Donnerstag, 28. März 2024

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Libyen und die mögliche deutsche Verantwortung
"Wir können bei dieser humanitären Katastrophe nicht weiter zuschauen"

Deutschland müsse in Libyen Verantwortung zeigen und bereit sein zu handeln, sagte der CDU-Politiker Johann Wadephul im Dlf. Sollte eine UN-Mission zustande kommen, sei vollkommen klar, dass Deutschland sich mit eigenen Truppen oder Polizeikräften beteiligen müsse.

Johann Wadephul im Gespräch mit Silvia Engels | 08.04.2019
Johann David Wadephul (CDU) spricht im Bundestag.
Deutschland habe den Vorsitz im Sicherheitsrat und müsse in Libyen initiativ werden, sagte Johann Wadephul im Dlf (picture alliance / dpa / Jörg Carstensen)
Silvia Engels: Die USA haben den abtrünnigen libyschen General Chalifa Haftar aufgefordert, seine militärische Offensive in der Nähe der Hauptstadt Tripolis zu beenden. US-Außenminister Mike Pompeo erklärte, alle beteiligten Parteien seien dafür verantwortlich, die Lage zu deeskalieren. Für den Konflikt gebe es keine militärische Lösung. Doch ein Waffenstillstand ist derzeit nicht in Sicht. Internationale Organisationen evakuieren ihre Mitarbeiter aus Tripolis.
Am Telefon ist Johann Wadephul. Er ist stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, dort zuständig für außenpolitische Fragen und auch schon länger mit dem nordafrikanischen Raum befasst. Guten Morgen, Herr Wadephul!
Johann Wadephul: Guten Morgen.
Engels: Die Appelle der internationalen Staatengemeinschaft an die Konfliktparteien in Libyen zu deeskalieren, scheinen unbeachtet zu verhallen. Auch US-Außenminister Pompeo scheint, sich nicht durchzusetzen. Bleibt jetzt nur zuschauen, wie wieder Gewalt eskaliert?
Wadephul: Nein, ich glaube nicht. Erst einmal ist es ja positiv, dass die gesamte internationale Gemeinschaft hier zusammensteht. Es sind die Vereinigten Staaten, aber es ist auch der UN-Sicherheitsrat unter deutschem Vorsitz gewesen, der jetzt ja festgestellt hat, dass es keine militärische Lösung geben kann. Es sind die Außenminister der G7-Staaten gewesen, die festgestellt haben, wir brauchen nach wie vor eine politische Lösung. Für die stehen die Vereinten Nationen. Wir waren kurz vor einer nationalen Abschlusskonferenz, die den Versöhnungsprozess jetzt in eine nächste Phase bringen sollte, und jetzt müssen wir sehen, was jetzt getan werden kann, denn man kann natürlich nicht weiter zusehen. Es ist eine humanitäre Katastrophe für Libyen selber. Es sind europäische Interessen berührt. Jeder weiß, dass Libyen ein Land ist, was Migration auf eine schreckliche Art und Weise geschehen lässt. Und es kann diese ganze Region weiter destabilisieren. Im Nachbarland Algerien haben wir derzeit eine außerordentlich fragile Situation und deswegen muss unser Interesse sein, dieses Land zu stabilisieren.
"Das Land steht vor einem schrecklichen Bürgerkrieg"
Engels: Sie haben es schon angedeutet. Eigentlich sollte in den kommenden Tagen eine UN-Konferenz zur Versöhnung und zur Machtteilung, auch gegebenenfalls mit Vorbereitung von Wahlen starten. Haben Sie eine Erklärung, warum ausgerechnet kurz davor wieder die Zeichen auf Eskalation umgestellt worden sind?
Wadephul: Ja, das kann man eigentlich nur so erklären, dass General Haftar, den Sie erwähnt haben, eingebunden war, sich sogar mit dem von der internationalen Gemeinschaft anerkannten Chef der Regierung in Libyen getroffen hatte, nun gemerkt hat, dass es in der Tat zu einer friedlichen Lösung kommen soll, die beinhalten sollte, wie es üblich ist, dass Zivile die Herrschaft über das Militärische übernehmen, er am Ende militärische und auch politische Macht im Land abgeben sollte. Offensichtlich will er das nicht. Offensichtlich ist er dazu nicht ohne Weiteres bereit und wollte schnell noch Tatsachen schaffen, hat sich ganz offenkundig auch ein bisschen verschätzt in seinen militärischen Möglichkeiten, dachte, er wird bis Tripolis hin empfangen mit offenen Armen. Das geschieht nicht. Das heißt, das Land steht jetzt vor einem schrecklichen Bürgerkrieg. Erste Gefechte haben ja begonnen. Aber wenn dieses, in Stämme ja zergliederte Land jetzt so weitermacht, dann sehen wir eine katastrophale Eskalation, und die Möglichkeiten, das einzudämmen, werden von Tag zu Tag geringer. Deswegen ist Handeln jetzt erforderlich.
"Deutschland hat den Vorsitz im Sicherheitsrat und muss initiativ werden"
Engels: Handeln ist ein gutes Stichwort. Sie haben General Haftar angesprochen. Er wird ja von Ägypten, Russland und Saudi-Arabien unterstützt. Eine etwas unklare Rolle spielt hier Frankreich, denn auch dort gibt es sehr enge Drähte zu Haftar. Es gibt auch Minister, die ihn unterstützen. Wie sehr muss Frankreich jetzt intervenieren, um die Situation zu befrieden?
Wadephul: Frankreich hat – das möchte ich zunächst festhalten – beim Abschluss des G7-Treffens jetzt durch den Außenminister Le Drian ganz klar erklärt, dass es auch zu dem Schluss gekommen ist, dass es keine militärische Lösung, sondern nur eine politische geben kann. Das hat auch Präsident Macron erklärt, der mit dem UN-Generalsekretär gesprochen hat. Wir haben da Frankreich im Prinzip auf unserer Seite.
Ich will jetzt nicht zurückschauen, was in der Vergangenheit gewesen ist, sondern alle, die gemeint hatten, man müsste mit General Haftar einen starken Mann unterstützen und dort wieder eine starke Regierung kreieren, …
Engels: Und das war ja zum Teil Frankreich.
Wadephul: Das weiß ich nicht endgültig. Es hat dort immer die entsprechenden Vorwürfe gegeben. Aber die offizielle Linie von Paris ist immer gewesen, dass man das nicht tut, und daran muss ich mich zunächst einmal halten.
Ich würde mal nach vorne blicken und sagen: Alle – dazu gehören die Vereinten Arabischen Emirate, vielleicht auch Saudi-Arabien und Ägypten; möglicherweise hat es auch Sympathien dafür in Teilen, würde ich immer sagen, der französischen Regierung gegeben – müssen jetzt erkennen: Wir brauchen eine politische Lösung. Aber es spricht natürlich auch einiges dafür, dass wir noch zehn Sondergesandte schicken können und, wie wir es auch getan haben, vollkommen zurecht, viele Millionen an Unterstützung zahlen. Deutschland engagiert sich als eines der Hauptgeberländer. Es bleibt alles weiter richtig. Nur ich glaube, wir brauchen am Ende des Tages auch eine Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen. Es gibt jetzt eine Chance, dass Russland und China das unterstützen könnten. Deutschland hat den Vorsitz im Sicherheitsrat und muss jetzt initiativ werden. Wir müssen die Situation auch sicherheitstechnisch absichern in Libyen. Von alleine wird dieses Land nicht zur Ruhe kommen.
"Wir können bei dieser humanitären Katastrophe nicht weiter zuschauen"
Engels: Machen wir es konkreter. Sie sprechen von einer möglichen UN-mandatierten Stabilisierungsmission. Was sollte diese Truppe dann können? Welche Rechte sollte sie bekommen, Ihrer Meinung nach?
Wadephul: Sie muss in der Lage sein, diesen Friedensprozess zu organisieren. Sie muss in der Lage sein, für Ruhe und Ordnung im Land zu sorgen und natürlich auch Kämpfer zu entwaffnen. Wir haben viel zu viele Waffen in diesem Land. Wir haben ein, natürlicherweise in Stämme zergliedertes Land, welches unheimlich schwer zentral zu regieren ist. Deswegen brauchen wir jetzt in einer Übergangsphase, um den Versöhnungsprozess zu organisieren – und ich bin nach wie vor überzeugt, dass die Mehrheit der Menschen in Libyen auch Frieden und Ruhe und Aussöhnung wollen -, brauchen wir eine auch entsprechend bewaffnete und nicht nur mit politischer Unterstützung, sondern auch mit entsprechender polizeilicher, vielleicht auch militärischer Unterstützung ausgerüstete Friedenstruppe, die dieses gewährleisten kann. Das ist keine einfache Sache, das wird man nicht von heute auf morgen durchsetzen können, aber vielleicht ist Deutschland gerade jetzt in einer zentralen Rolle mit dem Vorsitz im Sicherheitsrat. Wir sind das Land gewesen – da muss man Guido Westerwelle noch heute dankbar sein -, was sich 2011 bei der letzten Resolution enthalten hat. Das ist damals viel kritisiert worden, aber heute sind wir in einer glaubwürdigen Position. Jeder weiß, dass Deutschland nicht leichtfertig derartige Initiativen unterstützt. Jeder weiß, Deutschland ist gegenüber militärischen Handlungen zurückhaltend. Nur wenn wir jetzt nicht einschreiten, dann versinkt dieses Land im Chaos, und wir können bei dieser humanitären Katastrophe nicht weiter zuschauen.
Soldaten der libyschen Einheitsregierung stehen neben Militärfahrzeugen. 
Internationale Organisationen evakuieren ihre Mitarbeiter
Die international anerkannte Regierung in Libyen hat eine Offensive gegen die Truppen des mächtigen Generals Haftar angekündigt. In Tripolis haben die Menschen mit Hamsterkäufen begonnen. Internationale Organisationen evakuieren ihre Mitarbeiter. Von Friedensgesprächen scheint das Land weit entfernt zu sein.
Engels: Sollte sich dann Deutschland, wenn eine solche UN-Mission zustande kommt, auch mit eigenen Truppen oder und eigenen Polizeikräften beteiligen in Libyen?
Wadephul: Ja, selbstverständlich! Das ist aus meiner Sicht vollkommen klar. Wenn man so eine Initiative ergriffe, dann müsste man auch dabei sein. Wir haben vor fünf Jahren in der Münchner Sicherheitskonferenz versprochen, dass Deutschland mehr internationale Verantwortung wahrnehmen will. Dem müssen Taten folgen. Wir haben diesen Sicherheitsratssitz angestrebt. Wir haben mehr internationale Verantwortung in den UN-Gremien angestrebt. Dann müssen wir auch da sein und sie wahrnehmen. Ich glaube, wir machen das schon sehr gut. Wir haben im Nahost-Konflikt, was die Auseinandersetzung zwischen Israel und den Palästinensern angeht, durch Botschafter Heusgen schon eine sehr gute Initiative gestartet und jetzt muss es weitergehen.
Die Problematik Libyens liegt auf der Tagesordnung. Wir können nicht länger wegschauen. Das ist vor der Haustür Europas. Es ist eine humanitäre Katastrophe, die ihres gleichen sucht, und jetzt müssen wir auch bereit sein zu handeln.
Engels: Johann Wadephul, CDU-Fraktionsvize im Deutschen Bundestag. Wir sprachen mit ihm über Libyen und die mögliche deutsche Verantwortung, hier zur Deeskalation beizutragen. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen.
Wadephul: Sehr gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.