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Lehrjahre des Intellekts

Mit seinen mittlerweile 78 Jahren kann Dario Fo auf eine spannende und erfolgreiche Vergangenheit zurückblicken. Jedoch interessiert den Theaterautor nur ein ganz bestimmter Zeitraum seines Lebens. Denn Fo ist davon überzeugt, dass die ersten sieben Lebensjahre eines Menschen für die charakterliche und intellektuelle Entwicklung besonders ausschlaggebend sind. Aus dieser Überzeugung heraus konzentriert sich die Autobiographie des italienischen Dramatikers auf besagte erste sieben Lebensjahre. Und Fo wäre nicht Fo, wenn er seinem Publikum nicht auch noch eine Zugabe liefern würde.

Von Claudia Cosmo | 08.06.2004
    Ich übertreibe und biete euch zehn, und dazu noch ein paar Ausflüge in Richtung Reife. Glaubt mir, das ist schon zu viel! Alles hängt davon ab, wo du geboren wurdest, sagte ein weiser Mann. Was mich betrifft, so hat dieser Weise den Nagel auf den Kopf getroffen. Zunächst muss ich mich bei meiner Mutter bedanken, dass sie mich in San Giano direkt am Lago Maggiore zur Welt brachte. Aber natürlich wurde mein Geburtsort nicht von meiner Mutter ausgesucht, sondern von der staatlichen Eisenbahn, die den Entschluss fasste, meinen Vater an jenen Bahnhof zu versetzen. Mein Vater war Bahnhofsvorsteher. Ich kam zwischen einem Schienenbus und einem Güterzug zur Welt. Morgens um sieben entschloss ich mich, zwischen den Beinen meiner Mutter Ausschau zu halten.

    Dario Fos Lebensgeschichte beginnt wie eine heitere Burleske, verfasst im kecken Ton eines fröhlichen und vorwitzigen Kindes. Schon seine Geburt inszeniert der Autor als clownesken Auftritt. Das Leben sei ein großes Theaterstück, manchmal buffo, lustig und komisch, mal dramatisch, spannend oder traurig.

    Aufgewachsen ist Dario Fo am Ufer des Lago Maggiore, in dem kleinen Ort Porto Valtravaglia, sein "Wunderdorf".
    In Valtravaglia werden die Grundsteine für Fos spätere Karriere als Dramaturg und Komödiant gelegt. Neugierig lauschte der Knabe den grotesken und mythischen Erzählungen der Bewohner des Ortes.

    In jener seltsamen Schmiede der Sprache und des Dialekts besuchte ich, ohne es mir damals schon klar zu machen, die Universität der Kommunikation. Der Anfang der Erzählung muss sich ereignen wie ein Zufall. Es ist die Technik, die ich heute noch anwende, um einen Theaterabend in Fahrt zu bringen, wenn ich Situationen erfinde und Zufälle einfädele.

    Schon als Fünfjähriger träumt Dario Fo im Schlaf drehbuchreife Szenarien und wacht schweißgebadet auf. Als junger Mann besucht er die Kunstakademie in Mailand und wird als Porträtmaler engagiert. Auch von seinem Großvater Bristin fertigt er ein Bild an. Bristin war Bauer und Gemüsehändler und brachte seinem Enkel Dario die Kunst des Stegreif-Theaters bei. Jeder Besuch auf dem Gemüsemarkt wurde als Auftritt inszeniert. Keine bessere Schule des Lebens als die Plätze und Märkte in der Nachbarschaft. Hier entwickelte und verfeinerte Dario Fo seine Talent zu Komik.

    Seine Autobiographie ist eine Hommage an sich selbst, dem werdenden Künstler, und auch eine Hommage an die Gegend rund um den Lago Maggiore. Diese beschreibt Fo in Anlehnung an die Bilder des Surrealisten Giorgio de Chirico als magische Landschaft der Kindheit. Die heile Welt wird durch die Ereignisse des zweiten Weltkriegs erschüttert. Die Schilderungen über Deportation, Armut und Urecht lassen erkennen, warum Dario Fo auch ein politisch engagierter Intellektueller geworden ist. Von seinem Vater lernte er, was Zivilcourrage ist.

    Aber selbst so traumatischen Erlebnissen wie die als Rekrut im Zweiten Weltkrieg oder bei der Beerdigung seines Vaters Felice kann der Autor eine komische Seite abgewinnen. Trauer und Komik liegen bei Dario Fo dicht beieinander. Dario Fos Autobiographie Meine ersten sieben Jahre und ein paar dazu bietet eine unterhaltsame Lektüre. Die Menschen in Dario Fos Kindheit sind wie Typen in der Commedia dell`Arte. Seine autobiografischen Erinnerungen sind so wahrhaftig und bunt wie seine besten Theaterstücke. Rührend, komisch, rebellisch, im besten Sinne des Wortes: spektakulär.

    Dario Fo
    Meine ersten sieben Jahre und ein
    paar dazu

    Kiepenheuer & Witsch, 256 S., EUR 17,90