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Lieder voller Gefühl und Melancholie

Höchstgeschwindigkeit. Das war das Motto seines Lebens. Er schrieb mehr als 130 Chansontexte, gab jedes Jahr hunderte von Konzerten, reiste um die ganze Welt, stürzte von einer Affäre in die nächste, rauchte und trank: Der aus Belgien stammende Sänger und Schauspieler Jacques Brel. Bis heute verkörpert er den französische Chanson wie kein anderer und seine Popularität ist auch dreißig Jahre nach seinem Tod ungebrochen.

Von Thomas Frank | 09.10.2008
    Jacques Brel hätte es sich leicht machen können im Leben. Er hätte nur dem Wunsch seines Vaters folgen und die elterliche Kartonagefabrik übernehmen müssen. Doch der junge Jacques, 1929 in Brüssel geboren, träumte sich schon früh in eine andere Welt. Er schrieb Gedichte, Prosastücke, Lieder: voller Gefühl und Melancholie, aber auch mit sozialkritischen Tönen. Mit der Gitarre zog er durch die Kneipen seiner Heimatstadt und sang seine Lieder. Als er 24 war, verließ er seine Frau mit den beiden Töchtern und ging nach Paris. Sechs Jahre später hatte der Belgier Frankreichs Hauptstadt erobert: Mit einem Liebeslied gelang ihm 1959 im "Olympia" der Durchbruch.

    Brel dichtete und sang über alle Facetten des menschlichen Daseins: Liebe, Freundschaft, Tod, Fernweh, die Doppelmoral der Bourgeoisie, die katholische Kirche, seine flämische Heimat, die er liebte und hasste. Brel lebte seine Chansons mit jeder Faser seines Körpers. Er inszenierte sie als kleine Theaterstücke. Die Plattenaufnahmen waren für das Orchester jedes Mal ein Fest, die Musiker ließen sich durch ihn inspirieren. Bei der Einspielung seines Chansons "Vesoul" etwa steigerte sich Brel gemeinsam mit seinem Akkordeonisten Marcel Azzola geradezu in einen Rausch:

    Höchstgeschwindigkeit. Das war das Motto seines Lebens. Er schrieb mehr als 130 Texte, gab jedes Jahr hunderte von Konzerten, reiste um die ganze Welt, stürzte von einer Affäre in die nächste, rauchte und trank. Ein selbstzerstörerisches Unternehmen, das er ruhigen Gewissens betrieb:

    "Denn auch ins Auto zu steigen ist eine Gefahr für die Gesundheit, zu leben, sich zu lieben, zu rennen, Träume haben. Alles ist extrem schlecht für die Gesundheit, weil es die Menschen verschleißt."

    1967, auf dem Höhepunkt seines Ruhms, beendete er seine Karriere als Sänger abrupt. Die Gefahr, nicht mehr authentisch zu sein, war ihm zu groß geworden. Und er wollte noch andere Leidenschaften ausleben: als Schauspieler im Film und auf dem Theater auftreten, fliegen und segeln lernen. Anfang der 70er Jahre stach er mit einem eigenen Schiff in See, landete auf der Marquesas-Insel Hiva Oa und ließ sich dort nieder.

    Erst 1977 kehrte Brel nach Paris zurück. Völlig überraschend veröffentlichte er noch einmal eine Platte. Doch sein exzessiver Lebensstil hatte Spuren hinterlassen. Der Krebs zerfraß seinen Körper.

    "Eines Abends werde ich einschlafen und am nächsten Tag einfach nicht mehr aufwachen. Das erscheint mir ganz natürlich, zumal ich glaube, dass es nichts danach gibt. Diese Vorstellung vom Tod stört mich nicht."

    Am 9. Oktober 1978 starb Jacques Brel im Alter von 49 Jahren in einer Klinik in Bobigny bei Paris. Auf der Insel Hiva Oa fand der große Interpret des französischsprachigen Chansons seine letzte Ruhestätte.