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Leibspeise Ölteppich

Mikrobiologie. - Mikroorganismen haben sich nahezu jeden Stoff als Nahrungsquelle erschlossen. Viele sind daher zum Abbau von Umweltschadstoffen geeignet. Die Universität Greifswald beherbergt die bundesweit größte Sammlung an derartigen Mikroorganismen. Insgesamt 6.500 verschiedene Stämme haben die Greifswalder Wissenschaftler seit den 70er Jahren zusammengetragen.

Von Melanie Last | 04.06.2010
    Eiskalt ist es im Kellerraum des Instituts für Mikrobiologie. Nicht größer als eine Wohnküche ist er. Die Zimmerdecke hängt tief. Ein kleines Fenster lässt kaum Licht herein. Hier wohnen die Mikroorganismen. Dass es hier so ungemütlich ist, stört sie aber nicht. Eingefroren lagern sie in einem Tiefkühltank. Wie eine Regentonne sieht er aus.

    "Da ist flüssiger Stickstoff drin. Der hat in der Regel minus 196 Grad. Und da sind jetzt also die Hefen und die filamentösen Pilze in kleinen Portionen."

    Bevor Anne Reinhard den Deckel öffnet, zieht sich die Greifswalder Mikrobiologin Schürze und Handschuhe an. Die schützen vor der Kälte.

    "Das dampft jetzt ein bisschen."

    Nebelschwaden steigen aus dem fassähnlichen Eisschrank. Es wird spürbar kälter im Kellerraum.

    "Dann ziehe ich hier so ein Metallgestänge raus. An einer Vorrichtung sind acht Plastekästchen eingehängt. Und in jedem Kästchen ist dann Platz für 100 Stämme. Da sind 100 kleine Röhrchen. Und in diesen Röhrchen sind jeweils immer noch so acht bis zehn Portionen von dem jeweiligen Stamm. Das haben wir nummeriert beziehungsweise auch mit Buchstaben versehen, so dass wir diese Buchstaben-Zahlenkombination einem bestimmten Stamm zuordnen können und genau wissen: Candida maltosa steht an Position 19K oder so, und können das dann immer wieder rausholen, wenn wir es brauchen."

    Die Wissenschaftler der Greifswalder Uni sammeln seit den 70er Jahren diese ölabbauenden Mikroorganismen. Zum Beispiel in der Nähe von Tankstellen – da, wo Benzin, Dieselkraftstoff, Öl auf den Boden getropft sind. Auch in belasteten Flüssen und Meeren. Oder in der arabischen Wüste, wo Öl versickert ist, erklärt Professor Frieder Schauer vom Institut für Mikrobiologie in Greifswald.

    "Diese Mikroorganismen wurden schon vor Jahrzehnten interessanterweise zum ersten Mal auch in Deutschland, in den 20er/30er Jahren, dann auch in den USA isoliert. Damals wurde das als Kuriosum angesehen, dass diese Mikroorganismen sich nicht von Zucker und Eiweiß und Fetten ernähren, sondern merkwürdigerweise Kerzenwachs, Paraffine oder Mineralöle nutzen. Später hat man dann gesehen, dass diese Organismen doch weiter verbreitet sind, als man ursprünglich annahm und dass das für die Mikroorganismen eine normale Nährstoffquelle sein kann."

    Die Natur reinigt sich also scheinbar selbst. Dahinter aber steckt die Kraft der Mikroorganismen. Ein Phänomen, das die Greifswalder Wissenschaftler um Frieder Schauer über Jahrzehnte erforscht haben. Zum Beispiel: Unter welchen Bedingungen vermehren sich diese winzigen Organismen besonders gut? Wann entwickeln sie sich am schnellsten?

    "Das Erste, was sie unbedingt brauchen, ist Sauerstoff. Wenn das Meer zum Beispiel sehr stark in Bewegung ist, dann ist der Abbau schneller, als wenn das sehr ruhig ist. Das Zweite ist eine Verteilung der Öltröpfchen in feine Mizellen. Das heißt, wenn große dicke Ölschichten vorhanden sind, dann werden die Mikroorganismen dort nicht so aktiv, wie wenn das Öl fein verteilt ist. Und sie brauchen Stickstoff und Phosphor. Das ist meistens nicht in genügender Menge vorhanden an dieser Stelle, wo dann das Öl in solchen großen Mengen vorliegt. Dort kann man durch Zugabe von Nährstoffen den Abbau weiter befördern…"

    ... wie im Golf von Mexiko, sagt Frieder Schauer. Dort könnten ölfressende Pilze, Hefen und Bakterien einfach gedüngt werden, damit sie sich schneller vermehren. Schon jetzt sind die Ölfresser dort am Werk. Schauer:

    "Nur im Anfang sind sie dort jetzt sehr überfordert und deshalb muss am Anfang auch erst mal das Öl abgeschöpft werden oder gebunden werden. Das geht dann schneller. Je länger die Katastrophe dauert, je mehr sich das Öl verteilt in der Fläche, umso wichtiger sind dann die ölabbauenden Mikroorganismen, weil sie dort dann ihr Werk in diesen kleinen Bereichen tun und den letzten Rest der Öle beseitigen."

    Allerdings: Solange das Öl weiter fließt, das Leck am Meeresboden nicht gestopft wird, sind die Mikroorganismen machtlos. Wissenschaftler in aller Welt haben auch darüber diskutiert, ganze Tankfüllungen im Labor gezüchteter Mikroorganismen einfach ins Meer zu schütten. Jedoch: zu aufwendig. Zu teuer. Im Labor des Greifswalder Instituts sind die Voraussetzungen für die Mikroorganismen optimal: in kleinen Glaskolben werden sie bei 25 bis 30 Grad auf sogenannten Schütteltischen permanent bewegt. So vermehren sie sich innerhalb kürzester Zeit von einer ölfressenden Zelle auf mehrere Milliarden - zum Beispiel Candida maltosa, die schnellste und effektivste Hefe. Frieder Schauer:

    "Ein Problem beim Ölabbau ist ja, dass Erdöl mindestens aus 2000 Einzelverbindungen besteht. Und die einzelnen Mikroorganismen können immer nur so zwischen zehn und 100 Verbindungen abbauen. Das heißt, man braucht dann eigentlich eine Kombination von verschiedenen Mikroorganismen-Typen, um das Öl effizient abzubauen."

    Einen Supercocktail, wie Professor Frieder Schauer ihn nennt. Für so einen Cocktail muss die Grundlagenforschung aber weiter vorangetrieben werden. Die Greifswalder Wissenschaftler nehmen die Mikroorganismen deshalb weiter unter die Lupe, studieren sie in ihren Laboren bis ins kleinste Detail.