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"Les pêcheurs de perles"
Ab ins Dschungelcamp

Lotte de Beer siedelt die Oper "Les pêcheurs de perles" im TV-Dschungelcamp an. Mit der eigentlich sehr platten Idee hat das Theater an der Wien es nach Meinung unseres Kritikers geschafft, ein ziemlich unmögliches Stück für die Gegenwart fruchtbar zu machen.

Von Jörn Florian Fuchs | 18.11.2014
    Ein roter Theatervorhang
    Ein roter Theatervorhang (picture alliance / dpa - Marcus Brandt)
    Eine Frau zwischen zwei Männern, das ist ja fast ein normaler Opernstoff. Aber wenn die Dame keusche Tempelpriesterin ist und mit dem einen früher beinahe mal was hatte, dem anderen gar sein Leben rettete - der sich daraufhin auch noch in sie verguckte - dann braucht man ein Regieteam, das sich der irren Angelegenheit beherzt annimmt. Lotte de Beer und ihre Ausstatter Marouscha Levy (Bühne) und Jorine van Beek (Kostüme) hatten die eigentlich sehr platte Idee, die Sache ins TV-Dschungelcamp zu verfrachten.
    Ursprünglich spielt die Handlung in einem Fantasie-Ceylon, das sich die Librettisten Cormon und Carre ausdachten. Es trieft hier nur so von Exotismus-Klischees, dazu gibt ein mahnender Hohepriester ständig seinen Senf zum ohnehin schwülstigen Geschehen. Schlussendlich stirbt der einst von Leila Gerettete, kurzzeitig zum Anführer von Perlenfischern & Co. aufgestiegene Zurga auf dem Scheiterhaufen. Das - vielleicht - künftig glückliche Paar Leila und Nadir kann fliehen. Kurz zuvor wollte der Brennende die beiden noch um die Ecke bringen. Statt wirklicher Psychologie gibt es plötzlichen Sinneswandel, nicht nur bei Zurga.
    91 Prozent - fürs Abmurksen
    Im Theater an der Wien jagen den ganzen Abend Kameraleute über die Bühne, der Hohepriester Nourabad ist ein herrlich schmieriger Moderator, aber ein toller Sänger: Nicolas Testé. Neben allerlei fürs Trash-TV inszeniertem Exotikklamauk gibt es eine riesige Perle, die immer wieder transparent wird und dann sieht man ein Dutzend Räume mit den unterschiedlichsten Menschen. Alle gucken fern und singen viel und gern.
    Die Mitglieder des Arnold Schoenberg-Chores haben eine Menge zu leisten, nicht immer stimmt die Koordination, obwohl auf den Monitoren vermutlich der Dirigent zu sehen ist und keine Dschungelshow. Die kriegen wir im Publikum um die Ohren und Augen gehauen, wobei der Spaß mit Tänzchen hier und Kostümfete da irgendwann aufhört. Denn das Liebespaar verselbstständigt sich, weicht offenbar vom Drehbuch ab und geht eigene Wege. Also fragen die Produzenten den Wiener von nebenan, ob die zwei leben oder sterben sollen. Einige Antworten werden per Video zugespielt, das Endergebnis lautet: 91 Prozent - fürs Abmurksen.
    Eine Grundmelodie voller Sehnsucht
    Entspannt gehen Spaß, Haudraufhumor, Tragik sowie Medien- und Gesellschaftskritik Hand in Hand. Erfreulicherweise wird auch noch toll gesungen und musiziert. Nathan Gunns Zurga und Dmitry Korchaks Nadir agieren hinsichtlich Stimmschönheit und Ausdruck auf dem selben hohen Niveau. Diana Damrau stattet Leila mit herzhaften, erotischen Koloraturen aus.
    Am Pult des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien steht Jean-Christophe Spinosi und dirigiert zackig, flüssig, kontrastreich. Nach der Uraufführung 1863 hielten Kritiker Bizet vor, "bizarreries harmoniques" geschrieben zu haben. Die Originalpartitur der "Perlenfischer" ist verschollen, alle heutigen Aufführungen orientieren sich an einem erhaltenen Klavierauszug. Man hört schillernde Klangtrauben, prachtvolle ariose Spitzen und eine oft wiederholte, teilweise leicht modifizierte Grundmelodie voller Sehnsucht. Das Theater an der Wien hat es geschafft, ein ziemlich unmögliches Stück für die Gegenwart fruchtbar zu machen. Dafür gab es zu recht tosenden Jubel.