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Lexikon des Klatsches. Liebe, Laster und Skandale - von Boris bis Verona

Lateinisch "Fama": in Klammern: weiblich - erstens: die Sage, das Gerücht, die Rede und der Ruf; zweitens: die öffentliche Meinung und die Volksstimme; drittens: der Leumund, der gute Name oder eben auch die üble Nachrede; viertens und endlich: der Ruhm und die Berühmtheit.

Leander Scholz | 28.02.2003
    All das umfasst die ambivalente Göttin der Antike mit dem Namen "Fama". Der Lexikoneintrag im kleinen Stowasser, umsichtig für den lebenslangen Gebrauch in Klarsichtfolie eingebunden, sagt es unmissverständlich: kein Ruhm ohne Gerücht.

    Ovid beschreibt das Haus der Fama folgendermaßen: Es steht in der Mitte der Welt, hat zahlreiche Eingänge und tausend Öffnungen, die Tag und Nacht unverschlossen sind. Gebaut ist es aus tönendem Erz, überall hallt es. Nie herrscht Ruhe, immer kann man ein ständiges Murmeln hören, wie Wellenrauschen aus der Ferne. Ein leises Gewirr von Stimmen, die wahre und erlogene Gerüchte erzählen. Jeder Berichterstatter fügt dem Gehörten etwas hinzu. Und so wächst das Maß des Erfundenen ins Unendliche. Es ist das Haus der Leichtgläubigkeit, das ein Geflüster beherbergt, dessen wahren Vater niemand kennt. Fama, die Hausherrin, sieht, was am Himmel, auf dem Meer und auf Erden geschieht und blickt forschend aus ihrem Haus in die Welt.

    Was liegt da näher, als dem unendlichen Geflüster der Fama ein eigenes Nachschlagewerk zu widmen. Ein Lexikon, das das verschwiegene Murmeln im zugigen Haus der Fama endlich stichwortfähig macht. Ein "Lexikon des Klatsches", das, wie sein Herausgeber Michael Graeter sagt, den "geistigen Prosecco" unserer Zeit zusammenfasst. Jetzt liegt es vor. Und enttäuscht blättert man zwischen Boris und Verona hin und her, von denen man wenig Prickelndes erfährt oder zumindest nichts, was man nicht schon weiß.

    Ohne Klatsch, heißt es forsch im Klappentext, könnte sich der Mensch als soziales Wesen gar nicht orientieren. Wir quatschen und tratschen also nicht über Prominente und mitunter über etwas heruntergekommene Adlige, wie Ovid meint, weil unsere Ohren einfach "unbeschäftigt" sind, sondern um uns Orientierung zu verschaffen in der Unübersichtlichkeit von Welt.

    Was nun wirklich in der Besenkammer mit Boris geschehen ist und uns Aufschluss geben könnte für eigene Nöte, kann uns natürlich auch Graeter nicht erzählen. Aber immerhin können wir im "Lexikon des Klatsches" nachlesen, dass Boris seit dem Ende seiner Tenniskarriere eine "ununterbrochene Nachrichtenlinie" in Sachen Ehe- und Sexkatastrophen produziert hat, um stets am Ball zu bleiben. Wie gesagt, Ruhm und Gerücht produzieren sich im Idealfall gegenseitig. Im schlimmsten Fall allerdings kann das letztere von beiden sehr verloren übrig bleiben, wenn die Kapitaldecke allzu dünn wird.

    Michael Graeter, altgedienter Klatschreporter der so genannten High Society, muss es schließlich wissen. Die Frau transportiert den Klatsch schon seit Urzeiten beim Kinderaufziehen, meint er in seinem Vorwort. Und der Mann erst, seitdem er nicht mehr Jagen muss, um seine täglichen Brötchen zu verdienen. Erst seitdem der Mann sich zum Zweck des Gelderwerbs um Kopf und Kragen redet, ist das Gerücht also nicht mehr bloß ein weiblich konnotiertes Laster, sondern ein "lustvolles Gerede". Inzwischen pfeift es wirklich der allerletzte Klappentext vom Buchumschlag: wir leben in einer Kommunikationsgesellschaft.

    Das Schlagwort der Systemtheorie mit deutschem Herkunftsstempel, dem zufolge, alles was wir wissen, aus den Massenmedien stammt, ist endlich in denselbigen Massenmedien angekommen. Und da es den Kommunikationsströmen so ziemlich egal ist, was in ihnen fließt, darf sich nun auch das "Loweste" vom "Lowen" eines eigenen Lexikons würdig erweisen. Selbst Verona Feldbusch und Dieter Bohlen dürfen sich über einen höchstpersönlichen Eintrag mit Querverweis freuen.

    So weit, so gut. Dagegen hat sicherlich niemand etwas einzuwenden in einer kulturell hochaufgeklärten Gesellschaft. Und dass Wissen Macht ist, wie Graeter im Vorwort noch einmal erinnert, und das Gerücht die Quintessenz von Macht, wenn eine gezielte Kommunikation einen echten Marktwert erwirtschaften kann - auch dem wird niemand widersprechen. Zumal das Gerücht eine Wissensformation ist, die nicht einfach nur den Ausnahmefall einer transparenten Kommunikation darstellt.

    Aber welchen Sinn macht es, so unterschiedliche Personen wie Boris Becker, Woody Allen und Jassir Arafat in einem einzigen Lexikon zu versammeln? Es sei denn, es handelt sich um ein Universallexikon. Allzu nahe liegt nun der kulturpessimistische Umkehrschluss, Klatsch sei in unseren schlimmen Zeiten eben universal geworden. Aber genau das stimmt nicht. Wer über die Welt des Klatsches und ihre Regeln wirklich etwas erfahren will, ist mit diesem Buch schlecht beraten.

    Viel eher hat man den Eindruck, dass Graeter sein Adressverzeichnis durchgegangen ist, das nach eigener Angabe 3000 Namen verzeichnen soll und aufgenommen hat, zu wem ihm etwas eingefallen ist. Das mag zwar hier und da interessant sein, aber Geheimes oder gar wirkmächtige Zusammenhänge sind auf diese Weise nicht zu erfahren. So kommt nur ein schludrig gemachtes Lexikon zustande, das im Moment seines Erscheinens auch schon veraltet ist. Ein Lexikon ohne Kriterien ist ein Lexikon ohne Gebrauchsanleitung. Das "Lexikon des Klatsches" ist deshalb nicht viel mehr als ein Sammelsurium. Ein Haufen alter Boulevard-Zeitschriften ist da in vielen Fällen aufschlussreicher. Der Göttin Fama jedenfalls ist auf diese Weise nicht beizukommen.