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Liberale Vereinigung

Nach dem 9. November 1989 gingen die sogenannten Blockparteien in der DDR Allianzen mit neugegründeten christdemokratischen und liberalen Gruppierungen ein, verschmolzen dann aber schnell mit den alten Parteien der Bundesrepublik. Als erste West-Partei vollzog die FDP am 11. August 1990 die Vereinigung mit drei liberalen Gruppierungen aus der DDR.

Von Wolfgang Stenke | 11.08.2010
    "Heute ist ein historischer Tag für die Liberalen und für Deutschland. Wir können stolz sein auf unsere deutschlandpolitische Vorreiterrolle."

    Der FDP-Vorsitzende Otto Graf Lambsdorff am 11. August 1990 auf dem Sonderparteitag der Freien Demokraten in Hannover. Die Tagesordnung verzeichnete die Vereinigung der FDP mit drei liberalen Parteien aus Ostdeutschland. Die Verhandlungen über den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes liefen noch, da erklärte Lambsdorff vor den Delegierten in Hannover die Liberalen bereits zum siegreichen Motor der "Wende":

    "Es sind unsere liberalen Werte, die gesiegt haben in der friedlichen Revolution in der DDR, im Reformprozess der mittel- und osteuropäischen Staaten. Der liberale Rechtsstaat hat gesiegt, die soziale Marktwirtschaft und unsere europäische Friedenspolitik."

    In den Monaten nach dem Fall der Mauer entwickelten sich in Ostdeutschland Ableger der etablierten Westparteien. Die Freien Demokraten gründeten die "FDP der DDR" – eher eine Briefkastenfirma als eine wirkliche Schwesterpartei. Vor den ersten freien Wahlen zur DDR-Volkskammer im März 1990 ging sie ein Bündnis mit der "Liberaldemokratischen Partei der DDR" ein. Die LDPD war eine der sogenannten "Blockparteien", diente im "Realsozialismus" als Auffangbecken für Angehörige des Mittelstands, die nicht direkt der SED beitreten mochten. Dank ihrer privilegierten Position im DDR-System verfügte die LDPD in der turbulenten Umbruchphase über einen funktionierenden Apparat. Dritte Gruppierung im liberalen Wahlbündnis wurde schließlich die "Deutsche Forum-Partei". Sie ging aus der Bürgerrechtsbewegung der DDR hervor. Gemeinsam kamen die drei liberalen Gruppierungen bei der Volkskammerwahl im März 1990 auf 5,3 Prozent.

    Auf dem Parteitag in Hannover stimmte Lambsdorff, der nun zum Vorsitzenden der vereinten Ost- und West-Freidemokraten gewählt wurde, die Delegierten aus der DDR auf das wirtschaftsliberale Credo ein. "Blühende Landschaften" versprach er nicht, doch er pries die Chancen der Marktwirtschaft:

    "Mit der Marktwirtschaft ist es wie mit dem Schwimmen: Ohne Wasser kann man es nicht lernen. (...) Rettungsschwimmer sind da, niemand wird ertrinken. Aber die Bereitschaft zum Schwimmen muss da sein, denn Bereitschaft kann durch keine Subventionen auf Dauer ersetzt werden."

    Die Vereinigung bescherte der FDP, die in der Bundesrepublik wegen ihrer schwachen Basis gerne als "Dame ohne Unterleib" bespöttelt wurde, einen gewaltigen Zuwachs: aus 65.500 Mitgliedern wurden schlagartig 178.600. Man musste sich deshalb vor dem Parteitag auf einen komplizierten Delegationsschlüssel einigen, damit die Westler nicht hoffnungslos majorisiert werden konnten.

    Doch das war noch das geringste Problem: Die "Liberaldemokratische Partei der DDR", die zusammen mit dem "Bund Freier Demokraten" und der "Deutschen Forum-Partei" in eine gesamtdeutsche FDP strebte, war durch ihre Vergangenheit als "Blockpartei" diskreditiert. Wie die Ost-CDU hatte die LDPD nur als Organisation von Gnaden der SED existieren können. Auf dem Vereinigungsparteitag in Hannover bekannte sich Dietmar Schick, ein heftig kritisierter Delegierter der LDPD, zu diesem Erbe:

    "Jawohl, wir haben uns angepasst, meine Damen und Herren, aber wir haben, dazu bekenne ich mich, auch in dieser Zeit geschafft und erreicht, dass für viele unserer Parteifreunde eine Nische geschaffen wurde (...), die dazu geführt hat, in den Jahren der Herrschaft des SED-Regimes zu überleben."

    Als "Blockflöten" ironisierte der Volksmund zu DDR-Zeiten solche politischen Überlebenskünstler. Der numerische Zuwachs, den sie der gesamtdeutschen FDP verschafften, schwand schon nach wenigen Jahren: 1997 zählte der Schatzmeister 69.000 Mitglieder – ziemlich genau so viele wie vor der Vereinigung. An Sachwerten erhielten die Liberalen zwei Grundstücke und 4,8 Millionen D-Mark aus dem Vermögen der LDPD. Hinzu kommt ein ideeller Verdienst: Vor allen anderen Parteien waren die Freien Demokraten die ersten, die einen gesamtdeutschen Verband gründeten.