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Lehrermangel
"Wir brauchen eine bundesweite Lehrerjobbörse"

Um den Lehrermangel an deutschen Schulen auszugleichen, werde ein Masterplan benötigt, sagte Heinz-Peter Meidinger vom Deutschen Lehrerverband im Dlf. Dazu gehöre auch eine bundesweite Jobbörse, damit Lehrkräfte und auch Quereinsteiger aus der Wirtschaft einen Überblick über Angebote erhielten.

Heinz-Peter Meidinger im Gespräch mit Kate Maleike | 31.07.2017
    Der Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, aufgenommen am 15.04.2016 in seinem B
    Heinz-Peter Meidinger ist der Vorsitzender des Deutschen Lehrerverbands und spricht auch für Deutschlands Gymnasiallehrer. (dpa/picture-alliance/Gregor Fischer)
    Kate Maleike: In dieser Woche ist Schuldeutschland sozusagen im Fellwechsel: Baden-Württemberg und Bayern sind ja gerade in die Sommerferien gestartet, Bremen und Niedersachsen kommen dagegen schon wieder zurück in den Schulbetrieb, doch egal, in welchem Bundeslang, überall fehlen, wenn das neue Schuljahr kommt, Lehrkräfte. Jetzt ist die Klage über Lehrermangel wirklich nicht neu, doch seit Kurzem haben wir eine Studie der Bertelsmann Stiftung auf dem Tisch, die besagt, dass 2025 in Deutschland rund 1,1 Millionen mehr Kinder und Jugendliche zur Schule gehen als bislang erwartet. Für den Deutschen Lehrerverband ist deshalb jetzt die Politik dringend gefordert. Heinz-Peter Meidinger ist der Verbandsvorsitzende, und gleichzeitig spricht er auch für Deutschlands Gymnasiallehrer. Hallo, Herr Meidinger!
    Heinz-Peter Meidinger: Hallo, Frau Maleike!
    "Bis 2030 über 40.000 Lehrkräfte, die fehlen werden"
    !Maleike:!! Sie sagen, es muss einen Masterplan Lehrerbedarf geben. Wer soll ihn machen, und was soll drinstecken?
    Meidinger: Ja, also Masterplan muss sein. Die Herausforderung ist ja enorm. Bis 2030 über 40.000 Lehrkräfte, die fehlen werden in unterschiedlichen Bereichen, in fast allen Bundesländern. Das heißt, das ist nur leistbar mit einem Masterplan, an dem sowohl Bundesländer als auch der Bund sich beteiligen müssen.
    !Maleike:!! Und wie würden Sie den Masterplan, in welcher Größe würden Sie den denken?
    Meidinger: Die Bertelsmann Stiftung hat ja eine Zahl von etwa fünf Milliarden jährlich gesagt, die im Jahr 2030 zusätzlich notwendig werden, ansteigend bis 2030. Das ist eine Hausnummer, die über einen solchen Masterplan finanziert werden müsste.
    !Maleike:!! Wie, würden Sie denn sagen, kann man mit diesem Masterplan auch die aktuellen Lehrermangelprobleme in den Griff bekommen, denn die bestehen ja schon seit vielen Jahren?
    Meidinger: Ja, natürlich. Also bei aktuellen Problemen wird man nicht umhin können, auch auf Notmaßnahmen zurückzugreifen. Da nutzt natürlich jetzt eine vorausschauende Planung Richtung 2030 nichts mehr, sondern da muss man versuchen, mit der Situation umzugehen. Das heißt, da wird man nachdenken müssen über Nachqualifizierungsprogramme, natürlich auch Quereinstieg, pädagogische Qualifizierungsprogramme beziehungsweise Maßnahmen, mit denen man Quereinsteiger dann auch für den Schulbetrieb gewinnen kann.
    "Es wird nicht so einfach sein, Leute aus der Wirtschaft für den Schuldienst zu gewinnen"
    !Maleike:!! Gerade am Wochenende hat die neue NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer von der FDP genau das jetzt auch formuliert. Sie hat gesagt, sie kann sich durchaus vorstellen, dass Quereinsteiger aus der Wirtschaft in die Schulen kommen können, weil man in der Not, in der man gerade sei, eben über alles nachdenken müsse. Wie stehen Sie zu solchen Vorschlägen?
    Meidinger: Also ich finde es richtig, dass man jetzt auch kreativ ist und darüber nachdenkt, ich glaube nur, das wird kein Patentrezept sein und auch nicht so einfach sein, jetzt Leute aus der Wirtschaft für den Schuldienst zu gewinnen. Das ist eine Frage auch der Bezahlung. Wir wissen, die Wirtschaft boomt, die Rahmenbedingungen, Arbeitsbedingungen im Schuldienst sind häufig nicht ideal, und ich glaube, man muss sich auch von der Illusion lösen, man könne so mal ganz schnell nachqualifizieren für den Lehrerberuf. Ich glaube schon, dass wichtig ist, dass Menschen in den Lehrerberuf gehen, die sich ganz bewusst dafür entschieden haben und nicht das sozusagen jetzt mal schnell ausprobieren wollen, und wenn es nicht klappt, wieder zurückgehen.
    !Maleike:!! Herr Meidinger, helfen Sie uns bitte, den deutschen Lehrerarbeitsmarkt ein bisschen besser zu verstehen. Also wir haben Nachrichten, dass in den Grundschulen und Berufsschulen massivst bundesweit Lehrkräfte fehlen. Aus den Gymnasien hören wir aber auch immer wieder, dass es genug oder sogar zu viel Lehrkräfte gibt, zum Beispiel in Deutsch und Geschichte. Wie geht das zusammen?
    Meidinger: Wir haben in Deutschland einen mehrfach geteilten Lehrerarbeitsmarkt. Das heißt, wir haben ein Nebeneinander von Lehrerarbeitslosigkeit und Lehrermangel. Das betrifft sowohl unterschiedliche Fachrichtungen als auch ein starker Bedarf in den sogenannten MINT-Fächern Mathematik, Naturwissenschaften, teilweise zu viele Lehrer – in Anführungszeichen –, also zu wenig Lehrerplanstellen heißt das ja eigentlich in Deutsch und Geschichte, beispielsweise an Gymnasien und Realschulen. Wir haben auch unterschiedliche Situationen in den alten und neuen Bundesländern.
    Die alten Bundesländer haben teilweise eben zu viele Lehrer, die neuen Bundesländer steuern auf einen massiven Lehrermangel zu, hängt auch mit der Altersstruktur zusammen, und wir haben einen dauerhaften Lehrermangel an den beruflichen Schulen, den wir schon seit Jahrzehnten nicht in den Griff bekommen. Also das ist nicht so einfach, den Lehrerarbeitsmarkt zu verstehen.
    "Wir haben immer noch große Hürden, was zugelassene Fächerverbindungen betrifft"
    !Maleike:!! Er ist ein komplexes Gebilde, dem aber eine gute Jobbörse auch fehlt, die eben bundesweit mal klären würde, an welchen Plätzen, in welchen Städten, in welchen Disziplinen fehlen gerade Lehrkräfte.
    Meidinger: Also das ist eine Forderung der Lehrerverbände seit Jahren, ja seit Jahrzehnten, dass man endlich mal mehr Transparenz und auch mehr Überblick verschafft sich beim Lehrerarbeitsmarkt. Das heißt, wir brauchen eine bundesweite Lehrerjobbörse, wo Lehrkräfte beziehungsweise angehende Lehrer, aber auch Quereinsteiger aus der Wirtschaft, so wie vorhin erwähnt, sofort einen Überblick bekommen, wo Angebote sind. Dazu müsste man natürlich die Hürden, die derzeit bestehen noch zwischen den Bundesländern, senken. Wir haben immer noch große Hürden, was zugelassene Fächerverbindungen betrifft, was Anstellungstermine betrifft, die sich deutlich unterscheiden, was die einstellenden Behörden betrifft. Im einen Fall ist es das Land, im anderen Fall ist es irgendein Oberschulamt. Da müsste Ordnung reingebracht werden. Das wäre leistbar, wenn alle Bundesländer diesen Willen hätten, und ich glaube, sie haben jetzt erkannt, dass sie alle einen Nutzen davon hätten. Deswegen hoffe ich, dass die KMK endlich diese Mammutaufgabe auch in Angriff nimmt.
    !Maleike:!! Also die Kultusministerkonferenz, die dann zum Beispiel dieses Portal auch bedienen würde, ist das Ihre Vorstellung?
    Meidinger: Genau. Das wäre ein gemeinsam verwaltetes Portal, weil tatsächlich die Informationen, wo denn Stellen sind, sehr spärlich sind.
    !Maleike:!! Deutschland braucht einen Masterplan für den Lehrerbedarf und gleich auch unbedingt eine bundesweite Lehrerjobbörse. Das sind die Vorschläge von Heinz-Peter Meidinger vom Deutschen Lehrerverband zur Bekämpfung des akuten Lehrermangels und des Mangels, auf den wir wohl noch zusteuern.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.