Leonor Fini

Pionierin der postmodernen Malerei

Das Bild "Metamorphose einer Frau" von Leonor Fini (aufgenommen im Panorama Museum Bad Frankenhausen)
Das Bild "Metamorphose einer Frau" von Leonor Fini (aufgenommen im Panorama Museum Bad Frankenhausen) © picture-alliance - Zentralbild
Von Carmela Thiele  · 18.01.2016
Die rätselhaften Gemälde von Leonor Fini sind nahezu vergessen, ebenso ihre Kostüm-Entwürfe, Illustrationen und Romane. Doch die feministische Kunstgeschichte beginnt, das Werk der argentinisch-französischen Malerin neu zu entdecken. Heute vor 20 Jahren starb Fini in Paris.
Eine Künstlerin wie ein funkelnder Stern: Leonor Fini gehörte in den 1930er-Jahren zu den Stars der Pariser Kunstszene. Ihre extravagante Erscheinung, ihr unabhängiges Auftreten, ihre hyperrealistischen Gemälde sorgten für Aufsehen. Eine Affäre mit Max Ernst brachte sie in Kontakt mit den Surrealisten. Deren Wortführer André Breton wollte die Malerin für die Gruppe gewinnen. Doch Fini hielt Distanz. Noch im Alter von 75 Jahren wehrte sie sich gegen die Zuschreibung zum Surrealismus:
"Es ist nicht wahr. Ich habe ein paar Surrealisten gekannt. Aber ich habe dieses Diktat nicht geliebt. Ich wollte dieses Diktat nicht haben. Es war wie eine Religion, und das hat mir nicht gefallen. Ich habe ein paar Freunde dort gehabt. Natürlich Ernst, Brauner, Magritte und Eluard. Und ein bisschen gesehen doch auch Man Ray."
Feminine Männer, androgyne Frauen
Allerdings waren die surrealistischen Anklänge in ihrem Werk nicht zu übersehen. In dem "Selbstporträt mit Skorpion" aus dem Jahre 1938 stellte sie sich in einem hochgeschlossenen Kleid dar, doch klafften an den Ärmeln Risse in Form einer Vulva, aus dem weißen Handschuh ragte der giftige Schwanz eines Skorpions. Fini liebte die Inszenierung, das Spiel, die Pose. Im Alter von 26 Jahren stellte sie mit dem Dichter André Pieyre de Mandiargues den Entstehungsmythos des Hermaphroditen nach, was als erotische Sensation gefeiert wurde. Zwei verschlungene Körper im glitzernden Wasser eines Pools, fotografiert von keinem geringeren als Henri Cartier-Bresson. Zeit ihres Lebens fühlte sich Fini von femininen Männern und androgynen Frauen angezogen:
"Es geht darum, sich zu verwandeln, so schillernd und vielfältig zu erscheinen, wie man sich in seinem Inneren fühlt."
Die Künstlerin wurde 1907 als Tochter des Kaufmanns Emmanuel Fini in Buenos Aires geboren. Ihre Mutter kehrte kurz nach der Geburt des Kindes zurück in ihre Heimatstadt Triest. Das Mädchen, das zum Zankapfel ihrer Eltern wurde, war ungewöhnlich eigensinnig; es fand sich keine Schule, die das akzeptierte. Infolgedessen las sich die Jugendliche im Selbststudium durch die Bibliothek ihres Onkels, besuchte Museen und fand selbst einen Lehrer, der zu ihr passte:
"Dieser Mann war ein Mann, der in Triest wohnte, eine Stadt, die sehr seltsame Leute hat. Ich habe ihn gekannt, als ich 13 Jahre war. Und er war erstaunt, dass ich schon gut zeichne, und dass ich sehr offen war gegenüber der Kultur. Ich sah ihn jeden Tag, und er hat mich alle die romantische Literatur lesen lassen, Nietzsche ... Er war für mich sehr wichtig."
Maskenhafte Mischwesen
Exzeptionell wie ihr Lebensweg waren Leonor Finis in altmeisterlicher Lasurtechnik ausgeführte Gemälde. Wie andere dem Surrealismus nahestehende Künstlerinnen löste sie in ihren Werken das tradierte Bild der Geschlechter auf und mehr als das: Sie entwarf auch körperlich mit der Natur verbundene, maskenhafte Mischwesen. Für den Schriftsteller Jean Genet glich Finis – aus der altniederländischen Malerei, der Frührenaissance und der deutschen Romantik gespeister – Bilderkosmos dem einer Fabel:
"Ihre Persönlichkeit, meine Dame, lässt sich kaum malen, höchstens erzählen. Sie ist – auf fast obszöne Weise – verwandt mit zwei Elementen, den Tieren und den Pflanzen."
Nach 1946 hatte die Künstlerin Baudelaires Gedichtsammlung "Les Fleurs du Mal" illustriert und für die Pariser Oper sowie für die Comédie Française Kostüme und Bühnenbilder entworfen. Für die nach wie vor produktive Malerin Fini begeisterte sich seit den 1960er-Jahren kaum jemand mehr. Erst vor zwei Jahren würdigte das Kunstmuseum im schwedischen Umeå die Künstlerin mit einer umfassenden Retrospektive und publizierte unveröffentlichte Texte.
Sie gilt inzwischen als Pionierin des Hybriden, des Crossover und der postmodernen Malerei. Bis zu ihrem Tod, am 18. Januar 1996, hatte Leonor Fini nahezu vergessen in Paris gelebt und gearbeitet – umgeben von ihren Katzen, denen sie sich bis zuletzt näher fühlte als den Menschen.
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