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Lieferketten nachverfolgen
Die Spur der Sporen

Bei einer Lebensmittelvergiftung müssen Inspektoren die Lieferketten zurückverfolgen, um möglichst schnell die Quelle zu finden. Künstliche DNA, in widerstandsfähige Bakteriensporen verpackt und am Ort der Produktion auf Gemüse oder Fleisch aufgesprüht, könnte dabei helfen. Doch wollen wir das?

Von Piotr Heller | 05.06.2020
Frisches Gemüse: Möhren, Kohlrabi, Blumenkohl
Sprossen im Salat waren die Ursache der EHEC-Infektionen, die 2011 in Norddeutschland 53 Totesopfer gefordert hat. Es hat damals Wochen gedauert, bis die Quelle gefunden war. (picture alliance/dpa/Julian Stratenschulte)
Von Mai bis Juli 2011 litten in Deutschland fast 4000 Menschen an blutigen Durchfällen, 53 davon verstarben. Auslöser waren Lebensmittelinfektionen mit EHEC-Bakterien, die mit Bockshornkleesamen aus Ägypten importiert wurden. Weil solche Fälle weltweit immer wieder auftreten, arbeitet Michael Springer von der Harvard University an einem Verfahren, um die Lieferketten von Lebensmitteln rund um den Globus zu überwachen.
"In den USA hat man jedes Jahr eine 50-50-Chance, an einer Lebensmittelvergiftung zu erkranken. Tausende Menschen sterben daran. Mit unserem Ansatz wollen wir die Quellen der Vergiftungen schnell finden. Wenn also irgendwo Menschen erkranken, wollen wir feststellen: In welcher Fabrik wurde das Essen verarbeitet? Von welchem Bauernhof stammt es?"
Zurück zur Quelle
Die Antwort in Lieferverträgen und Frachtdokumenten zu finden, wie damals im Fall von EHEC, kann dauern. Schneller ginge es, wenn man die Nahrung bei der Produktion markieren würde – zum Beispiel indem man künstlich hergestellte DNA drauf sprüht. Diese DNA wäre eine Art Signatur, ein Etikett, das die Herkunft eines Salates oder eines Apfels dokumentiert. Die Vision existiert schon länger. Bislang scheiterte sie daran, dass synthetische DNA nicht besonders stabil ist. Es sei denn, man verpackt sie richtig.
"Die Antwort der Natur auf harsche Bedingungen sind Sporen. Selbst tausend Jahre alte Bakterien-Sporen können noch intakt sein. Wir nutzen also diese Methode, um unsere DNA-Signatur vor Wasser, UV-Licht, Strahlung und so weiter zu schützen."
Erklärt Jason Qian, der gerade seine Doktorarbeit in Harvard schreibt. Konkret macht er dabei Folgendes: Er nimmt ein Bakterium und baut eine kleine Signatur in dessen Erbgut ein.
Stabile DNA durch die richtige Verpackung
"Dann züchten wir diese Bakterien und lassen sie Sporen bilden. Die sprühen wir auf etwas auf, das wir markieren wollen, zum Beispiel auf eine Pflanze. Später reicht ein Abstrich, um diese DNA-Signatur wieder auf der Pflanze zu finden."
Das funktioniert, weil die Sporen gut auf den Pflanzen haften.
"Ich war wirklich schockiert wie gut. Wir haben sie im November auf ein Feld gesprüht und konnten sie im Frühling immer noch nachweisen."
Es machte den Sporen auch nichts aus, wenn sie gekocht, frittiert oder im Mikrowellenofen erhitzt wurden. Die Forscher haben gezeigt: Ihre Idee funktioniert. Im Prinzip könnte man so beispielsweise den Acker identifizieren, auf dem die Tomaten einer Tiefkühlpizza gewachsen sind. Das Problem dabei: Man müsste dazu gentechnisch veränderte Organismen auf diesen Acker sprühen. Und das ist heikel.
Angst vor dem Eigenleben der Gentech-Sporen
"Da kann schon einiges passieren. Zum Beispiel könnten sich die Sporen ausbreiten und ihre Umwelt verändern. Oder die DNA, die wir da einbauen, könnte auf andere Lebewesen übergehen und sie zum Beispiel antibiotikaresistent machen."
Wie die Kreation des Zauberlehrlings könnten auch die genetisch veränderten Sporen ein Eigenleben entwickeln, das ihre Schöpfer nicht mehr kontrollieren können. Dieser Verantwortung sind sich die Forscher durchaus bewusst.
"Normalerweise keimen Sporen, wenn sie Nährstoffe bekommen. Wir haben dafür gesorgt, dass unseren Sporen die dafür nötigen Mechanismen fehlen. Außerdem kommen sie von einem Bakterien-Stamm, der nur unter ganz bestimmten Bedingungen Sporen bildet. In freier Wildbahn können sich unsere Sporen also nicht vermehren."
Eine neue Überwachungstechnik
Bei der DNA-Signatur haben die Wissenschaftler also darauf geachtet, den Bakterien keine unerwünschten Fähigkeiten zu verleihen. Ob das Konzept wirklich praxistauglich ist, scheint aber fraglich. Auch, weil die Technik missbraucht werden könnte. Denn in einem weiteren Experiment haben die Forscher ihre Sporen auf dem Boden verteilt und Menschen darüber laufen lassen. Danach konnten sie die DNA-Spuren auf deren Schuhsolen nachweisen. Würde man etwa den Tresor eine Bank mit den Sporen benetzen, könnte man Bankräubern nachweisen, dass sie am Tatort waren. Eine interessante Anwendung, aber die facto haben die Forscher damit eine neue Überwachungstechnik geschaffen. Ein autoritärer Staat könnte sie nutzen, um Kritiker zu verfolgen. Wie steht Michael Springer dazu?
"Wir sehen das nicht so sehr als Problem, denn es gibt viel effizientere Methoden, um Menschen zu verfolgen: Handyüberwachung oder Kameras zum Beispiel."
Die Forscher aus Harvard sehen deshalb die Balance gewahrt. Der Missbrauch ihrer Technologie als Überwachungsinstrument ist zwar möglich, aber unwahrscheinlich. Aus ihrer Sicht überwiegt der positive Nutzen, nämlich die Transparenz, zu der die Technik der Lebensmittelindustrie verhelfen könnte.