Freitag, 19. April 2024

Archiv

Leihräder
China und der Fahrrad-Müll

In Shanghai gibt es mehr als zwei Millionen Fahrräder zum Ausleihen. Doch ihr Ende ist nah, denn ein Großteil der Räder rottet vor sich hin und viele Anbieter sind pleite. Jetzt zeigt sich: Bei ihrem Geschäftsmodell stand nicht die Leihe im Vordergrund, sondern das Sammeln der Handy-Nutzerdaten.

Von Alfred Schmit | 20.11.2018
    Schulkinder fahren in Peking mit Fahrrädern unterschiedlichster Anbieter.
    Der Boom der Leihräder in China kommt an sein Ende (dpa)
    China und die Fahrräder, das ist eine Legende. Popsongs haben schon die neun Millionen Fahrräder besungen, die angeblich auf den Straßen von Peking herumrollen. Und auch in Shanghai sind es Millionen. Im China von heute sind viele Fahrräder vor allem billig, bunt, und an jeder Ecke bereit zum Ausleihen.
    Der Boom beim Bikesharing geht allerdings seinem Ende entgegen und offenbart dabei einige hässliche Seiten der Sharing Economy. Manche Leih-Firmen zahlen den Nutzern ihr Pfand nicht zurück. Berge von Fahrradmüll entstehen gerade. Und es war nie ganz klar, was mit den Kundendaten passiert.
    "Die Firmen hängen ab von Investoren, die ihnen Kredite geben"
    Ye Tan ist Unternehmensberaterin mit eigener Firma in Shanghai. Sie glaubt, das Ende des Booms ist ziemlich nah:
    "Das Geschäftsmodell dieser Leihfirmen war nie ganz klar. Jedesmal wenn die Kunden ein Fahrrad ausleihen, zahlen sie einen Yuan, umgerechnet etwa 12 Euro-Cent. Das ist ja niemals kostendeckend. Die Firmen hängen also ab von Investoren, die ihnen Kredite geben. Sobald dieses Geld ausbleibt, droht ihnen die Pleite."
    Die Firma Mobike zum Beispiel ist mit ihren orange-weißen Rädern an jeder Ecke in Shanghai präsent. Das Management ist gerade von Bord gegangen, die Firma wurde verkauft. An den IT-Konzern Meituan. Das zeigt auch: Das Geschäftsmodell war eigentlich nie das Ausleihen von Fahrrädern, sondern das Sammeln der Handy-Nutzerdaten. Die waren und sind der eigentliche Wert.
    Leihräder stehen aneinander gereiht auf einem Fußweg. Das Geschäft mit den Mieträdern in China boomt.
    Für viele Anbieter ging es um die Handy-Nutzerdaten ihrer Kunden (dpa)
    Und natürlich das Pfand, dass man einmalig zahlen muss. Und das viele Kunden nun nicht zurückbekommen. Die Firmen entschuldigen sich damit, dass sie aufgekauft wurden. Die Neu-Eigentümer bieten stattdessen Gutscheine an.
    Leihräder als Gegenteil von sharing economy
    Chen Yanyan ist an der Technischen Uni in Peking Dekanin am Kolleg für Transport. Sie findet den Boom und nun den Crash der Leihfarrad-Firmen beispielhaft.
    "Sharing Economy, also das Teilen und Tauschen von Sachen und Leistungen, sollte auf Privateigentum beruhen. Damit Dinge nicht rumstehen, sondern genutzt werden. Aber diese Leihfarräder wurden ja von Firmen extra gekauft. Und nun stehen überall halbkaputte Räder und Fahrradmüll herum. Das bringt nicht mehr Effizienz, sondern das Gegenteil von sharing economy."
    Etwa zweieinhalb Millionen Leih-Fahrräder stehen und fahren in Shanghai herum - noch. Vor zwei Jahren zu Beginn des Leihfarrad-Booms gab es noch 40 Anbieter, nun sind zehn übrig, und die Stadtreinigung muss oft die Überreste ihres Geschäftsmodells beiseite räumen.
    Hier zum Beispiel stehen so viel Leih-Fahrräder auf dem Bürgersteig, dass Kinder und alte Leute schon auf die Straße gehen müssen, sagt dieser Mann. Und findet das gefährlich. Und die Frau neben ihm sagt: Manche Räder werden kaum benutzt wieder verschrottet. Das ist doch echt Verschwendung!
    In die Leihfarrad-Firmen in China ist viel schnelles Geld von Investoren geflossen. Sie haben die Handydaten gekauft, die Nutzer beim Buchen und Bezahlen hinterlassen haben. An die Frage aber, wer das Recycling der vielen Tonnen Fahrradmüll übernimmt, hat dabei offenbar niemand gedacht. Die Firmen könnten sich aus der Affäre ziehen. Schlimmstenfalls bleiben die Städte auf den Kosten dafür sitzen.