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Liberale Kompromisssuche in Sachen Mindestlohn

Der Mindestlohn soll den Liberalen helfen, vom Image der eiskalten Kapitalisten und Klientelpartei loszukommen. Darum wird es beim anstehenden Bundesparteitag in Nürnberg vermutlich eine heiße Diskussion geben.

Von Blanka Weber | 02.05.2013
    Ein Friseursalon in Erfurt. Sybille Hain leitet den Betrieb mit drei Mitarbeiterinnen. Modern und frisch wirkt ihr Geschäft, erst vor Kurzem wurde umgebaut. Der Salon läuft gut und lebt von Stammkundschaft. Waschen, schneiden, färben, föhnen – drei Kunden sitzen an diesem Vormittag im Salon.

    Ab August werden die Preise steigen. Der Grund: ein neuer Tarifvertrag. Vertreter von Friseurhandwerk und Verdi haben sich auf einen Mindestlohn verständigt – auf mindestens 6,50 Euro die Stunde in Ostdeutschland, auf 7,50 Euro im Westen. Bis 2015 sollen die Löhne dann einheitlich auf 8,50 Euro steigen. Sybille Hain saß als Landesinnungsmeisterin von Thüringen mit am Verhandlungstisch. Sie kennt die Branche in Ost und West:

    "Wenn ich durch Köln laufe, gucke ich mir schon die Preistafeln an und denke: Es ist noch ein Riesenschritt. Wenn in meinem Salon jetzt 21 Euro für einen Nassschnitt im Herrenbereich gezahlt werden muss, dann stehen in Köln demgegenüber 38 Euro. Das sind die Fakten. Mit diesem Preis kann ich natürlich spielend 8,50 Euro bezahlen."

    Sybille Hain ist nicht nur in ihrer Innung aktiv. Sie ist auch Mitglied der FDP. Und natürlich weiß sie um die aktuelle Diskussion in ihrer Partei. FDP-Chef Rösler und Fraktionschef Brüderle nennen die Einigung fürs Friseurhandwerk beispielhaft und einen Beleg dafür, dass ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn - wie von Rot-Grün favorisiert – gar nicht nötig sei. Die Haltung ihrer Parteispitze findet sie gut:

    "Das kann nur der Weg sein, dass wir in diesen Tarifgemeinschaften für die entsprechende Branche und für die entsprechende Region das umsetzen."

    Das deckt sich mit Röslers und Brüderles Forderung, die weitere Lohnuntergrenzen zulassen wollen. Die Höhe aber nicht von der Politik, sondern Branche für Branche die Tarifpartner aushandeln: So ist es im Antrag zu lesen, den die Parteispitze den Delegierten in Nürnberg vorlegen will. Deutet sich bei den Liberalen also ein Kurswechsel an? Bislang war gerade die FDP als Koalitionspartner von CDU und CSU im Bund strikt gegen staatliche Eingriffe bei der Lohnfindung. Es wird nicht einfach sein, auf dem Bundesparteitag diese urliberale Haltung zu drehen, sagt Thomas Kemmerich. Er ist Bundesvorsitzender des Liberalen Mittelstands:

    "Wir haben in NRW einen Parteitag gehabt, der den Bundestagswahlkampf vorbereitet, die einen Beschluss in die Richtung gefasst haben. Sprich also Tarifparteien stärken, Tarifsystem stärken. Und insofern ringen wir um eine Mehrheit."

    Kemmerich hat die Idee aus dem FDP-Landesverband Nordrhein-Westfalen dankbar aufgegriffen. Er stammt von dort – aus Aachen. 1989 ging er nach Thüringen, wo er einen DDR-Betrieb für Friseur und Kosmetik in eine GmbH und schließlich in eine Aktiengesellschaft umwandelte. Mit seiner Masson AG ist er heute bundesweit in 21 Städten präsent. Wie er die Stimmung der Delegierten in Nürnberg einschätzt? Der große sonnengebräunte 48-Jährige, der für die FDP auch im Erfurter Landtag sitzt, überlegt nicht lang:

    "Wobei ich die Mehrheit der Delegierten auf der Seite der Arbeitnehmer weiß, die sagen: Wir müssen jedem einen natürlichen Schutz bieten vor missbräuchlichen Tatbeständen in unserer sozialen Marktwirtschaft. Ich weiß sie auf der Seite von Unternehmen, die sagen: Wir wollen vernünftige, klare Marktbedingungen, die für jeden transparent und nachvollziehbar sind."

    Der Liberale weiß um das schlechte Image der Friseurbranche, in der Grundlöhne unter vier Euro pro Stunde bezahlt werden. Beruf- und Wiedereinsteiger in Thüringen etwa kommen auf gerade mal 3,14 Euro die Stunde plus Umsatzbeteiligung plus Trinkgeld. Mit solchen Hungerlöhnen, sagt er, lockt man kein Fachpersonal:

    "Wir zahlen diese 6,50 Euro. Das sind 1.015 Euro als Grundgehalt. Und haben dann mit verschiedenen Maßnahmen Möglichkeiten, eben diese Gehälter zu steigern. Mit verschiedensten Modellen auch der Kundenansprache, geben wir den Mitarbeitern Möglichkeiten, sich weiter zu entwickeln, aus 1000 Euro eben auch 1.200 oder 1.500 Euro zu machen. Unsere besten Leute liegen weit über den Zahlen, die wir immer auch nennen."

    Als Delegierter auf dem Bundesparteitag wird auch Kemmerich für den tarifgebundenen Mindestlohn kämpfen. Am Rednerpult und hinter den Kulissen. Denn die Gegner des Kurswechsels sind nicht irgendwer – sondern Parteivize Holger Zastrow aus Sachsen, der Vorsitzende der Jungen Liberalen, Lasse Becker, und der Euro-Skeptiker Frank Schäffler. Mit welchen Argumenten man sie überzeugen kann?

    "Politik muss sich auch den Zeiten anpassen und auch modern bleiben. Aber die grundsätzliche Aussage, das Tarifsystem, was seit über 60 Jahren in Deutschland erfolgreich praktiziert wird, womit wir auch Erfolge gelegt haben, die werden nicht angetastet. Das ist die Diskussion jetzt, die wollen wir nur an manchen Stellen verstärken."

    Was wie ein kleiner Spagat aussieht - für die FDP ist das Plädoyer für den tarifgebundenen Mindestlohn ein riesiger Schritt. Der Bundesvorsitzende des Liberalen Mittelstands hält ihn für nötig, damit es seine Partei aus dem Umfrageloch schafft:

    "Ich denke, wir sind da, was oft gesagt wird, nicht die Marktradikalen und Ähnliches. Wir sind zwar sehr nah am Arbeitnehmer, am Menschen, nur mit anderen Gedanken. Unsere Wege sind meist etwas komplizierter und nicht so leicht zu beschreiben, wie das manche sich einfach machen von SPD und Grünen. Es sind sehr komplexe Themen. Und komplexe Themen haben keine einfachen Antworten, sondern das dauert manchmal drei bis vier Sätze mehr, das zu erklären."

    In Erklärungsnöte kommt seine FDP allerdings oft. Auch in Thüringen. Kürzlich hat im Erfurter Stadtrat eine Liberale erklärt, sie fühle sich bei der FDP inhaltlich sehr einsam. Birgit Schuster war für Soziales und Geschlechtergerechtigkeit zuständig und wechselte kurzerhand zur SPD.