Freitag, 29. März 2024

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Letzte Spielzeit unter Volker Hesse am Maxim Gorki Theater in Berlin

Kein Konzept, keine deutlich eigene Position in der Berliner Theaterlandschaft, das warf Berlins Kultursenator einem Maxim Gorki Theater vor, das gerade in der letzten Spielzeit allmählich seinen theatralen Ort zwischen Deutschem Theater und Volksbühne, zwischen bürgerlichem Selbstverständigungs-Theater und experimentellem Sinn-Such-Theater zu finden begann. Intendant Volker Hesse, dessen Vertrag vom Kultursenator nicht verlängert wurde,legt für die neue Spielzeit einen ehrgeizigen Spielplan vor. In ihm stehen "elementare Sinnfragen" im Mittelpunkt. Die geplanten Stücke heißen "Trauer to go" oder "Ich", "Das Wundermädchen von Berlin" oder, gleich zum Auftakt, "Vor Sonnenuntergang". Hauptmanns Stück, das ursprünglich "Der neue Lear" heißen sollte, wurde vom Intendanten selbst in Szene gesetzt.

Von Hartmut Krug | 08.10.2004
    Hauptmanns betuliche und schwermütige Geschichte vom 70-jährigen verwitweten Verleger Clausen, der ein achtzehnjähriges Mädchen heiraten will, weshalb ihn seine verwöhnten Kinder aus Angst um ihr Erbe mit Entmündigung drohen, wurde aus den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts in unsere Zeit geholt. Hesse inszeniert es als groteske Gesellschaftskomödie mit grell überzeichneten Figuren von hoher, bewußter Künstlichkeit, denen jede Seelenhaltung in körperliche Bewegung gleitet. Vorangetrieben vom Rhythmus einer grellen Musik, zucken und toben alle beim jugendwahn-haften Fest zu Beginn. Die Wohlstandsgier der Kinder führt diese in ein unkontrolliertes Außer-sich-sein und nimmt ihnen dabei alle Individualität. Gegen die wilde, charakterlose Horde steht ein Liebespaar, dessen Gefühle weder begründet noch ironisiert werden. Anna Kubin gibt als junge Inken ein reines Gefühl mit entbehrlichen überzogenen hysterischen Momenten, während Alexander Lang den alten Clausen zunächst als lässigen Patriarchen spielt, der erst bei Widerstand heftig wird und dann auch etwas überdreht wirkt. Volker Hesse gelingt eine körpersprachlich bestimmte Inszenierung im Stil irgendwo zwischen Michael Thalheimer und Armin Petras.

    Ein mehrteiliges Projekt des Theaters wird 40 Jahre DDR untersuchen, ein anderes widmet sich unter dem Titel "Die Bibel. Eine Sinnsuche in fünf Teilen" dem Buch der Bücher. "Teil 1: Die Schöpfung", vom Schauspieler Bruno Cathomas inszeniert, erzählt die Bibel nicht nach, auch wenn sie mit einem chorischen Aufsagen der Schöpfungsgeschichte beginnt:
    Der Abend soll die Grundmuster menschlicher Existenz aus heutiger Sicht untersuchen. Das sich über zwei Monate hinziehende Programm des Maxim Gorki Theaters wird nicht nur zwei sich ständig weiter entwickelnde Inszenierungen enthalten, sondern auch bunte Performances rund um eine so genannte Wohn- und Wohlfühllandschaft, zu der das Studio des Theaters nebst dessen Nebenräumen eingerichtet wurde. Es wird eine Bibel Corner geben, in der sich jeder Zuschauer für zehn Minuten die Bühne für sein Programm kaufen kann, ein Bibelquiz und eine Bar namens "Glauben und Trinken", eine Bibel Lounge und ein DJ für Late Nights. Bruno Cathomas "Schöpfung" gibt fünf Schauspielern im leeren Raum alle Möglichkeiten, Befindlichkeitsspiele a la "was haben wir heute mit den Bibel-Maximen im Sinn" als wirkungssüchtige und -sichere schauspielerische Bravourstückchen vorzuführen. Das ganze ist ein Spiel mit ironischer Grundhaltung. Leuchttafeln an der Wand wechseln zwischen "play" und "don´t play", und Schlager und Rocksongs von Liebe und Selbstbewußtsein kommentieren die Szenen. Nicht Grundmuster menschlicher Existenz, sondern Rollenmuster von Mann und Frau werden durchgespielt. Adam posiert als Bodybuilder oder Sexmachine und Eva singt das Lied von Heidi oder tobt als Heiße Eva mit der Aufforderung "Ruf mich an" herum. Der Biß in den Apfel führt mit dem Auftauchen von Schlange und Erzengel, beide von einem zunächst als Putzmann im hautengen Kleiderschlauch auftretenden Darsteller gegeben, zum heftigen Beziehungsknatsch. In aktueller Reaktion auf die Nobelpreis-Verleihung verliert sich Eva dann in einem Text von Elfriede Jelinek über die Frau als Kopie und immer scheiternde Arbeit.

    Leider umalbert die Inszenierung einige Gedanken aus der Bibel nur, statt sie intelligent zu durchdenken und zu umspielen. Dieser erste Abend des Bibel-Projekts im Maxim Gorki Theater enttäuschte in seiner munteren Wirkungssucht doch sehr und relativierte den guten Eindruck von Volker Hesses furiosem Spielzeitauftakt mit Hauptmann.