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Libyens Regime von Zuckerbrot und Peitsche

Wer sich in Libyen aufhalte, der spüre sofort das allgegenwärtige Misstrauen, sagt Reisejournalistin Gabriele Riedle. Grund sei das von Staatschef Gaddafi etablierte Spitzelsystem. Mit Staatsjobs, günstigen Häusern, Grundnahrungsmitteln und Benzin habe man andererseits die Bevölkerung ruhig gehalten.

Gabriele Riedle im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 23.02.2011
    Tobias Armbrüster: Die Lage in Libyen bleibt dramatisch, auch wenn es zurzeit relativ ruhig ist auf den Straßen in Tripolis. Wir haben das vor gut einer halben Stunde von unserem Korrespondenten gehört. Was an Protesten weiter geplant ist, wer möglicherweise die Oberhand gewinnt und wie diese Protestbewegung genau tickt, darüber gibt es anders als in Tunesien und in Ägypten keine genauen Informationen, denn fast alle ausländischen Journalisten haben das Land inzwischen verlassen. Bis Ende vergangener Woche hat die GEO-Redakteurin Gabriele Riedle in Libyen recherchiert. Sie ist inzwischen wieder zu Hause in Berlin. Schönen guten Morgen, Frau Riedle.

    Gabriele Riedle: Guten Morgen!

    Armbrüster: Frau Riedle, was war der Grund für Ihre Reise nach Libyen?

    Riedle: Ich hatte schon vor längerer Zeit eine größere Recherche in Libyen geplant, sprich ich habe schon vor acht Monaten mein Visum beantragt. Das dauert dann eine Ewigkeit, weil die Libyer absolut niemanden reinlassen, also nur in absoluten Ausnahmefällen, jedenfalls was westliche Journalisten betrifft. Bei arabischen Kollegen mag das etwas anders gewesen sein. Zu der Zeit, als ich nun da war, seit Ende Januar, war mein Kollege, der Fotograf, und ich, wir waren die einzigen westlichen Journalisten weit und breit.

    Wir wollten ursprünglich einfach ein Länderporträt von Libyen erarbeiten, ein ausführliches, weil so sehr wenig bekannt ist darüber, was im Land selber in den letzten Jahren los war. Man erfuhr immer wieder von den größtenteils extrem bizarren Auftritten von Gaddafi selbst, aber wie es im Land tatsächlich zuging, darüber wusste man viel zu wenig, und das wollten wir eigentlich recherchieren.

    Armbrüster: Konnten Sie sich denn frei bewegen?

    Riedle: Nein, auf gar keinen Fall. Wir wurden schon vor der Passkontrolle am Flughafen in Tripolis abgefangen von Leuten vom Informationsministerium und der Mitarbeiter blieb uns dann eigentlich auch die ganze Zeit erhalten. Wenn wir uns mal in Ausnahmefällen von ihm losreißen konnten, dann war sowieso auch Geheimdienst überall. Das ganze Land ist durchsetzt mit Spitzeln, keinem kann man trauen. Wir haben uns dann irgendwann nicht mal mehr getraut, das Wort Gaddafi öffentlich auszusprechen. Sprich wenn wir auf der Straße waren, oder im Café oder so, dann sprachen wir immer von Karlheinz. Das nahm dann schon groteske Formen an.

    Armbrüster: Sie haben jetzt von Spitzeln gesprochen, die überall präsent sind. Wie haben Sie das bemerkt?

    Riedle: Man weiß das. Jeder sagt jedem, dass der andere ein Spitzel sein könnte. Jeder hat auch Angst vor jedem. Also die Dienste bewachen sich hier teilweise auch gegenseitig. Ich weiß, dass unser Spezialbegleiter, sage ich mal, vom Informationsministerium, der hatte furchtbare Angst vorm Geheimdienst, der wiederum ihm hinterher war. Also das ist so eine allgemeine Situation von kompletter Einschüchterung an allen Ecken und Enden ständig gewesen, und das übrigens natürlich nicht erst seit jetzt. Jetzt waren die extrem nervös. Das kann man verstehen, wenn es darum herum brennt. Aber diese Einschüchterungsstrategie, die gibt es nun in Libyen schon seit Langem.

    Armbrüster: Sie waren dann auch da, als diese Proteste losgegangen sind. Wie haben Sie die erlebt?

    Riedle: Ich war witzigerweise beim Protestzug oder bei einer großen Protestveranstaltung, die sich dann tatsächlich den ganzen Tag und bis spät in die Nacht hinzog, in Tripolis für Gaddafi.

    Armbrüster: Für Gaddafi?

    Riedle: Für Gaddafi, ja, ja.

    Armbrüster: Wie sind Sie da reingekommen?

    Riedle: Ich erkläre das gleich näher. – Das war letzten Donnerstag. Auf diesen letzten Donnerstag hatte alles schon mehr oder weniger zugefiebert, weil es gab schon in der Woche zuvor im Internet offensichtlich Aufrufe für eine Veranstaltung zu diesem Datum. Das Datum ist so ein bisschen historisch, weil am 17. Februar vor fünf Jahren gab es in der Stadt Bengasi – das ist im Osten, 1000 Kilometer weiter weg an der Küste von Libyen Richtung Ägypten; dort gibt es sehr viele aufständische Stämme, die sehr eigenwillig sind und schon immer Ärger mit Gaddafi hatten -, also in dieser Stadt Bengasi gab es vor fünf Jahren am 17. Februar eine Demonstration gegen die Mohammed-Karrikaturen, und am Rande dieser Demonstration gab es merkwürdige Ausschreitungen. Was genau passiert ist, weiß man nicht. Jedenfalls wurde geschossen und es gab einige Tote. Das wurde in Bengasi nicht vergessen und anlässlich dieses Jahrestages wurde also bekannt, dass es eine Demonstration geben sollte. Dann war nicht klar, wer diesen Aufruf initiiert hat und wofür oder wogegen sie sein sollte. Relativ schnell machte dann das Gerücht die Runde, dass Gaddafi diesen Aufruf selber initiiert habe, um nämlich sozusagen etwaige Proteste gegen ihn sofort für sich zu nutzen und umzuwandeln in Sympathiekundgebungen gegen ihn und nötigenfalls wiederum gegen die Regierung, die er dann sofort abgesetzt hätte, sozusagen etwaigen Demonstranten den Kopf der Regierung, die er selber auch für korrupt und unfähig hielt, zu bieten.

    Diese Demonstration in Tripolis, die hat dann tatsächlich stattgefunden, an der habe ich auch teilgenommen. Da waren die Leute extrem fröhlich. Das war schon fast so eine Art hysterische Fröhlichkeit. Wie gesagt, das ging bis in die Nacht. Die Atmosphäre war eher so wie bei einem gewonnenen Fußball-Weltmeisterschaftsendspiel. Währenddessen gab es aber dann schon die Meldung, dass in Bengasi geschossen worden war und die ersten Toten zu beklagen gewesen sind.

    Armbrüster: Wenn wir jetzt mal auf die Gaddafi-Gegner zu sprechen kommen, von was für einer Stimmung wird diese Bewegung getragen?

    Riedle: Na ja, diese Bewegung, die gibt es eigentlich erst seit den letzten Tagen. Die gab es nicht wirklich bis zum Ende letzter Woche. Es gab wie gesagt diese Stämme im Osten, die sehr mächtig sind. Da gibt es diverse, sehr mächtige und sehr kriegerische Stämme auch, die sich schon sehr, sehr lange immer gegen das Regime so halbwegs im beschränktesten möglichen Rahmen aufgelehnt haben und sich eben immer wieder ein paar Scharmützel geliefert haben über viele Jahre und die selber sehr gerne endlich diesen Gaddafi weg gehabt hätten, einfach weil sie selber gerne mal an die Macht kommen würden. Von Demokratiebewegung kann man bei denen ganz bestimmt nicht sprechen, weil wie gesagt, das sind machtbewusste Stämme, die haben andere Interessen als Demokratie, die wissen wahrscheinlich gar nicht so richtig, was das bedeuten würde.

    Dass die Stimmung dann umgekippt ist und es tatsächlich eine Bewegung gegen Gaddafi jetzt gibt, das ist einfach eine Eigendynamik. Die hat sich durch die ersten Schüsse, die dann in Bengasi und in der Stadt El Bejda – das ist nicht weit von Bengasi – abgegeben worden sind, die hat sich durch diese Schüsse dann entwickelt und extrem hochgeschaukelt, und jetzt haben wir die Eskalation, die wir jetzt alle mit größtem Entsetzen beobachten.

    Armbrüster: Hatten Sie bei Ihrer Reise den Eindruck, da gibt es tiefe Aggressionen, die in Libyen schlummern?

    Riedle: Na ja, tiefe Aggressionen kann man so nicht sagen, weil das ist alles so runtergekocht worden mit dieser Strategie Zuckerbrot und Peitsche. Zur Peitsche sozusagen habe ich gerade schon was gesagt. Die Peitsche war dieser unglaubliche Repressionsapparat mit diesen Spitzeln, mit dieser unglaublichen Spitzeldichte und mit drakonischen Strafen für alle, die irgendwie ausgeschert sind. Zuckerbrot gab es natürlich aber auch, und das Zuckerbrot, das bestand darin, dass die Menschen sehr viele, vergleichsweise viele Vergünstigungen gekriegt haben. Ich will es mal so beschreiben: In den Nachbarländern, Tunesien und Ägypten etwa, herrschte ja eine extreme Armut teilweise. So was gibt es in Libyen oder gab es bisher nicht. Es gab keine Bettler auf Libyens Straßen. Es gibt niemand, der nicht wirklich durchkommen würde. Es gibt Leute, die natürlich am Existenzminimum sich bewegen, aber darunter nun nicht.

    Armbrüster: Gut besuchte Restaurants und Supermärkte?

    Riedle: Supermärkte gibt es inzwischen. Gut besuchte Restaurants gibt es auch. Das ist relativ neu. Das kann sich aber keiner leisten, der nicht irgendwie in einer internationalen Firma arbeitet. Ich möchte vielleicht aber lieber noch mal dazu was sagen, was jetzt für die Allgemeinbevölkerung die Zuwendungen bedeuten.

    Armbrüster: Möglichst kurz, Frau Riedle.

    Riedle: Ja. Das sind vor allem günstige Häuser, günstige Grundnahrungsmittel, günstiges Benzin und Staatsjobs, die keiner braucht und wo man auch nicht unbedingt arbeiten muss, aber wo man sozusagen einen Minimumlohn dafür kriegt.

    Armbrüster: Gabriele Riedle war das, Redakteurin bei der Zeitschrift GEO. Sie war bis vor wenigen Tagen unterwegs in Libyen auf Recherchereise. Vielen Dank, Frau Riedle, für das Gespräch.

    Riedle: Ich danke Ihnen.