Samstag, 20. April 2024

Archiv

Lehrermangel
Schulleiterin: Immer weniger Lehrkräfte für mehr Aufgaben

Die Aufgaben an den Grundschulen würden immer größer, es sei aber immer weniger Personal da, sagte Anne Deimel, NRW Landesverband Bildung und Erziehung, im Dlf. Für Lehrkräfte bedeute dies einen unheimlichen Kraftaufwand - und auch auf die Kinder hätten die vielen Vertretungen negative Auswirkungen.

Anne Deimel im Gespräch mit Regina Brinkmann | 22.03.2019
Ein rechtshändiger Junge und ein linkshändiges Mädchen der 1. Klasse der Goethe-Grundschule in Potsdam üben am Montag (22.08.2011) im Unterricht unter Anleitung der Klassenlehrerin das Schreiben der "Eins" an der Tafel.
Allen Kindern gerecht werden - das wird für Lehrkräfte an Grundschulen immer schwerer, weil Personal fehlt (picture alliance / Jens Kalaene)
Regina Brinkmann: Beim deutschen Schulleiterkongress in Düsseldorf tauschen sich gerade mehr als 2.500 Teilnehmer unter anderem über ihre Sorgen und Nöte im Schulalltag aus. Eine Sorge nimmt dabei immer größeren Raum ein: So ist der Lehrermangel aus Sicht der Lehrergewerkschaft VBE, die den Kongress auch veranstaltet, schon lange kein Randphänomen mehr. Laut einer aktuellen Studie des Verbandes kämpft inzwischen jede zweite Schulleitung mit diesem Mangel. Bei einer Studie vor einem Jahr beklagte das nur jede dritte Schulleitung. Wie sich das in der Praxis auswirkt, dazu kann uns Anne Deimel Auskunft geben, sie ist selbst Grundschuldirektorin und stellvertretende Vorsitzende im Verband Erziehung und Bildung in NRW. Guten Tag, Frau Deimel!
Anne Deimel: Guten Tag, Frau Brinkmann!
Brinkmann: Wie macht sich der zunehmende Lehrermangel in Ihrem Arbeitsalltag als Grundschulleiterin bemerkbar?
Deimel: Ja, ich kann Ihnen sagen, Frau Brinkmann, dieses Thema Lehrkräftemangel, das treibt mich um. Wir haben in Grundschulen in Nordrhein-Westfalen - und natürlich auch in meiner Grundschule - die Entwicklung, dass die Klassen immer heterogener werden, wir haben viele verschiedene Kinder, die zu uns in die Grundschulen kommen. Die Aufgaben werden immer größer, aber es ist immer weniger Personal in den Schulen, das diese Aufgaben überhaupt meistern kann. Und das ist einfach, wir merken das hautnah, Sie können sich vorstellen, die Kinder kommen mit unterschiedlichen Voraussetzungen in die Schulen. Da haben Sie ein hochbegabtes Kind, aber Sie haben genauso ein Kind, das noch Entwicklungsverzögerungen hat. Allen Kindern wollen wir gerecht werden, aber da sind sehr viele Gespräche notwendig, es ist sehr viel individuelle Förderung notwendig. Und uns fehlt da schlichtweg die Zeit, weil einfach immer weniger Lehrkräfte immer mehr Aufgaben erfüllen müssen.
Seiteneinsteiger und die Frage der Qualifikation
Brinkmann: Viele personelle Lücken werden ja von Seiteneinsteigern ausgefüllt. In der Studie beklagen sich weniger Schulleiter als in der Vorgängerstudie über fehlende Qualifizierung beziehungsweise Vorbereitung dieser Seiteneinsteiger auf das Unterrichten. Heißt das jetzt in der Praxis, die Seiteneinsteiger machen inzwischen einen immer besseren Job und können Schulen entlasten?
Deimel: Generell muss man sagen, dass wir für viele Seiteneinsteiger, die in den Schulen sind, sehr dankbar sind. Das ist auch ihr gutes Recht, die Stellen sind ausgeschrieben, und wenn da jemand seine Chance sieht und sagt, das ist ein Berufsfeld für mich, in das ich reinkommen möchte und in dem ich gerne arbeite und Schulen unterstütze, ist das in Ordnung. Warum jetzt Schulleiter in NRW ausgesagt haben in der Studie, dass die Seiteneinsteiger vorqualifiziert sind, ist schwer nachzuvollziehen, weil es gibt in Nordrhein-Westfalen keine Vorqualifizierung für Seiteneinsteiger. Meine Erklärung dafür ist, dass damit die pädagogische Einführung benannt ist. Es ist so, wenn wir einen Seiteneinsteiger einstellen im Grundschulbereich für ein bestimmtes Fach, dann geht er ein Jahr lang in eine pädagogische Einführung, das wird schulisch eben begleitet und von den Seminaren begleitet. Und nach einem Jahr ist diese pädagogische Einführung eben abgeschlossen. Und dass die Schulleiter diese pädagogische Einführung als Qualifizierung empfinden, anders kann ich mir das nicht erklären. Wir wissen aber, die Seiteneinsteiger melden das selbst zurück, dass sie einen hohen Bedarf haben an Qualifikation, weil die Situation ist so, es gibt ja nur begrenzte Fächer. Wenn jetzt jemand mit dem Fach Sport in die Grundschule kommt, und er wird als Seiteneinsteiger eingestellt, dann kommt er in der Regel in eine Grundschule, wo er erst mal nur dieses Fach Sport gibt. Das ist sehr anstrengend, wenn Sie sich vorstellen, 28 Stunden Sport, die ganze Woche, immer verschiedene Klassen, immer verschiedene Kinder. Und da reift bei den Seiteneinsteigern der Wunsch, die möchten mehr Aufgaben in den Grundschulen übernehmen und sie wünschen sich eine Qualifikation, dass sie eben auf einer gewissen Ebene so qualifiziert werden, dass sie auch Klassenunterricht wahrnehmen dürfen.
Kinder kommen nicht gut klar
Brinkmann: Wenn wir uns jetzt noch mal die Kinder anschauen, was macht das denn eigentlich mit den Kindern, wenn keine Lehrer da sind oder häufig Vertretungsunterricht stattfinden muss?
Deimel: Das ist ein Thema, was Sie da ansprechen, was mir sehr, sehr wichtig ist. Die Grundschulen hat immer ausgemacht, dass sie das Klassenlehrerprinzip haben. Die Kinder, die zu uns kommen im Alter von fünf, sechs Jahren, die brauchen eine ganz starke Bindung zu demjenigen, der täglich in der Schule mit ihnen arbeitet. Darum haben wir dieses Klassenlehrerprinzip. Da ist viel Beziehungsarbeit notwendig, Kinder brauchen eine Vertrauensperson. Und wenn jetzt immer mehr Leute in Grundschulen kommen, die immer nur einzelne Fächer unterrichten können, wird das Klassenlehrerprinzip ausgehebelt, und Grundschulkinder kommen da nicht gut mit klar, wenn sie häufig unterschiedliche Personen in der Klasse im Unterricht haben. Sie müssen sich ja immer wieder umstellen.
Fehlstunden, Vertretungen - ein "Teufelskreis"
Brinkmann: Wie gut oder schlecht kommt denn das Kollegium mit dem Lehrermangel klar? Was macht das mit den Lehrerinnen und Lehrern?
Deimel: Wenn Sie jetzt in mein Kollegium gehen würden, dann würden die Kolleginnen Ihnen sofort rückmelden, dass sie den Eindruck haben, dass nicht wahrgenommen wird, auf jeden Fall nicht ausreichend wahrgenommen wird, welche Leistung sie da jeden Tag vollbringen. Es ist ein unheimlicher Zeit- und Kraftaufwand, der da im Moment in den Grundschulen stattfindet, weil die Kollegen in der Grundschule - das ist in allen Schulformen so -, aber die sind sehr nah an den Kindern und an den Eltern. Das ist sehr viel Beziehungsarbeit, da finden sehr viele Gespräche statt. Und wenn Sie so nah dran sind, dann ist es Ihnen sehr wichtig, dass Sie jedes Kind optimal fördern. Und die Kollegen kommen an ihre Grenzen. Noch vorgestern Abend hat ein Vater zu mir gesagt, wie ist das denn an den Schulen, was ich sehe, ist, gerade in den kleinen Systemen, die sind so überbelastet, da fehlen im Durchschnitt zwei Kollegen oder Kolleginnen in den Kollegien, und die werden krank, da müssen die, die da sind, noch mehr machen, nämlich Vertretung und die Aufgaben übernehmen. Und dann entsteht ein Teufelskreis, weil einfach die Anforderungen an die Lehrkräfte, die im System noch sind, immer größer werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.