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Lehrer unterm Hakenkreuz
Welche Einblicke liefern Hans-Peter de Lorents "Täterprofile"?

Schon 1938 drillte der Hamburger Turnlehrer Rudolf Fehling seine Schülerinnen und Schüler mit Prügel für den Krieg. Nach dem Krieg recherchierte der ehemalige Lehrer Hans-Peter de Lorent insgesamt 180 Lebensläufe und stellte fest: Alle Täter konnten nach 1945 fast nahtlos wieder an ihre Karriere anknüpfen.

Von Ursula Storost | 26.09.2019
Eine der letzten Aufnahmen von Adolf Hitler vom 20.03.1945 zeigt ihn bei der Auszeichnung von Mitgliedern der Berliner Hitler-Jugend, die zum Ende des Zweiten Weltkrieges in Volkssturmeinheiten zusammengefaßt wurden.
Nach dem 2. Weltkrieg konnten viele Lehrer der NS-Zeit, selbst einst überzeugte Parteimitglieder, ihren Beruf im Schuldienst wieder aufnehmen (picture alliance / dpa / Heinrich Hoffmann)
Rudolf Fehling, Lehrer an der Hamburger Jahnschule schrieb im Februar 1938 einen Artikel in der Hamburger Lehrerzeitung.
"Wir sollten endlich den liberalistischen Satz ‚Wissen ist Macht‘ ausstreichen und dafür schreiben: ‚Kanonen sind Macht!". Das sollte heute jeder begriffen haben."
Damals war Fehling auch Kreisleiter des Nationalsozialistischen deutschen Lehrerbundes. Sein Credo: schon in der Schule muss vormilitärische Ausbildung geleistet werden.
"Unsere Jugend drängt zum Soldatischen, sie fordert es ernsthaft und will keine Soldatenspielerei. Das ist aber nur eine Frage der Ausbilder."
Noch in den 60er Jahren Prügel im Klassenzimmer
Rudolf Fehling unterrichtete auch nach 1945 wieder Lehrer an einer Hamburger Schule. Noch in den 60er Jahren gab es in seinem Klassenzimmer Prügel, wenn Schüler nicht in seinem Sinne funktionierten. Seine Biografie ist eine von einhundertachtzig Lebensläufen, die Hans-Peter de Lorent detailgetreu recherchiert hat.
"Mich interessierte, wie wird eigentlich jemand, der aus der reformpädagogischen Zeit der Hamburger Schulen kommt, wo vieles möglich war, wie wird der Nationalsozialist."
Eine endgültige Antwort auf diese Frage hat Hans Peter de Lorent nicht gefunden. Der ehemalige Lehrer und leitende Oberschulrat aus Hamburg hat Material zu mehr als 300 Personen des Hamburger Bildungssystems im Nationalsozialismus gesammelt. Über 40 Jahre lang hat er in Entnazifizierungsprotokollen, Lehrerzeitschriften, in Archiven und Personalakten gestöbert.
"Man muss sagen, dass die Nazis eine ziemlich gerissene Personalpolitik gemacht haben. Die haben 1933 sechshundertfünfzig Leute aus dem Schuldienst in Hamburg rausgeschmissen oder frühpensioniert und das waren in erste Linie diejenigen von denen die Nazis wussten, dass die in der Weimarer Republik eine reformpädagogische linke sozialdemokratische oder kommunistische Grundhaltung hatten. Und für die 650 Leute, die sie rausgeschmissen haben, haben sie in gleicher Größenordnung jüngere Lehrer eingestellt."
Junglehrer als NS Kader
Die Neueingestellten waren Lehrer, die um 1900 geboren worden waren und die aufgrund der ökonomischen Krise in der Weimarer Republik nicht in den Schuldienst übernommen worden waren.
"Und diese Leute, die dann eingestellt wurden, waren die Kadergruppen der Nazis. Junge Männer, meistens die auch deutsch-national ausgerichtet gewesen sind, die persönlich profitierten dadurch, dass die Personalpolitik in der NS Zeit verändert wurde. Und die wurden dann auch nach kurzer Zeit Schulleiter, kamen in die Schulbehörde."
Die zweite Gruppe der Pädagogen, die von der Nationalsozialistische Ideologie begeistert waren, so Hans Peter de Lorent, waren die Lehrer an höheren Schulen, die um 1880 geboren worden waren.
"In der Regel Offiziere im Ersten Weltkrieg gewesen, die noch die Depression des für sie verlorenen Krieges, den Versailler Vertrag schwer verdauen konnten. Die hatten ne deutsch- nationale Grundhaltung in der Regel, sind häufig auch Schulleiter gewesen und die sind durch die Nazis angesprochen worden."
Es waren erzkonservative Bildungsbürger, die die Ehre des Vaterlandes wiederherstellen wollten. Einer von ihnen war der Pädagoge Dr. Ottmar Hartleb, Leiter des Emilie Wüstenfeld Mädchenlyzeums in Hamburg Eimsbüttel. Er verkündete 1934 seinen Schülerinnen.
"Unser Führer war einer von den Millionen, die für uns gekämpft und gelitten haben. Er hat mit seinen braunen Armeen den feldgrauen Soldaten und den gefallenen Kameraden die Ehre wiedergegeben und den Toten die Krone der Ewigkeit aufs Haupt gedrückt."
"Früher waren die höheren Schulen die Schulen der Oberschicht. Und deren Interessen waren nie kompatibel mit der Politik der Weimarer Zeit, die fortschrittlich in Richtung Aufbruch und Weiterentwicklung der Gesellschaft war."
Neben diesen exponierten Befürwortern des Nationalsozialismus, gab es den Recherchen Hans-Peter de Lorents zufolge, eine große Menge ängstlicher, opportunistischer Menschen im Hamburger Bildungswesen, die den Nationalsozialisten zumindest teilweise das Versprechen einer glänzenden Zukunft abnahmen..
"Vereinfacht kann man sagen, die Atmosphäre ist in fast allen Schulen sehr pro nationalsozialistisch gewesen. Also es gibt nur sehr wenige Schulen, wo man sagen kann, die haben sich formal an Sachen gehalten sondern die sind schon in wesentlichen Sachen mitgelaufen."
Bis zum Ende des Krieges waren von den etwa sechstausend Lehrerinnen und Lehrern in Hamburg ca. achtzig Prozent Mitglieder der NSDAP. Nach 1945 wurden sie entnazifiziert und selbst einst überzeugte Parteimitglieder durften wieder in den Schuldienst. Viele in gehobener Stellung, wie de Lorents Untersuchung dokumentiert. Lehrer wurden ja dringend gebraucht.
"Die mischten sich munter in den Kollegien und ich glaube, dass es erst der antiautoritären Schüler- und Studentenbewegung gelungen ist, das zu thematisieren und zu sagen, das wollen wir nicht und das machen wir nicht mehr mit."
Menschen erwecken Systeme zum Leben
Die von Hans Peter de Lorent rekonstruierten Biografien zeigen deutlich, dass es sind Menschen, die Systeme zum Leben erwecken, sagt Dr. Sabine Bamberger-Stemmann. Sie ist Leiterin der Hamburger Landeszentrale für politische Bildung, die die Täterprofile herausgegeben hat.
"Systeme fallen nicht vom Himmel, Systeme werden von Menschen entwickelt, sie werden durchgesetzt. Die Politik wird gestaltet, konzipiert, exekutiert. D.h. wenn wir über historisch-biografische Forschung uns ein System wie den Nationalsozialismus in Hamburg anschauen, dann bekommen wir die Facetten." menschlicher Entscheidungsmöglichkeiten vor Augen geführt.
Die Untersuchung, so die Historikerin, offenbare aber nicht nur die Strukturen eines totalitären Regimes sondern auch wie geschlossen die Seilschaften auch nach 1945 funktionierten.
In dem Moment, wo wir lesen, dass die Täter sich gegenseitig die Persilscheine geben, d.h. die Entlastung in den Entnazifizierungsverfahren. Das ist der eine Punkt, den man sehr deutlich als Struktur sehen kann. Da gibt es auch quasi fast wie verabredet erscheinende Formulierungen.
Eine Kontinuität der Menschenverachtung
Erschütternd, sagt die Historikerin Sabine Bamberger-Stemmann, sei auch eine Kontinuität der Ungerechtigkeiten und Menschenverachtung, die in den Biografien sichtbar werde.
"Wenn man die liest, möchte man sie eigentlich nicht glauben. Da fängt es an bei Käthe Petersen, die im sozialfürsorgerischen Bereich eine führende Stellung während des Nationalsozialismus hat und nach 1945 nach kurzer Zeit quasi in die gleiche Position nur noch ne Etage höher wieder eingesetzt wird. D.h. mit den so genannten asozialen Familien wieder das gleiche exkludierende Spiel betreiben kann, was sie während des Nationalsozialsozialismus exekutiert hat."
Käthe Petersen war ab 1934 in der Hamburger Sozialbehörde als Sammelpflegerin "geistig gebrechlicher" bzw. "gemeinschaftswidriger" Frauen tätig. Zitat:
"Durch strenge Zucht und Disziplin, verbunden mit einer gerechten und erzieherischen Behandlung, wird versucht, die Mündel an Sauberkeit, Pünktlichkeit, Ordnung und an eine ordentliche Lebensführung zu gewöhnen".
Käthe Petersen wusste, dass Frauen unter ihrer Vormundschaft in Konzentrationslager und in Tötungsanstalten verlegt wurden. Nach 1945 wurde sie als Mitläuferin eingestuft und zur Oberregierungsrätin befördert. Ein Zitat aus dem Jahr 1952
"Haltlose und Arbeitsscheue fallen in der Regel nicht nur dadurch auf, dass sie der Arbeit ausweichen, sie lassen sich auch in ihrer sonstigen Lebensführung gehen."
Eine Hand wusch die andere
Käthe Petersen machte Karriere und erhielt 1973 das große Bundesverdienstkreuz. Solche Strukturen aufzudecken, sei ein großes Verdienst der Täterprofile, so die Historikerin Dr. Kirsten Heinsohn von der Hamburger Forschungsstelle für Zeitgeschichte.
"Dass eine große Mehrheit einer Berufsgruppe sich sehr willig in den Dienst des NS Regimes gestellt hat und sich auch nach 45 sich nicht aktiv kritisch damit auseinander gesetzt hat, das wissen wir für die Ärzte, das wissen wir für die Juristen, das wissen wir z.T. für bestimmte Politiker, das hat damit zu tun, dass die deutsche Gesellschaft in jeder Schicht, in jeder Berufsgruppe extrem tief mit dem Nationalsozialismus verbunden war."
Dank der Dokumentation von de Lorent können Historiker jetzt auch nachvollziehen, wie die Entnazifizierung nach 1945 im Hamburger Bildungswesen funktionierte. Die Lehrer bescheinigten sich gegenseitig – trotz Parteimitgliedschaft – immer korrekt gehandelt zu haben. Eine Hand wäscht die andere, sagt Kirsten Heinsohn.
"Das ist doch genau diese Haltung, dass man gar nicht kritisch reflektiert hat, dass allein schon der Umgang mit Schülern, die Inhalte, die vermittelt worden sind, dies autoritäre Gehabe, dass das auch ein Teil des nationalsozialistischen Regimes war, dass man das gar nicht in Frage gestellt hat sondern für Normalität in der Schule gehalten hat und dann auch keinen großen Unterschied zwischen 44 und 54 gesehen hat."