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Lieber tot als bankrott

Da sich auch die Zahlungsmoral der Geschäftskunden verschlechtert hat, bleiben Unternehmer monatelang auf ihren Rechnungen sitzen. Das bringt gerade kleine Familienbetriebe in Existenznöte. Mehr als 10.000 Firmen sind 2011 pleitegegangen. Seit Jahresbeginn haben sich mehr als 60 Italiener "aus wirtschaftlichen Gründen" das Leben genommen.

Von Kirstin Hausen | 11.05.2012
    Am Montag ist er wie gewohnt ins Büro gegangen. Am Dienstag zur Bank. Den dringend benötigten Kredit hat er nicht bekommen. Am Mittwoch hat er seinen alten BMW verkauft, das private Konto geplündert und den Angestellten ihre Lohnrückstände ausgezahlt. Dann ist er verschwunden. Enzo B. war noch keine 50 Jahre alt. Die Nachricht von seinem Selbstmord erschütterte Freunde und Nachbarn, darunter auch den Psychologen Luigi Policastro.

    "Unsere Fähigkeit, Veränderungen zu ertragen, die uns frustrieren, wird derzeit auf eine harte Probe gestellt. Und die Frustrationen nehmen zu, weil wir mehr bezahlen müssen und weniger Geld haben, weil sich alle Regeln ändern."

    Policastro will helfen, weitere Selbstmorde zu verhindern. Er arbeitet seit zwei Wochen ehrenamtlich für das Projekt "Terraferma", das ein Unternehmer aus Varese in der Lombardei und eine Psychologin aus Rom gegründet haben. Sie bieten kostenlose psychologische Betreuung per Telefon an.

    "Natürlich braucht es Spezialisten, die auf die richtige Weise zuhören, die sich nicht nur für die konkreten wirtschaftlichen Probleme des Betroffenen interessieren, sondern auch für die tiefere Bedeutung von Geld und von Geldsorgen für jeden Einzelnen."

    Selbstmordgefährdet sind nach Meinung des Psychologen vor allem männliche Kleinunternehmer, die ihre Familien an einen gewissen Lebensstandard gewöhnt haben und zu ihren Angestellten ein freundschaftlich-väterliches Verhältnis pflegen. Sie bringen es nicht übers Herz, Leute zu entlassen, und sind oft zu stolz, um Frau und Kindern reinen Wein einzuschenken. So hat die 18jährige Abiturientin Chiara erst nach dem Freitod ihres Vaters erfahren, dass der Familienbetrieb vor dem Konkurs stand. In einem offenen Brief, verbreitet über die Medien, gibt Chiara der Regierung eine Mitschuld an der Entscheidung des Vaters.

    "Was Monti macht, wird unser Land nicht aus der Krise reißen. Er erhöht die Steuern und der Inlandskonsum stagniert, weil die Leute kein Geld mehr haben. Mein Vater ist aus Liebe gestorben. Aus Liebe zu seinem Betrieb, zu seinen Angestellten. Er hatte Angst, sie zu verraten, sie nicht mehr bezahlen zu können. Das hat ihn fertiggemacht. Das hat er nicht mehr ausgehalten."

    Nicht nur trauernde Angehörige, auch lokale Unternehmerverbände, Handelskammern und Handwerkerinnungen verlangen von der Regierung Monti Korrekturen in der Steuerpolitik für in Existenznot geratene Kleinunternehmen. Denn gerade ihnen gehen nach vier Krisenjahren in Folge die finanziellen Reserven aus. Der Psychologe Policastro:

    "Solidarität und gegenseitige Hilfe ist wichtig in so dramatischen Momenten, weil wir uns dann zugehörig fühlen zu einer Gruppe und nicht allein. Aber gefragt sind hier auch die staatlichen Institutionen."

    Die kleinen Familienbetriebe bilden das Rückgrat der italienischen Wirtschaft, sie bezahlen proportional zur Anzahl ihrer Angestellten mehr Steuern als Großkonzerne wie der Autobauer "Fiat", aber ihnen fehlen oft genug die Kompetenzen und das Kapital, um auf dem globalisierten Markt bestehen zu können. Bis in die 90er Jahre hinein schafften sie es, sich dank regionaler Produktionsnetzwerke und Spezialisierung gegen ausländische Niedrigkostenkonkurrenz durchzusetzen, doch dieses Modell kriselt schon lange. Die aktuelle Rezession und die Steuererhöhungen der Regierung Monti machen ihnen nun zusätzlich zu schaffen.

    "Meine Rücklagen habe ich restlos aufgebraucht, auch meine privaten Ersparnisse, erzählt der Unternehmer Giuseppe Ludici, der bis vor zwei Jahren Schönheitsfarmen mit Kosmetikprodukten belieferte. Seine Firma mit zwölf Angestellten ist inzwischen pleite."