Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Lieber trocken als nass

Wanderer, kommst du ins Ausland, mach dich auf was gefasst! Zum Beispiel, dass man das Wort "Wanderer" nicht versteht, weil es sich um eine originär deutsche Fortbewegungsart handelt – schwer nachvollziehbar für Völker, die Jahrhunderte nur deutsche Marschierer zu Gesicht bekamen. Da passt es schon eher, mitten in einer Fremdsprache auf den verballhornten "Landsknecht" zu stoßen. Lehnworte sind Visitenkarten, die wir auf Auslandsbesuchen hinterlassen; selten sprechen sie eine schmeichelhafte Sprache. Zum Glück reicht unser Verständnis fremder Idiome nicht so weit, auch noch Sprichworte und Redensarten zu verstehen, etwa das türkische: "Machen wir’s deutsch!" Was denn, eine Sexualtechnik? Nein, "getrennt bezahlen" – dafür steht die deutsche Art. Auf moderne Weise ist das genauso überkorrekt wie jene Disziplin, die ein polnisches Sprichwort aufspießt: "Jeder Preuße rasiert ohne Seife, jedoch bis zum Ende."

Florian Felix Weyh | 15.01.2004
    Deutschlandbilder heißt der vom Düsseldorfer Anglisten Klaus Stierstorfer herausgegebene Sammelband, der in fünfzehn Fremd- und einer Selbstbetrachtung dem wahren Ruf der Deutschen auf die Spur zu kommen versucht. Das tut er auf eine so schlagende Weise, dass man die Lektüre eigentlich gleich wieder einstellen könnte, denn die Selbstbetrachtung steht an erster Stelle – "Wo sonst?" fragt der Deutsche in uns – und macht mit 56 Seiten natürlich den längsten Text des Buches aus. Immer getreu der Devise: Ist die eigene Identität erst einmal gefestigt, können sie andere getrost unterminieren. Preußische Trockenrasurmentalität herrscht eben auch da, wo es um die Frage geht, ob Nassrasur nicht vielleicht die pfleglichere Methode wäre.

    Aber keine Bange, der Selbstvergewisserungsaufsatz basiert auf bravem Sammelfleiß, man kann ihn überspringen und sich gleich den Fremdbildern widmen. Sie stammen – hah! – zu zwei Dritteln von deutschen Akademikern. Natürlich Kenner des jeweils beschriebenen Landes, was vornehmlich heißt "Kenner der Literatur des Landes", und die Damen und Herren Philologen und Literaturwissenschaftler betreiben einen überkommenen Götzendienst am Kunstbegriff vergangener Tage. "Literatur, begriffen als Experimentierfeld sozialer Phantasie", lobt Hubert Orlowski, "bietet einige Chancen, kontingente Erkenntnisse so mancher hektischen Feldforschung in Sachen Deutschlandbild(er) der Falsifizierung zu unterziehen, und verhilft somit, Referenzen der langen Dauer aufzubauen." Danke, danke, danke! tönt der internationale Chor von öffentlicher Missachtung gedemütigter Schriftsteller und Kulturgötter, während die Sozialwissenschaftler davor zittern, ihre empirisch ermittelten Ergebnisse nun von Belletristen falsifiziert zu bekommen! Warum dann aber der unvermittelte Rückzug auf der Linie? "Abzuwägen allerdings," so Orlowski weiter, "ist selbstverständlich immer wieder der kontextualisierte Stellenwert der Aussage, der Grad referenzieller Gewichtigkeit."

    Will heißen: Was in englischen, spanischen, polnischen, italienischen Büchern über Deutschland Gutes oder Schlechtes steht, spiegelt zunächst einmal die Privatmeinung eines Literaten wider, und nur sehr schwer lässt sich daraus eine allgemeingültige Aussage ableiten. Weitaus schwerer jedenfalls als in der immerhin um Eichung ihrer Instrumente bemühten Sozialwissenschaft. Summa summarum beruhen die "Deutschlandbilder" auf Äußerungen fremder Literaten, gefiltert, interpretiert und zusammengefasst von deutschen Akademikern. Ganz schön oft gebrochen, dieser Lichtstrahl der Erkenntnis, und so verwundert es kaum, dass die Versprechungen auf dem Titelblatt ebenfalls uneingelöst bleiben. Von den angekündigten Kronzeugen der Fremdwahrnehmung – Presse, Film, Funk und Fernsehen – ist bis auf wenige Zeilen im Buch keine Rede. Vom Rundfunk nie, von Fernsehen und Presse nur spärlich, ein bisschen mehr vom Film. Wie gern hätte man den zweimal aphoristisch erwähnten Derrick-Effekt – dass diese hölzerne Krimiserie zu dem Exportschlager deutscher Kultur wurde – einmal tiefgründig analysiert bekommen, aber das erlaubt die philologische Arroganz gegenüber niederen Medienprodukten offensichtlich nicht.

    Und wie nehmen sich die zutage geförderten Deutschlandbilder aus? Mit wenigen Abweichungen – etwa Moshe Zuckermanns kluger Analyse der israelischen "Deutschland"-Kodierung – genauso überraschungslos, wie es die Konstruktion des Buches nahe legt. Das deutsche Grundparadox "Offizier und Philosoph" oder "Dichter und Denker" vs. "Richter und Henker" hat sich auch sechzig Jahre nach Kriegsende allenfalls in Nuancen verändert. Historische Stereotypen sind träge, man braucht sie wahrscheinlich nur alle paar Jahrhunderte zu überprüfen. Dem Autor dieser Rezension, treudeutsch bis in die Knochen, wird übrigens am Beispiel einer Literaturkritik vorgeworfen, er könne als typisches Beispiel deutscher Rechthaberei gelten. Chapeau! Mit teutonischem Furor hat er seinen Charakterschaden ums Mal bestätigt ... oder sollte das vorliegende Buch vielleicht doch eine Steißgeburt sein? Lesen Sie selbst.

    Klaus Stierstorfer
    Deutschlandbilder
    Rowohlt, 413 Seiten, 14,90 Euro