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"Lieber gar nichts als das"

Der Gesundheitsökonom Jürgen Wasem hat die Koalitionspläne zur Gesundheitsreform kritisiert. Weder auf der Ausgabenseite noch auf der Einnahmenseite würden "die Probleme in einem nennenswerten Umfang gelöst". Die beschlossene Ein-Prozent-Regelung bezeichnete Wasem als " definitiv nicht praktikabel", da sie den Wettbewerb der Kassen verzerren würde.

Moderation: Jochen Spengler | 25.09.2006
    Jochen Spengler: Keiner ist offenbar glücklich mit dem, was das bislang in Sachen Gesundheitsreform zurechtgemuckst wird. Auf das Argument, es doch besser ganz zu lassen, heißt es aber von CDU- und SPD-Politikern, Nichtstun geht nicht, wir brauchen die Reform, weil uns die Kosten im Gesundheitswesen sonst davonlaufen.

    Am Telefon ist der Essener Gesundheitsökonom, Professor Jürgen Wasem. Guten Tag Herr Wasem!

    Jürgen Wasem: Grüße Sie!

    Spengler: Herr Wasem, haben die Politiker mit dieser Behauptung recht, sie müssen was tun?

    Wasem: Ja, grundsätzlich ist das richtig. Wir haben ein Einnahmeproblem einerseits, das heißt, die Einnahmen der Krankenkassen wachsen seit vielen Jahren langsamer als das normale Wirtschaftswachstum, deswegen sollte im Mittelpunkt dieser Reform auch eine Einnahmereform stehen, und wir haben auf der anderen Seite ein Ausgabenproblem. Wenn wir nicht dauernd intervenieren, Reformen machen, dann laufen uns die Ausgaben davon.

    Spengler: Ginge es denn nicht, einfach im bisherigen System zu bleiben, also den Fonds und das alles zu vergessen, was Ministerpräsident Böhmer heute morgen gesagt hat?

    Wasem: Nun, in der Tat ist es richtig, der Fonds, zumindest so, wie er konstruiert ist, löst auf der Einnahmenseite die Probleme nicht. Von daher kann man da auch weitermachen wie bisher und sich überlegen, was müsste man tun, um die Einnahmenseite zu verbessern, und da sind Stichworte wie Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs etc. genau die richtigen, und auf der Ausgabenseite ist ja das Bedauerliche, dass die Koalition auch da nicht den Mut hatte, wirklich wegweisende Veränderungen vorzusehen. Da bleibt die Aufgabe ohnehin jetzt, egal ob Fonds oder nicht, dass man sich überlegt, was tut man angesichts der Herausforderungen durch Alterung, demografischen Fortschritt usw.

    Spengler: Lassen Sie uns das ein bisschen mit Leben erfüllen, das, was Sie da zum Schluss gesagt haben, auf der Ausgabenseite also heißt nicht so viele Doppeluntersuchungen, nicht so viel Röntgen oder was heißt das?

    Wasem: Ja, wobei die Frage ist, wie kommt man dahin. Es besteht eigentlich ziemlicher Konsens unter vielen Experten, dass unser Hauptproblem ist, dass wir die Versorgung durch die niedergelassenen Ärzte, die ambulante Versorgung und die Versorgung durch die Krankenhäuser relativ streng voneinander getrennt nebeneinander her laufen haben. Daraus erwachsen eine Vielzahl von Problemen, Doppeluntersuchung ist eines, was Sie genannt haben. Insofern ist die Frage, wie kommt man zu einer besseren Verzahnung auf der Ausgabenseite. Viele Beobachter denken, dass man da viel mehr Mut braucht, auch so Sachen zu denken, wie dass langfristig nicht mehr parallel niedergelassene Fachärzte in voll ausgestatteten Praxen sind und parallel dazu die Krankenhäuser dieselben Geräte noch mal vorhalten 300 Meter weiter.

    Spengler: Warum wagen sich die Politiker nicht an so was ran?

    Wasem: Nun, das ist natürlich die Herausforderung jeweils für mächtige Interessensgruppen. Wenn ich an die Krankenhausplanung denke, die Krankenhausplanung garantiert den Krankenhäusern heute, dass sie eine Existenzberechtigung haben, alle Krankenkassen müssen mit ihnen Verträge schließen, und in der Versorgung durch die Fachärzte ist auch klar, es gibt die Garantie, dass die Krankenkassen mit allen Fachärzten einer bestimmten Fachrichtung Verträge schließen müssen, die Mitglieder der Kassenärztlichen Vereinigung sind. Wenn man diese strenge Trennung der Sektoren aufbrechen will, dann legt man sich natürlich mit diesen Interessengruppen an.

    Spengler: Bleiben wir noch mal einen Moment bei dem, was bislang geplant ist, also was von der schwarz-roten Koalition bislang ins Gespräch gebracht worden ist. Welcher Behauptung neigen Sie zu, besser so eine Reform als keine oder besser keine Reform als so eine?

    Wasem: Also es werden weder auf der Ausgabenseite noch auf der Einnahmenseite wirklich die Probleme in einem nennenswerten Umfang gelöst, und so, wie es im Moment beschlossen ist, fängt man sich eine Menge von zusätzlichen Problemen ein, Beispiel diese berühmte Überforderungsklausel, das heißt, in der Summe, würde ich auch im Moment sagen, lieber gar nichts als das, was im Moment zur Beschlussfassung ansteht.

    Spengler: Die Überforderungsklausel haben Sie angesprochen. Um es kurz zu erklären, wenn ich es richtig verstanden habe: Vorgesehen sind einheitliche Krankenversicherungsbeiträge, Kassen, die damit nicht auskommen, die dürfen von ihren Versicherten etwas mehr verlangen, und dann will die Union das haben, um eben den Wettbewerb ins System zu bringen, und die SPD widerspricht und sagt, na ja, aber nicht mehr als 1 Prozent des Einkommens von den Versicherungen dürfen dazu gezahlt werden, sonst wird es sozial ungerecht. Jetzt sollen Fachleute prüfen, ob so eine 1-Prozent-Grenze überhaupt praktikabel ist, und Sie sind ja nun ein Fachmann. Was sagen Sie, ist so was praktikabel?

    Wasem: Also die 1-Prozent-Regelung, so wie sie beschlossen worden ist, ist definitiv nicht praktikabel.

    Spengler: Warum nicht?

    Wasem: Das Hauptproblem ist, dass Krankenkassen, die viele Geringverdiener haben, die haben dann viele, die die Zusatzprämie gar nicht zahlen können, und das fehlende Geld sollen sie nach dem jetzigen Entwurf sich von den Besserverdienenden in derselben Kasse holen. Die logische Konsequenz ist, die Besserverdienenden werden weglaufen, denn in einer anderen Krankenkasse, wo es ohnehin schon mehr Besserverdienende gibt, fehlt nicht so viel Geld, weil nicht so viel Leute von der Härtefallregelung betroffen sind, das heißt, da haben wir wirklich, so wie es beschlossen ist, eine ganz große Verzerrung des Wettbewerbs. Da lassen sich technische Lösungen finden, aber so, wie es im Moment beschlossen ist, geht es wirklich nicht.

    Spengler: Ist mehr Wettbewerb der Schlüssel für eine erfolgreiche Gesundheitsreform?

    Wasem: Da scheiden sich die Geister natürlich. Meine persönliche Auffassung ist, ja, wir müssen den Mut haben für mehr Wettbewerb. Der entscheidende Punkt ist natürlich, das haben wir uns eben deutlich gemacht am Beispiel der niedergelassenen Fachärzte und der Krankenhäuser, wenn ich Wettbewerb zulasse, dann lasse ich zu, dass sich deutliche Veränderungen ergeben, weil im Wettbewerb wird es Gewinner geben und es wird Verlierer werden, und die, die ahnen, dass sie Verlierer sind, die schreien dann schon im Vorfeld überhaupt auf.

    Spengler: Sie haben mit mehreren Kollegen eine Alternative für eine Gesundheitsreform entworfen. Ich weiß nicht, woran es liegt, dass es nicht so in die Öffentlichkeit gedrungen ist. Vielleicht können Sie uns erklären, was der Charme Ihres Modells ist.

    Wasem: Also unser Vorschlag versucht auch ein Kompromiss zwischen dem Bürgerversicherungsmodell einerseits und dem Modell der Kopfprämie und des Schutzes sozusagen auch der Kapitaldeckung durch die private Krankenversicherung andrerseits. Das Modell sagt vereinfacht, alle Bürger in die gesetzliche Krankenversicherung, aber die, die besser verdienen, da müsste man sich über die Grenzen dann unterhalten, das ist ja variabel, die kriegen in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht den kompletten Schutz, sondern die kriegen nur einen Teilschutz und müssen sich den zusätzlichen Schutz dann in der privaten Krankenversicherung besorgen.

    Das Modell hätte den Charme, dass der Beitrag in der gesetzlichen Krankenversicherung abgesenkt werden könnte, und hätte gleichzeitig den Charme, dass das Kapitalansammelverfahren, was in der privaten Krankenversicherung praktiziert wird, was ja mit Blick auf die Bevölkerungsentwicklung gar nicht so schlecht ist, geschützt und sogar ein bisschen ausgebaut würde.

    Spengler: Warum hört keiner auf Sie?

    Wasem: Ich befürchte, dass wir ein bisschen zu spät waren mit dem Modell, dass sich jetzt alle schon auf den Gesundheitsfonds eingeschossen haben aus folgendem Grunde, der Fonds ist ja auch in erster Linie, so wie er beschlossen worden ist, ein politischer Kompromiss, der es der SPD ermöglicht, nach der nächsten Wahl stärker in Richtung Bürgerversicherung und der CDU/CSU stärker nach der nächsten Wahl in Richtung Prämienmodell zu gehen, da liegt der ja irgendwie in der Mitte. Unser Modell liegt in gewisser Weise auch in der Mitte, nur quer dazu.

    Spengler: Das war der Essener Gesundheitsökonom Professor Jürgen Wasem. Herr Wasem, herzlichen Dank für das Gespräch.