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Leopoldina zu Abgas-Risiken
Wissenschaftler gegen Diesel-Fahrverbote

Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hält nichts von den in einigen Städten verhängten Dieselfahrverboten. Kurzfristige und kleinräumige Beschränkungen seien für den Gesundheitsschutz wenig sinnvoll. Die Wissenschaftler fordern von der Bundesregierung eine nachhaltige Verkehrswende.

Von Nadine Lindner | 09.04.2019
22.01.2019, Baden-Württemberg, Stuttgart: Autos stehen während dem ersten Feinstaubalarm im Jahr 2019 auf einer Straße hintereinander. Foto: Sebastian Gollnow/dpa | Verwendung weltweit
Feinstaub, verursacht durch Autoverkehr. Hier stehen Autos während eines Feinstaubalarms in Stuttgart still. (picture alliance/dpa/Sebastian Gollnow)
Es ist eine Bewertung mit vielen Zwischentönen, die die Wissenschaftler der Leopoldina heute abgeben haben. Auf der einen Seite erkennen sie die gesundheitlichen Gefahren an, die von Stickstoffdioxid ausgehen. Die können vor allem bei langfristiger Belastung Atemwegserkrankungen wie Asthma hervorrufen oder verschlimmern. Auf der anderen Seite wiesen die Vertreter der Leopoldina aber mehrfach darauf hin, dass andere Stoffe, vor allem Feinstaub, für den Menschen viel schädlicher seien, auch wenn die Grenzwerte dafür in Deutschland eingehalten würden. Es gebe ein ungutes Wechselspiel zwischen beiden Stoffen, erklärte Martin Lohse, Pharmakologe und Vize-Präsident der Leopoldina.
"Außerdem ist das Problem des Feinstaubs viel komplexer als das des Stickstoffdioxids. Weil es für ihn viele Quellen gibt. Er kann aus Energieerzeugung, aus Hausbrand, aus Industrie, aus Verkehr aus vielen weiteren Quellen entstehen. Er kann auch aus Stickstoffdioxid entstehen. Und so kann sich das Stickstoffdioxid in die gefährlichere Substanz umwandeln. Etwa in Verbindung mit Ammoniak."
Debatte nicht auf einen Schadstoff verengen
Die Debatte nur auf Stickstoffdioxid zu verengen, sei aus gesundheitlicher und wissenschaftlicher Sicht nicht angemessen, so die Vertreter der Leopoldina am Mittag in Berlin. Zu den EU-Grenzwerten für Stickstoffdioxid von 40 Mikrogramm No2 pro Kubikmeter Luft, um die es Anfang des Jahres heftige Debatten gegeben hatten, sagte Manfred Hennecke, der als Materialwissenschaftler für die Leopoldina gearbeitet hat.
"Die Arbeitsgruppe hat festgestellt, dass ausweislich aller vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchungen eine einfache Grenzziehung zwischen gefährlich und ungefährlich in der Umgebungsluft nicht möglich ist. Deshalb muss die Politik nach dem Vorsorgeprinzip die Grenzwerte festsetzen."
Die jetzt gültigen Grenzwerte für No2 von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft würden auch älteren Menschen, Kindern und chronisch Kranken gerecht, die saubere Luft brauchten. Politischen Sprengstoff könnte allerdings die folgende Aussage bergen, noch einmal Martin Lohse:
Lokale Fahrverbote nicht zielführend
"Das Problem ist ein langfristiges: Die Schadstoffe herunterzubekommen. Häufig auch ein großräumiges Problem. Was auch mit sich bringt, dass die jetzt mancherorts ausgesprochen lokalen Fahrverbote, die zu einer Verlegung und Verlagerung des Verkehrs führen, nicht wirklich zielführend sind."
Allerdings, so Lohse, gebe es zahlreiche Gerichtsurteile dazu, und aus denen komme man nicht so einfach raus.
Die Botschaft der Leopoldina an die Bundesregierung: Es brauche jetzt eine großangelegte, bundesweite Strategie zur Luftreinhaltung, die auf No2 und Feinstaub ziele. Darunter fasst Lohse auch eine nachhaltige Verkehrswende zur CO2-Reduktion.
20 Wissenschaftler - darunter Epidemologen, Materialwissenschaftler und Ingenieure - hatten sich seit Februar mit den wissenschaftlichen Grundlagen des No2-Grenzwerts beschäftigt, im Auftrag der Bundesregierung. Auslöser war eine Debatte, die von einer Gruppe Lungenärzten rund um Dieter Köhler ausgelöst wurde. Die Leopoldina, die in Halle an der Saale angesiedelt ist, kann als Deutsche Akademie der Naturforscher auch Handlungsempfehlungen an die Politik abgeben.
Die Debatte gewann am Mittag weiter an Fahrt, nach Äußerungen des grünen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, nach denen Fahrverbote für Euro 5-Diesel in Stuttgart nicht notwendig seien. Die Grenzwerte würden nur noch an wenigen Stellen in der Stadt überschritten. Was das für die bestehenden weiträumigen Euro 4-Diesel-Fahrverbote in Stuttgart heißt, ist allerdings noch nicht klar.