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Liebe zum Sinnlichen und Poetischen

Fast ein halbes Jahrhundert lang begleitete Friedrich Luft das Kulturleben Berlins und die Entwicklung des Theaters in Westdeutschland. Seine Kritiken konnte man in großen Zeitungen lesen und allwöchentlich am Radio hören. Am 24. Dezember 1990 verstarb der Theaterkritiker.

Von Eva Pfister | 24.12.2010
    Friedrich Luft: "Luft ist mein Name, Friedrich Luft, ich bin 1,86 groß, dunkelblond, wiege 122 Pfund, habe Deutsch, Englisch, Geschichte und Kunst studiert, bin geboren im Jahre 1911, bin theaterbesessen und kinofreudig und beziehe die Lebensmittel der Stufe zwei. Zu allem trage ich neben dem letzten Anzug, den ich aus dem Krieg gerettet habe, eine Hornbrille auf der Nase."

    So stellte sich der Theaterkritiker Friedrich Luft am 9. Februar 1946 den Berliner Radiohörern vor. "15 Kritische Minuten" hieß die Pilotsendung im sogenannten "Drahtfunk im amerikanischen Sektor", kurz DIAS, der bald darauf den vertrauten Namen RIAS erhalten wird. Die Sendung wird als "Stimme der Kritik" von da an jeden Sonntag über den Äther gehen, mehr als 44 Jahre lang.
    Friedrich Luft war einer der wichtigsten Chronisten des Kulturlebens in Berlin und Westdeutschland. In Rundfunk und Zeitungen kommentierte er Theateraufführungen, aber auch Filmpremieren und kulturpolitische Entscheidungen. Geboren am 24. August 1911 schrieb der Sohn eines Berliner Studienrates und einer Schottin schon in den 30er-Jahren erste Feuilletons. Aber die Epoche, die Friedrich Luft am meisten prägte, war die unmittelbare Nachkriegszeit, an die er sich noch vierzig Jahre später fast wehmütig erinnerte.

    "Sie ist eigentlich unbeschreiblich und sie ist mit diesem Elan und mit dieser Leidenschaft fürs Theater nur erklärbar damit, dass die Leute damals den Eindruck hatten: Hier fängt etwas Neues an. Und hier kommt Welt wieder zu uns herein. Es wurden ja die englischen, die amerikanischen, die russischen Stücke endlich wieder hier in Deutschland gespielt. Es war eine geistige Aufmerksamkeit für das Theater, wie es sie seitdem eigentlich nicht mehr gegeben hat."

    Friedrich Luft war ein Mann der ersten Stunde. Er saß in der von den Sowjets gegründeten Kammer der Kulturschaffenden, war beteiligt an der Gründung des Schutzverbandes Deutscher Autoren und begann Ende 1945, Theaterkritiken für die von den Amerikanern herausgegebene "Neue Zeitung" zu schreiben. Hier und im RIAS setzte sich Luft für die Kultur in der Stadt Berlin ein, für eine freie Kultur, an der alle teilhaben sollten und an deren aufbauende Kraft er fest glaubte, wie er in seiner ersten Rundfunksendung programmatisch klarstellte:

    "Nein, Kunst ist nicht Sonntagsspaß und ein Schnörkel am Alltag, ein Nippes auf dem Vertiko. Kunst ist notwendig, grade jetzt in der Not, erst der Geist füllt das Leben. Und ich will in keiner Welt leben, die ohne Musik ist. Was nutzt es, wenn wir uns nun das neue Haus bauen und siehe, wir haben den Inhalt vergessen, den Geist, der in ihm wohnen soll. Nein, Kunst ist notwendig. Und kein Gedanke an sie, kein wirkliches Bemühen in ihr ist zuviel."

    Lange glaubte Friedrich Luft noch an eine ungeteilte Kulturstadt und besuchte auch Aufführungen in Ostberlin, bis ihm die, wie er es ausdrückte, "immer monotoner werdenden Schaustellungen kommunistischer Selbstbefriedigung" zu viel wurden. Am 13. August 1961 wurde dann die Teilung zementiert. Es war ein Sonntag und Friedrich Luft stellte sofort sein Programm um:

    "... und ich sprach nur vergleichsweise kurz über die theatralischen Dinge, über die ich hätte sprechen müssen und habe dann fast die ganze Zeit über den Schock gesprochen, den mir das versetzt hatte."

    Nach dem Mauerbau wurde Lufts "Stimme der Kritik" für die Hörer in weiten Teilen der DDR zu einer wichtigen Informationsquelle über die Kultur des Westens. Und sie überdauerte auch den Fall der Mauer. Noch zwei Monate vor seinem Tod - er starb am 24. Dezember 1990 - sprach der Kritiker über die Theaterereignisse der Woche. Friedrich Luft liebte das literarische Schauspielertheater, die sinnlichen und poetischen Aufführungen. Über sie schrieb und sprach er anschaulich, pointiert und humorvoll. Er urteilte weniger nach politischen oder moralischen, denn nach ästhetischen Kriterien. Dass auch seine Kritik subjektiv ist, das machte er den Hörern schon 1946 klar:

    "Kein akademischer Vortrag, das kann ich nicht, der Himmel behüte, kein leidenschaftsloser Bericht, damit wäre niemandem geholfen, sondern ich komme aus dem Theater, dem Kino, der Ausstellung, der Oper, und ich berichte meinen Eindruck. Es gibt keine absolut treffsichere Kritik, aber es gibt auch hier ein sauberes Handwerk und einen Willen zur Redlichkeit und zum Wahren, das wollen wir treffen."