschulung die Sprechweise zu verbessern.

    Biesler: Wenn man jetzt solche regelmäßigen Untersuchungen machen würde beim Beginn des Studiums, könnten dann die meisten dieser Sprechschwierigkeiten auch kuriert werden?

    Voigt-Zimmermann: Davon gehen wir aus, und das ist auch schon wissenschaftlich nachgewiesen worden, dass Stimmübungen im Studium einen signifikanten Einfluss darauf haben, dass die Stimme während der Arbeit oder am Beginn der Arbeit nicht so häufig erkrankt oder der Belastung standhält.

    Biesler: Nun sehe ich ein, dass das ein wichtiges Problem ist und dass das Sprechen für Lehrer natürlich auch sozusagen eine Kernkompetenz ist, das Sprechen-Können, aber es ist natürlich auch zusätzlicher Stoff, es ist zusätzlicher Aufwand, der da getrieben werden muss. Ist das zu bewältigen während des Studiums?

    Voigt-Zimmermann: Ich weiß nicht, ob Sie sich auskennen beim Studium des Lehramtes, wo sehr viel Theorie vermittelt wird. Ich kann Ihnen nur sagen, dass meine Studierenden sehr dankbar darüber sind, endlich mal eine Veranstaltung zu haben, wo es um sie, um ihre Leistungen geht, und eine Veranstaltung haben, wo sie sich entwickeln können, ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten verbessern können.

    Biesler: Wie sind denn Ihre Erfahrungen sozusagen auf die lange Sicht, wenn die Studentinnen und Studenten, die eine Lehramtsausbildung beginnen, an solchen Schulungen teilnehmen, kann man dann auch sagen, dass sie längere Zeit im Lehrerberuf bleiben, vielleicht weniger Schwierigkeiten insgesamt haben, nicht nur was die Stimme angeht, sondern auch was die ansonsten berufliche Zukunft angeht?

    Voigt-Zimmermann: Davon gehen wir aus und dafür sprechen alle Erfahrungen, die wir da in dem Bereich gemacht haben.

    Biesler: Susanne Voigt-Zimmermann, Sprechwissenschaftlerin der Uni Heidelberg über die Sprechschwierigkeiten von angehenden Lehrerinnen und Lehrern. Morgen berichtet PISAplus von der Bildungsmesse didacta über Lehreraus- und -fortbildung im Deutschlandfunk. Morgen um 14 Uhr 05: PISAplus, das Magazin fürs lebenslange Lernen.