Donnerstag, 28. März 2024

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Libyen
Vom Bürgerkrieg zum internationalen Stellvertreterkrieg

Seit dem Sturz von Machthaber Muammar al-Gaddafi vor über acht Jahren kommt Libyen nicht zur Ruhe. Immer mehr Mächte mischen sich ein und unterstützten eine der Konfliktparteien. Aus dem Bürgerkrieg droht ein internationaler Stellvertreterkrieg zu werden.

Von Jürgen Stryjak | 08.01.2020
09.04.2019, Libyen, Tripolis: Kämpfer einer bewaffneten Gruppe mit Sitz in Misrata, die der von den Vereinten Nationen unterstützten Regierung des National Accord (GNA) von Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch treu ergeben ist, bereiten ihre Munition vor. Trotz internationaler Warnungen gehen die Kämpfe um die libysche Hauptstadt Tripolis unvermindert weiter. Foto: Stringer/dpa
Die libysche Hauptstadt Tripolis ist umkämpft (picture alliance / Stringer / dpa)
Mitten in der Hauptstadt Tripolis stehen Bauruinen, die mal Wohnhäuser werden sollten. Inzwischen hausen dort 170 libysche Flüchtlingsfamilien, in zugemauerten Betonskeletten mit viereckigen Löchern in den Wänden, in die nie Fensterrahmen eingesetzt wurden.
Abdel-Hatti kommt jeden Tag an den Rohbauten vorbei. Der Anblick würde ihm das Herz brechen, erzählt er. Die Menschen hier müssten dieses Elend ertragen, während seine Kinder zu Hause im Warmen schlafen könnten. Deshalb bringt der Mann den Flüchtlingen gerade Decken und Matratzen.
Seit April, also seit Beginn der Offensive von Khalifa Haftar auf Tripolis, sollen mehr als 140.000 Libyer vor den Kämpfen geflohen sein – zu ihnen gehört Samira Ali:
»Raketen haben unsere Häuser zerstört, die Scheiben zersprangen – es war schrecklich. Alle aus dem Ort flohen. Einmal schlug eine Rakete in unserer Nähe ein. Mein herzkranker Sohn weinte und verlor das Bewusstsein.«
Ägyten und Arabische Emirate unterstützen Haftar
Seit dem Sturz von Diktator Gaddafi vor über acht Jahren wird Libyen von Milizen und Stammesverbänden beherrscht. Staatliche Strukturen gibt es nur in Ansätzen. Im Osten des Landes bildete General Khalifa Haftar aus Teilen der libyschen Armee und aus bewaffneten Milizen einen Kampfverband, den er Libysche Nationalarmee nennt und zu dem auch Salafisten und frühere Gaddafi-Anhänger gehören. Stück für Stück gelang es Haftars Kämpfern, Gebiete im Osten sowie im Süden des Landes zu erobern.
Im April begann er dann die Offensive auf die Hauptstadt Tripolis. Hier sitzt die international anerkannte Einheitsregierung unter Fayez as-Sarraj. Sie ist schwach und auf die Unterstützung von Milizen aus dem Westen Libyens angewiesen, die zum Teil islamistische Ziele verfolgen.
Mitte Dezember drohte Haftar damit, Tripolis nun endgültig zu erobern. Die Stunde Null sei gekommen. Tags darauf reagierte Fayez as-Sarraj:
»Werte freie Bürger, glaubt nicht den Lügen jener, die sich was vormachen, glaubt nicht ihren Worten und Gerüchten. Es gibt keine Stunde Null.«
Haftars Vormarsch bis in Sichtweite der Hauptstadt konnte nur gelingen, weil Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate ihn militärisch unterstützen. Seit September kämpfen auch russische Söldner an der Seite des Generals, inzwischen mehr als eintausend.
Türkei unterstützt Regierung in Tripolis
Die Regierung von Fayez as-Sarraj wird hingegen von Katar und der Türkei unterstützt. Türkische Drohnen sollen in Libyen bis November mindestens 200 Angriffe geflogen sein.
Der Krieg in Libyen wird immer internationaler. Zuletzt beschloss die Türkei die Entsendung von Truppen, erste Einheiten sollen bereits unterwegs sein. Gleichzeitig sollen diplomatische Bemühungen verhindern, dass aus Libyen ein zweites Syrien wird, aber sie werden immer aussichtsloser. Seit September gibt es den sogenannten »Berliner Prozess«, eine Libyen-Initiative der Bundesregierung und der Vereinten Nationen. Für Januar ist eigentlich ein Gipfel in Berlin geplant, aber ein Termin steht noch nicht fest.
Fathi Bashagha, der Innenminister der international anerkannten Regierung Libyens, ist pessimistisch:
»Es ist schwierig, Gespräche zu führen, wenn ein Mann namens Haftar Konferenzen ohnehin ablehnt, weil er nur Gewalt kennt. Er will die Macht mit Gewalt übernehmen.«