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Licht und Schatten an der Kölner Oper

Die "Opernwelt" hat die Kölner Oper gleichzeitig zum Opernhaus und zum Ärgernis des Jahres gekürt. Albrecht Thiemann, Redakteur der "Opernwelt", begründet, warum in einer knappen Entscheidung Köln zum "Opernhaus des Jahres" gekürt wurde - und warum beim "Ärgernis des Jahres" das Votum sehr viel eindeutiger war.

Albrecht Thiemann im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 01.10.2012
    Stefan Koldehoff: Einmal im Jahr versammeln sich die wichtigsten deutschen Musikkritiker zum virtuellen Konklave per E-Mail, Brief und Telefon – und an dessen Ende steht dann fest, wen das Fachmagazin "Opernwelt" in jenem Jahr zum "Opernhaus des Jahres", aber auch zum "Ärgernis des Jahres" kürt. Dass beide Preise in dieselbe Stadt und ans selbe Haus gehen, passiert eher selten. Diesmal schon: Ärgernis des Jahres sind die Finanzstreitereien und kulturpolitischen Querelen um die Oper Köln. Und Opernhaus des Jahres: die Oper Köln unter dem gefeuert-gegangen-gekündigt habenden Intendanten Uwe Eric Laufenberg.

    - Frage also zunächst mal an Albrecht Thiemann, Redakteur der "Opernwelt": Wer bekommt denn da jetzt beide Preise in die Hand gedrückt?

    Albrecht Thiemann: Wir vergeben keine Trophäe. Wir verstehen unsere Umfrage auch eher als eine kritische, konstruktive Bilanz der jeweils vorausgegangenen Spielzeit. Insofern ist die Hitliste, die für die Häuser - die prämierten, aber auch die leer ausgegangenen - im Vordergrund steht, gar nicht das Wichtigste an dieser Umfrage. Das Wichtigste ist der Versuch, einen repräsentativen Rückblick auf die vorausgegangene Spielzeit zu werfen. Und dann macht dieses Ergebnis, so ungewöhnlich es auf den ersten Blick auch wirken mag, Sinn, denn Köln hat sich in der vergangenen Spielzeit wirklich durch zweierlei ausgezeichnet: einmal durch einen beispiellosen Aufschwung eines Hauses, das noch vor drei Jahren sich praktisch in die Bedeutungslosigkeit hineinmanövriert hatte. Man hörte überregional überhaupt nichts mehr von der Kölner Oper, die ja glanzvolle Zeiten unter Michael Hampe oder Günter Krämer erlebt hat. Der zweite Punkt, Ärgernis des Jahres, betrifft ein Phänomen, das man nicht nur in Köln findet, aber vielleicht doch in Köln unter besonderen Vorzeichen, nämlich eine kopf- und konzeptlose Kulturpolitik, die oft gar nicht weiß, welche Schätze sie vor der Haustür hat. Und mitunter ohne Not manchmal auch in der Stunde der Not kaputt spart.

    Koldehoff: Wenn ich jetzt trotzdem mir die Liste der anderen Preise durchlese, Herr Thiemann, Nachwuchssänger, Nachwuchssängerin, Anna Dolowski Oper Stuttgart, Chor des Jahres Oper Stuttgart, Regieleistung des Jahres Jossi Wieler, Sergio Morabito, für "La Sonnambula" Oper Stuttgart, Aufführung des Jahres dieselbe Produktion Oper Stuttgart. Hätten die es nicht eigentlich mehr verdient gehabt?

    Thiemann: Ich finde, das ist doch ein wunderbares Ergebnis, das zeigt, wie leistungsfähig trotz der verstärkten Krisensymptome landauf, landab die deutschen Opernhäuser sind. Und Stuttgart hat immer an der Spitze derjenigen Häuser mitgemischt, die das Operngeschehen in der Bundesrepublik und auch international geprägt haben. Insofern ist diese Verteilung auf zwei Städte, die über viele Jahre zu den besten Häusern in Deutschland gehörten, ein sehr schönes Ergebnis.

    Koldehoff: Bewegen wir uns doch mal ein bisschen in Richtung Nähkästchen. Fallen solche Entscheidungen relativ deutlich aus, sind da die Voten der befragten Kritiker relativ einheitlich, oder gibt es sogar Debatten, Diskussionen?

    Thiemann: Man kann auch in diesem Jahr unumwunden sagen, dass die Entscheidung über das Opernhaus des Jahres eine knappe Entscheidung gewesen ist. Was die Bewertung der unerfreulichen Aspekte der vergangenen Saison betrifft, also Stichwort Ärgernis des Jahres, war das Votum eindeutig.

    Koldehoff: Gab es denn die Produktion in Köln, die möglicherweise den Ausschlag gegeben hat fürs Opernhaus des Jahres?

    Thiemann: Ich denke, es waren zwei Faktoren. Es war einmal eine spektakuläre Produktion, nämlich des "Sonntag" aus dem "LICHT"-Opernzyklus von Karlheinz Stockhausen. Das ist sicherlich der Höhepunkt der Ära Uwe Eric Laufenbergs gewesen. Der zweite Faktor ist sicherlich, dass Uwe Eric Laufenberg das Kunststück vollbracht hat, in Köln unter erschwerten Bedingungen, nämlich der Bedingung, dass das Stammhaus nicht zur Verfügung stand für zwei Spielzeiten, an den Ausweichspielstätten genau die richtigen Leute einzuladen, um aus der Not eine Tugend zu machen. Beispiel eine Produktion der monteverdischen "Poppea" im ehemaligen Hauptquartier des Gerling-Konzerns. Das war eine Produktion, die hohe Wellen geschlagen hat, die begeistert aufgenommen worden ist und auch symptomatisch für das Geschick dieses Intendanten, der leider gehen musste, in dieser Phase steht.

    Koldehoff: Also, keine demonstrative, sondern eine inhaltlich begründete Entscheidung - Albrecht Thiemann war das, Redakteur des Fachmagazins "Opernwelt", über die Kür des "Opernhauses des Jahres".

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.