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Letzte Zeitzeugen
Leon Schwarzbaum erinnert an den Holocaust

Leon Schwarzbaum hat den Holocaust überlebt. Trotz seiner 96 Jahre sieht er es als seine Pflicht an, Jugendlichen von den Grausamkeiten zu berichten, die er erlebt hat. Vor allem, um Kritikern entgegenwirken zu können.

Von Vanja Budde | 27.02.2017
Der Auschwitz-Überlebende Leon Schwarzbaum sitzt im Verhandlungssaal in Detmold im Publikum.
Nach dem Krieg ging Leon Schwarzbaum nach Amerika, kehrte aber nach Deutschland zurück – und blieb. (picture alliance / dpa / Bernd Thissen)
Der Vortragsraum der kleinen Gedenkstätte im Wald am Rand des Dörfchens Below ist gerammelt voll: Zusätzliche Stühle werden heran getragen, Holzbänke aufgestellt. Am Ende quetschen sich an die 100 Leute in dem Raum, die meisten aus den umliegenden Dörfern und Kleinstädten. Sie sind an diesem grauen Sonntagnachmittag her gekommen, um Leon Schwarzbaum zuzuhören, der Auschwitz und Buchenwald und zwei Todesmärsche überlebt hat.
"Ich geh wenn es möglich ist immer zu diesen letzten Zeitzeugenberichten. Weil ich es unheimlich wichtig finde, dass das Wissen und das Erleben dieser Menschen erhalten bleibt. Weil man auch sieht, dass diese Haltung: 'Es war ja nicht so schlimm' wieder sehr viel Raum gewinnt in der Gesellschaft. Und der möchte ich etwas entgegen wirken."
"Ja, mal einen der vermutlich letzten Zeitzeugen zu hören, die diese schlimme Zeit erlebt haben, aus erster Hand."
Kurz und bündig berichtet Leon Schwarzbaum von Auschwitz
Leon Schwarzbaum sitzt an einem Tisch vor den vielen Menschen, dunkelblauer Anzug, hellblaues Hemd, gepunktete Krawatte, glänzend geputzte schwarze Schuhe. Er richtet den Blick auf seine Notizen, sucht Halt am Papier, obwohl er diese Geschichte schon sehr oft erzählt hat.
"Ich bin am 20. Februar 21 in Hamburg-Altona geboren, ich bin das einzige Kind von Josef und Estera Schwarzbaum."
Kurz und bündig berichtet Leon Schwarzbaum von seinen zwei Jahren in Auschwitz, von der Zwangsarbeit bei Siemens, von dem Todesmarsch, auf den die SS-Schergen ihre Gefangenen im April 1945 trieben: Mehr als 15.000 ausgemergelte Menschen in Holzpantinen, vom KZ Sachsenhausen am Stadtrand von Berlins bis nach Schwerin.
"Unter anderem waren wir im Belower Wald. Wir schliefen auf dem Boden und bekamen keine Verpflegung. Wir haben Gras und Brennnesseln gegessen. Die Todesrate war so hoch. Wer nicht laufen konnte, wurde erschossen."
Die Einschusslöcher finden sich heute noch in den Bäumen. Vor seinem Vortrag hatte Leon Schwarzbaum von mehreren Kamerateams, auch aus Israel, begleitet, die Gedenkstätte in dem Wald besichtigt, in dem er als 23-Jähriger halb verhungert und frierend kampieren musste. Fotowände erinnern an das Schicksal der Häftlinge, tausende Besucher kommen jedes Jahr, sagt der Sprecher der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Horst Seferens.
Schwarzbaum war Zeuge und Nebenkläger im Detmolder Prozess
"Wir wissen, dass es in Deutschland über die Jahrzehnte hinweg immer einen Bodensatz gegeben hat von Menschen, die sich dieser Geschichte nicht stellen wollten, die diese Geschichte geleugnet haben. Die Stimmen werden lauter. Das erfüllt uns mit großer Besorgnis. Und umso mehr ist die Mehrheitsgesellschaft aufgefordert, dagegen Stellung zu nehmen, weiter Aufklärungsarbeit zu leisten. Wir als Gedenkstätten werden dazu nach Kräften unseren Beitrag leisten."
Auch Leon Schwarzbaum sieht es trotz seiner 96 Jahre als seine Pflicht an, Jugendlichen von den Grausamkeiten zu berichten, die ihn bis heute jede Nacht im Schlaf verfolgen.
"Die Kinder, die fragen mich, ob so was noch mal möglich wäre. Da antworte ich: Möglich ist das."
Leon Schwarzbaum war Zeuge und Nebenkläger im Detmolder Prozess gegen den ehemaligen SS-Wachmann Reinhold Hanning, der im vergangenen Jahr zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde. Viel zu spät, moniert Leon Schwarzbaum. Nach dem Krieg war er nach Amerika gegangen, dann aber trotz der Gräuel nach Deutschland zurückgekehrt – und geblieben.
"Ich fühle mich hier wohl, ja. Obwohl - wenn ich nun solche Reden höre, wie Herr Höcke und andere, dann kommen natürlich Zweifel auf, ob das richtig war."