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Lena Dunham
Vom Hardcore-Hypochonder zur Filmemacherin

Lena Dunhams Autobiografie "Not that kind of girl" gleicht einer einzigen Selbstoffenbarung. So erzählt sie vom Leben als Kind in einem Künstlerhaushalt, von ihrer Teeniezeit samt Sexerlebnissen und tiefgründigen Gedanken an den Tod. Der TV-Star aus der Serie "Girl" macht das alles unverschämt und unverblümt offen.

Von Shirin Sojitrawalla | 29.07.2015
    Schauspielerin Lena Dunham, Star aus der Serie "Girls" flaniert in New York City.
    Schauspielerin Lena Dunham, Star aus der Serie "Girls" hat eine Autobiografie geschrieben. (imago/ZUMA Press)
    Diese Frau ist unmöglich, und seit ihre Fernsehserie "Girls", deren Erfinderin, Produzentin und Hauptdarstellerin sie ist, auch im deutschen Fernsehen läuft, hierzulande ebenfalls ein Star. Sie ist ein New Yorker Gewächs, dort wurde sie 1986 geboren, dort entwickelte sie sich zur dicklich neurotischen Göre, die ständig tut, was andere lassen und sagt, was sich nicht schickt. Nun hat sie ihr erstes Buch geschrieben und versteht es auch darin, mit offensiver Ehrlichkeit, eigene Lebenslügen zu entlarven. Dabei gewinnt sie dem Genre Mädchenbuch ganz neue Züge ab, indem sie ihr eigenes Leben zesiert wie einen Wurm. Unartig war sie wohl von klein auf, aufgewachsen in einem Künstlerhaushalt, gebärdete sie sich schon früh exzentrisch. Ein Künstlerkind, wie es im Buche steht:
    "Zweimal in meinem Leben habe ich mich richtig cool gefühlt, und beide Male war ich gerade neu in der Schule. Das erste Mal in der siebten Klasse, als ich von der Schule in Manhattan an die Kunst-orientierte Schule in Brooklyn wechselte. In der alten Schule war ich eine Art harmloser Störfaktor gewesen, das Äquivalent des Musical-Theater-Kids, außer dass ich nicht singen konnte, sondern nur die Biografie von Barbra Streisand las und Prosciutto-Sandwiches aß, allein in meiner Ecke der Cafeteria, die Einsamkeit genießend wie eine frisch Geschiedene in einem Straßencafé in Rom. Aber an meiner neuen Schule galt ich als cool. Ich hatte Strähnchen. Ich trug Plateauschuhe. Ich hatte eine Jeansjacke und einen Button, auf dem stand: Wer hat Deinen Tampon angezündet?"
    Lena Dunham, wie könnte es anders sein, wurde entschieden feministisch und libertär erzogen. Schon als Achtjährige stolziert sie als Hardcore-Hypochonder über den Broadway, lässt sich wöchentlich therapieren, stolpert später über die Nöte und Sehnsüchte der Pubertät, ihre Frauen liebende Schwester, unendliche Diätpläne sowie ihre Anfänge als Filmemacherin. Dabei kann man sich nie recht sicher sein, ob das nichts als die Wahrheit ist oder doch eher der haarsträubenden Fantasie einer leidlich Durchgeknallten entspringt. Denn das Buch gleicht einer einzigen Selbstoffenbarung. Lena Dunham erzählt, wie sie wurde, was sie ist und das macht sie unglaublich unverschämt, unverblümt und unverklemmt.
    Ein paar Mal fügt sie Listen hinzu, in denen sie etwa aufzählt, was sie von ihrer Mutter gelernt hat (z.B.: "Barbie ist entstellt: Solange Dir das klar ist, darfst Du ruhig mit ihr spielen.") oder warum sie New York liebt (z.B.: "Weil dort jeder Anzüge hasst. Sogar die Anzugträger."). Das Buch besteht aus so einigen Liebeserklärungen, an ihre Familie, allen voran den eigenen Vater, aber auch an das Frausein, wobei sie durchaus an einem frischen Typus Feminismus strickt, einem, der die Weiblichkeit auf die Spitze treibt und ihn lustvoll chauvinistisch in Szene setzt. Im Grunde genommen hat sie auch eine Liebeserklärung an sich selbst geschrieben. Lena Dunham ist nämlich ein Fan von sich und zudem gerne eine Frau, wobei manches in ihrem Buch schön in einer Frauenzeitschrift Platz fände, etwa die Idee, den Inhalt ihrer Handtasche bloß zu legen oder auch die Kleinmädchenzeichnungen von Joanna Avillez. An dieser Stelle kann auch die ungekünstelte Übersetzung des Buches von Sophie Zeitz und Tobias Schnettler gelobt werden.
    Einmal gesteht Dunham: "Ich hatte das, was nicht gesagt wird, noch nie gut ertragen können, und es gibt nichts, was ich nicht sagen würde." So blickt sie auch scheinbar ungerührt auf ihre Jugendsünden, berichtet von ihren unrühmlichen Zeiten nach dem Collegeabschluss und wie sie – wie so viele Gleichaltrige – ihre Eltern an den Rand der Tobsucht und darüber hinaus drängte:
    Immer Außenseiterin geblieben
    "Ich war arbeitslos. Ich hatte zwar ein Dach über dem Kopf (das meiner Eltern) und Essen auf dem Tisch (streng genommen ebenfalls ihres), doch meine Tage hatten keine Struktur, und die Enttäuschung der Menschen, die mich liebten (meine Eltern) war deutlich zu spüren. Ich schlief bis mittags, reagierte gereizt, wenn man mich nach meinen Zukunftsplänen fragte, und legte Gewicht zu, als wäre das ein Beruf. Ich wurde zu genau der Sorte Erwachsener, die Eltern auf keinen Fall hervorbringen wollen."
    Das glaubt man ihr sofort und weiß ja, dass es in ihrem Falle einigermaßen gut ausgegangen ist. Manches verwächst sich eben doch. Dabei ist Dunham, wenn auch inzwischen ziemlich angesagt, eine Außenseiterin geblieben. Eine, die sich nicht so recht unterordnet und sich gängigen Schönheitsidealen widersetzt. Wenn ihr danach ist, führt sie sich lieber auf wie Kind oder Kerl. Sozialverträglich wird das vor allem dadurch, dass sie über einen erstklassigen Humor verfügt, der auch in ihrer Lebensbeichte voll zu Buche schlägt.
    Von ihrem Leben als Mädchen weiß diese Frau zum Totlachen komische Szenen zu entwerfen, die sie etwa onanierend auf dem Badezimmerboden zeigen, Auge in Auge mit einem kopfüber von der Decke baumelnden Fledermausbaby. Ganz ungeschminkt beziehungsweise abgeschminkt berichtet sie von den Gebieten unterhalb der Gürtellinie und unterzieht die Sexualität samt der dazugehörigen Fantasien dem Wirklichkeitstest. In den einzelnen Kapiteln des Buches widmet sie sich Wesentlichkeiten des Lebens wie Liebe & Sex, Freundschaft und Arbeit. Dabei scheint die Forderung "Erkenne Dich selbst!" ihr Leitfaden. Den Traurigkeiten und Krisen des Lebens blickt sie ebenso unerschrocken ins Gesicht; Tod und Endlichkeit sind durchaus Themen, die sie umtreiben. Und auch dort lässt sich von ihrer kaltschnäuzigen Herzenswärme etwas lernen, in jedem Alter:
    "Ich denke ziemlich viel über die Tatsache nach, dass wir alle sterben werden. Der Gedanke kommt mir in den unpassendsten Augenblicken – ich stehe an einer Bar, habe es gerade geschafft, einen attraktiven Typen zum Lachen zu bringen, und ich lache auch, tanze vielleicht sogar ein bisschen, und dann läuft für eine Sekunde alles in Zeitlupe ab, und ich denke: Ist diesen Leuten bewusst, dass uns am Ende alle dasselbe erwartet? Ich kann dann sofort wieder in die Unterhaltung einsteigen und mir sagen, dass dieses Aufblitzen eines Bewusstseins für unsere Sterblichkeit eine wichtige Erfahrung ist, eine, die mir vergegenwärtigt, in Sachen Kichern, Haare-nach-hinten-Werfen und kein-Blatt-vor-den-Mund-Nehmen Vollgas zu geben, denn...was soll verdammt noch mal schon passieren?"
    Lena Dunham:
    Not that kind of girl. Was ich im Leben so gelernt habe.
    aus dem Amerikanischen von Sophie Zeitz und Tobias Schnettler, S. Fischer Verlage, München, 303 Seiten, 19,99 Euro