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Lehrervotum vor Elternvotum

Ziffer sieben des Rohentwurfs zur neuen NRW-Schulverfassung hat es in sich: Die dort beschriebene "verbindlichere Grundschulempfehlung" soll den Elternwillen bei der Wahl der weiterführenden Schule nach den ersten vier Jahren einschränken. Damit will die Landesregierung erreichen, dass weniger Gymnasiasten an dieser Schulform scheitern und beispielsweise zur Realschule wechseln müssen. Doch Teile der Elternschaft sind empört.

Von Volker Wagener | 07.01.2006
    Barbara Sommer, die Schulministerin, ließ keinen Zweifel aufkommen: Ab dem kommenden Schuljahr haben Eltern zumindest in einer Frage nicht mehr viel zu sagen:

    " Wenn absehbar ist, dass ein Kind für eine Schulform nicht geeignet ist, werden Eltern die Aufnahme künftig nicht mehr erzwingen können."

    Eine - für eine bürgerlich-konservative Regierung - erstaunliche Prioritätenverschiebung, die schon im Vorfeld des Kabinettsbeschlusses Teile der Elternschaft aufhorchen ließ. Dass Mütter und Väter in Zukunft bei der Frage Gymnasium, Realschule oder Hauptschule für ihre zehnjährigen Sprösslinge nur gehört werden, die Entscheidung aber die Lehrer treffen sollen, ist auch eine emotionale Angelegenheit, die Jürgen Rüttgers schon jetzt, im frühen Stadium der Gesetzesnovellierung, zu spüren bekommt. Was ihm anzuhören ist:

    " Wir haben einen Zustand, der bis zu dem Zeitpunkt, wo wir angefangen haben, etwas anderes zu machen, alle gesagt haben, das ist unerträglich, und jetzt tun wir was dagegen und das wird kritisiert."

    2,9 Millionen Nordrhein-Westfalen gehören zur Bevölkerungsgruppe der Schülerinnen und Schüler. Warum wegen 15.000 - statistisch gesehen - zu hoch eingestuften Jungen und Mädchen, die nach kurzer frustrierender Zeit praktische Erfahrung mit dem Schul-Abstieg machen, gleich alle Eltern von Viertklässlern teilentmündigt werden sollen, diese Frage dürfte in den nächsten Monaten noch häufiger an das Duo Rüttgers-Sommer gestellt werden.

    " Der Elternwille ist dann nicht maßgeblich, wenn die fehlende Eignung offenkundig nicht da ist. Dann wird der Elternwille eingeschränkt."

    Teile der Elternschaft sind empört. So kann man die für Nordrhein-Westfalen schlechten Pisa-Ergebnisse auf Umwegen noch ein wenig verträglicher machen, unken besonders verbitterte Mütter und Väter.

    Bärbel Arnd aus Köln hat zwei schulpflichtige Kinder. Der Jüngere ist jetzt in der dritten Klasse. Im nächsten Schuljahr soll dann der Klassenlehrer entscheiden, wohin die Bildungsreise mit dem Zehnjährigen gehen soll. Mutter Arnd fährt allerdings schon jetzt schweres argumentatives Geschütz auf:

    " Die Eltern völlig auszuschließen, halte ich für falsch. Wenn ich mich als Mutter bereit erkläre, mein Kind zu unterstützen, dann kann das Land nicht sagen, das geht nicht. Ich kann doch dem Kind nicht die Bildung verweigern."

    Bis die Kinder zur weiterführenden Schule gehen kümmere sich doch kein Mensch um sie, meint Bärbel Arnd, die im Förderverein der Grundschule aktiv ist. Immer mehr werde gekürzt und auf die Eltern verlagert und jetzt sollen die noch nicht einmal mitreden dürfen.

    Gudrun Wanschura ist Konrektorin an der Schule, an der Bärbel Arnds Sohn die 3 b besucht. Auch sie ist nicht glücklich mit dem Plan der Landesregierung. Sie kennt die Praxis seit 40 Jahren. Es werden sich immer Gymnasien finden, glaubt sie, die Schüler trotz anders lautendem Votum aufnehmen werden - aus Gründen, die mit dem Leistungsstand des Kindes gar nichts zu tun haben:

    " Jetzt gehe ich mit meinem Sohn zu einem Gymnasium, vielleicht eins wo noch sieben Schülerplätze zu vergeben sind, damit der Lehrer-Stellenplan gesichert bleibt - und die sagen dann, na gut, dann versuchen wir es mal mit Fritzchen."

    Der Gymnasium-untaugliche Fritz als Mittel zum Zwecke des Stellenplan-Erhalts. Stirnrunzeln und Empörung löst auch das Stichwort "Prognoseunterricht" aus. Der andere, vorgeschriebene Weg beim Gang zur höheren Schule. Sind sich Eltern und Lehrer sowohl von der abgebenden als auch von der aufnehmenden Schule nicht einig über die Qualitäten des Viertklässlers kommt es zum dreitätigen Testunterricht. Rechtzeitig vor den Osterferien soll diese "Drei-Tage-Schule auf Probe" abgeschlossen sein.

    Was für ein Psycho-Stress für die Kinder, sagen viele Pädagogen vor allem mit Blick auf die Wochen vor dem Prognoseunterricht, wenn der gesamte familiäre Erwartungsdruck auf dem zehnjährigen Kind lastet. Nach dem Willen der neuen Landesregierung sollen alle Viertklässler durch dieses Nadelöhr hindurch, die kein Votum ihrer Lehrer für eine höher qualifizierende Schule bekommen haben und deren Eltern dennoch darauf bestehen. Streit ist vorprogrammiert. Der Leiter des Instituts für Schulentwicklungsforschung in Dortmund, Wildried Bos, will herausgefunden haben, dass 40 Prozent der Schulempfehlungen "suboptimal" sind, wie er es ausdrückt. Also falsch.

    Der Gesetzentwurf geht in diesem Monat den Verbänden zu, danach befasst sich der Landtag mit dem "Weg in ein neues Bildungszeitalter", wie Schwarz-Gelb das Papier nennt. Zum Schuljahr 2006/2007 soll die Novelle dann greifen. Bis dahin sind heftige Debatten sicher.