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Am Hindukusch verteidigen wir "das Grundgesetz" und "die Würde des Menschen", sagt Anton Markmiller, Leiter des Internationalen Instituts für Zusammenarbeit der Volkshochschule. In Afghanistan organisiert die Organisation Alphabetisierungskurse und Weiterbildungen, um Jugendliche den Berufseinstieg zu ermöglichen.

Anton Markmiller im Gespräch mit Manfred Götzke | 31.10.2013
    Manfred Götzke: Niemals geht man so ganz. Diese bekannte Zeile aus dem kölschen Liedgut trifft auch auf Deutschlands Engagement in Afghanistan zu – die Bundeswehr lädt Panzer, Gewehre und Haubitzen in Transportflugzeuge und ist Ende des Jahres weitgehend weg. Die NGOs, die bleiben. Eine typisch deutsche Organisation, die man jetzt nicht unbedingt in Afghanistan erwarten würde, ist die Volkshochschule. Deren Institut für Internationale Zusammenarbeit gehört zu den wichtigsten internationalen Bildungsanbietern in Afghanistan und will auch 2014 die Arbeit fortsetzen. Anton Markmiller leitet das Institut und ist jetzt am Telefon. Guten Tag, Herr Markmiller!

    Anton Markmiller: Herr Götzke, ich grüße Sie ganz herzlich!

    Götzke: Sind Ihre Mitarbeiter mutiger als die Dolmetscher der Bundeswehr, die jetzt versuchen, nach Deutschland zu kommen, weil sie Verfolgung durch die Taliban fürchten?

    Markmiller: Mutiger würde ich jetzt natürlich nicht sagen, weil die Gefährdungslage ist natürlich schon ein Risikofaktor, den man bedenken muss, aber es geht darum, dass wir dort am Hindukusch, wie mein leider verstorbener Freund [unverständlich] gesagt hatte, wir verteidigen dort das Grundgesetz, wir verteidigen dort die Würde der Menschen. Und das ist unser Einsatz, und deswegen kann man nicht genügend Mut beweisen. Und Mut beweisen heißt, eine Zivilgesellschaft auch unter schwierigen Bedingungen aufzubauen.

    Götzke: Wie verteidigen Sie die Würde des Menschen dort? Was machen Sie genau in Afghanistan?

    Markmiller: Wir machen dort ein ganzes Bündel von Maßnahmen, von denen vor allem der Bereich Alphabetisierung der wichtigste ist. Also man muss sich vorstellen, dass es dort die afghanische Bevölkerung ist ja sehr jung, und gut die Hälfte der Menschen dort ist unter 25 Jahren alt. Und das Problem besteht darin, dass die Alphabetisierungsrate sehr hoch ist. Und wir machen dort seit 2003 eigentlich verschiedene Maßnahmen, die sich gesteigert haben, und inzwischen kann ich Ihnen mitteilen: Über 500.000 Menschen sind durch Bildungsmaßnahmen gegangen, die der Deutsche Volkhochschulverband mit seinem internationalen Institut dort anbietet, um die Alphabetisierung voranzutreiben und den Menschen Lesen und Schreiben und auch Fertigkeiten, kleine Fertigkeiten und Fähigkeiten zu vermitteln, die sie damit befähigen, dass sie in ihrem schwierigen Alltagsleben Bestand haben.

    Götzke: Herr Markmiller, Sie bieten in ihren 20 Bildungszentren in Afghanistan ja auch Unterricht in Mathematik, Physik und Dari an, habe ich gelesen. Sind Ihre Einrichtungen Ersatz für nicht funktionierende afghanische Regelschulen?

    Markmiller: Nein, im Gegenteil. Wir sind natürlich in sehr enger Abstimmung mit der afghanischen Regierung. Wir begleiten praktisch die Menschen, die durch das normale, also sagen wir's in Anführungszeichen, "normale" Bildungswesen gehen, dass sie anschließend in Erwerbsverhältnisse kommen. Das ist ja das große Problem. Man kann dort einen Abschluss machen, und das afghanische Bildungswesen hat ja auch einen enormen Aufschwung genommen und dort werden auch gute Ergebnisse erzielt, aber damit hat man hinterher natürlich noch keinen Job. Und was wir machen, ist eigentlich, die Menschen zu begleiten, dass sie anschließend auch in Arbeitsverhältnisse kommen, die sind natürlich oft im non-formalen Bereich, also das heißt, im grauen Bereich der Wirtschaft, und das ist einfach die Normalität in Ländern wie Afghanistan, aber wir versuchen, den Menschen das mit auf den Weg zu geben, dass sie dann anschließend
    ihr Einkommen selber verdienen können.

    Götzke: 30 Prozent Ihrer afghanischen Volkshochschüler sind Frauen – werden die auch dann noch zu Ihnen kommen, wenn möglicherweise die Taliban das Ruder wieder übernommen haben? Die haben ja bekanntlich ein Problem mit lernenden Frauen.

    Markmiller: Das ist richtig. Also das ist natürlich ein großes Problem, aber da ist es einfach schwierig – beziehungsweise Grundvoraussetzung, auf die wir bauen, dass man in die Köpfe investieren muss, und dann ist man auch weniger anfällig gegenüber traditionalistischen oder fundamentalistischen Einflüsterungen, die es ja auch gibt. Und wir erleben ja selber in unseren Bildungsmaßnahmen, dass die Frauen selbstbewusst auftreten, und das wird im Endeffekt auch die afghanische Bevölkerung stabilisieren.

    Götzke: Sie haben im Vorgespräch gesagt, hundert Prozent Ihrer Mitarbeiter seien Afghanen, also Ortskräfte, wie man so schön sagt. Wird Ihre Arbeit vor Ort überhaupt mit Deutschland, mit der deutschen Volkshochschule in Verbindung gebracht?

    Markmiller: Auf jeden Fall. Die afghanischen Kollegen sind sehr interessiert daran, auch hier nach Deutschland zu kommen. Erst vor zwei Wochen waren drei Kolleginnen und Kollegen hier, die sich hier deutsche Volkshochschulen angeschaut haben. Wir werden in vier Wochen einen weiteren Austausch haben, wo wir vermitteln, wie das Volkshochschulwesen bei uns in Deutschland funktioniert. Und da sind die Afghanen sehr interessiert daran, das zu übertragen. Wir arbeiten ja auf drei verschiedenen Ebenen: Zum einen arbeiten wir quasi sozusagen auf der Mikroebene, wo wir die Ausbildung und die Alphabetisierungskurse, die Englischkurse, die Fertigkeiten- und Fähigkeitenkurse anbieten, zum einen. Dann arbeiten wir natürlich auch in der Qualifizierung von nationalen Nichtregierungsorganisationen in Afghanistan, und zum Dritten sind wir dabei, die afghanische Regierung dahingehend zu beraten, dass sie ein solches nonformales Bildungswesen neben der normalen Grund- und Formalausbildung unterstützen und es für wichtig ansehen, damit die Bevölkerung da weiterhin vorankommt.

    Götzke: Noch mal ganz kurz zum Schluss: Wie kommt Ihre Beratung da an bei der afghanischen Regierung?

    Markmiller: Absolut positiv, das kann ich nur sagen. Also, die Afghanen sind sehr angetan von dem, was wir tun, weil wir nicht nur – es gibt natürlich viele Organisation aus Deutschland, die dort aktiv sind. Da geht es ja weitgehend um Hochkultur, aber wir arbeiten direkt mit den Leuten, die an der Basis sind. Und da komme ich wieder zum Eingangsstatement. Wir arbeiten dort an der Würde des Menschen. Natürlich ist die Hochkultur wichtig, aber viel wichtiger ist, dass diese ganzen Hunderttausende und Millionen von jungen Menschen in Lohn und Brot kommen. An diesem Faktor arbeiten wir, und das wird von der afghanischen Regierung sehr hoch geschätzt.

    Götzke: Anton Markmiller – er ist Leiter des Instituts für Internationale Zusammenarbeit der Volkshochschulen, des Volkshochschulverbands, und er will auch nach dem Abzug der Bundeswehr in Afghanistan bleiben. Vielen Dank!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.