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Leichter finden mit RFID

Per Funk auslesbare Produktetiketten - RFID - sind aus Sicht von Datenschützern nicht unproblematisch. Andererseits vereinfachen die kleinen Chips aber nicht nur den Warenverkehr, sondern auch den Alltag von Sehbehinderten und Blinden.

Von Klaus Herbst | 15.07.2006
    Der Handsensor hilft Blinden beim Suchen von Objekten. Er sieht wie ein abgesägter Haartrockner aus. Ein eingebauter Radio-Sensor erkennt RFID-Chips, die an allen möglichen Gegenständen befestigt sind. Das DV-System verwaltet sie dann in einer Datenbank.

    "Wie zum Beispiel CDs. Muss mal gucken – haben wir hier eine CD? ‚Cat Stevens, The Very Best of Evergreens.’"

    "Cat Stevens, The Very Best of Evergreens" soll das heißen, sagt Hansjörg Lienert, der Konstrukteur des Systems "Tag It". Blinde können damit beispielsweise CDs erkennen, und haben sie eine CD nach dem Hören wieder irgendwo abgelegt, ist in der Datenbank der aktuelle Ort gespeichert. Es geht also weniger verloren. Alles, auf das ein RFID-Chip passt, ist zu finden – mit Sensor, Spracherkennung und Keyboard. Seit fast zwanzig Jahren entwickelt und produziert der selbst stark Sehbehinderte in seiner Firma Draeger und Lienert in Marburg solche DV-Lösungen, die schwer Sehbehinderten und Blinden das Leben erleichtern.

    "Wir benutzen RFID-Chips, die wir auf Gegenständen anbringen, zum Beispiel Dokumente, Elektronikteile, Datenträger, Schachteln aller Art. Ich habe sogar hier, in meinen Kleidungsstücken, waschbare Chips. Und damit können jetzt Blinde Gegenstände identifizieren. Sie können auch richtig suchen. Sie sagen, was sie suchen und fahren mit einem Reader an einem Regal vorbei. Und wenn sie bei dem gesuchten Objekt sind, hören sie einen Sound und können das Buch und die Hängeregistermappe eben entnehmen."

    Im Laufe der Zeit ist das RFID-Basierte Finde-System Tag It kontinuierlich weiterentwickelt worden. Früher war es ziemlich einfach strukturiert – es konnte lediglich simple Behälter verarbeiten, Boxen und Regale auf vergleichsweise engem Raum, zum Beispiel.

    "Das Wichtigste, was jetzt so in der letzten Zeit reingekommen ist, das ist diese Positionierungsfunktionalität, wo wir Raumstrukturen abbilden, also Etagen, Räume, Möbelstücke und Objekte in Schubladen und Regalen und dergleichen. Und Sie legen was ab, und das System merkt sich das. Das System können Sie auch benutzen mit großen Antennen, die unterhalb von Schreibtischen befestigt sind. Und wenn jetzt Akten bewegt werden, dann weiß das System jederzeit, in welchem Raum sich welche Akte befindet.- Also neu ist also auch die Zuordnung von Informationen zu Objekten, dass Sie beliebige Informationen abrufen können, pdf, rtf, Dokumente, ASCEM-Dokumente, was Sie auch immer haben möchten."

    Außerdem ist die Datenbank stark verbessert worden. Das Ergebnis: Das RFID-basierte System detektiert heutzutage Gegenstände nicht nur im abgegrenzten Schreibtischumfeld, sondern nun auch in großen, komplexen Gebäuden. Immer häufiger organisieren auch Sehende auf diese Weise ihr Arbeitsumfeld und das gesamte Büro-Inventar. Hansjörg Lienert nennt ein Beispiel:

    "Wir haben das System zum Beispiel für eine Arztpraxis verkauft. Die finden damit ihre Patientenakten. Wir bieten jetzt Lösungen an für Inventarisierung, für Behörden. Also wenn Sie sich vorstellen, Sie haben viele Gebäude. Überall stehen Stühle, Tische, Computer, Monitore und so weiter. Und die herkömmliche Praxis sieht so aus: Sie haben Etiketten mit langen Nummern auf den Objekten. Jetzt gehen Leute da durch die Räume und machen einen Abgleich mit den Augen."

    Dass RFID auch zur automatischen, unbemerkten Identifizierung von Personen benutzt werden kann, hat Sicherheitslücken aufgeworfen und Anwender mit Datenschutzproblemen konfrontiert. Bei Blinden ist das etwas weniger kritisch zu sehen, meint Lienert. Sie profitierten von Technik-Lösungen, die ihnen ein Stück Normalität geben, da sie die Kommunikation erleichtern. Hier trägt die RFID-Technologie dazu bei, alltägliche, behinderungsbedingte Schwächen auszugleichen.

    "Wir machen allerdings Sachen, wo Sie identifizierbar wären. Das sind aber Anwendungen, die bewusst gewollt sind. Zum Beispiel: Ein Blinder kommt ins Büro rein. Er sieht nicht den Notizzettel an der Pinwand. Ein Blinder kommt rein, und er hat in seinem Portmonee einen Chip, und im Türbereich ist eine Antenne. Er wird erkannt und identifiziert, und dann kann er zum Beispiel bei der Türe stehen bleiben. Also er kriegt einen Sound. Und dann heißt es: Du hast Sprachnachrichten. Dann kann er entweder weitergehen, oder er bleibt im Türstock anderthalb Sekunden stehen. Dann reagiert das System darauf und spielt ihm die Nachrichten direkt vor Ort ab. Wir versuchen, alles was irgendwie behinderungsbedingt nicht geht bei einem Blinden, technisch zu kompensieren."