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Liegezeit von Leichen
Mikroben als Zeitmesser

Biologen in den USA haben eine neue Methode gefunden, die Liegezeit von Leichen zu bestimmen - selbst wenn die mehrere Wochen im Freien gelegen haben. Sie machen sich die Mikroben im Körper zunutze: Denn auch wenn der Organismus stirbt - die Mikroorganismen arbeiten.

Von Michael Stang | 11.12.2015
    Ein Wattestäbchen zum Einsatz in der Forensik
    Die Wissenschaftler haben Mikroben von den Leichen genommen und sich genau angeschaut. (imago/stock&people/Jochen Tack)
    Der menschliche Körper beherbergt Milliarden von Mikroorganismen, vor allem im Darm. Deren Zusammensetzung untersuchen Mediziner mit Standardmethoden, um auf bestimmte Krankheiten zu testen. Jessica Metcalf von der Universität von Colorado in Boulder zufolge lassen sich diese Methoden aber noch für ganz andere Analyse nutzen.
    "Wir wollten mithilfe dieser Methoden nachweisen, ob bei der Zersetzung eines Körpers die Zusammensetzung der Mikroben immer nach demselben Schema abläuft. Ist dies der Fall, könnten uns die Mikroorganismen helfen, um die Liegezeit einer Leiche zu bestimmen. Und das wäre nützlich für Rechtsmediziner, die dann sagen können, dass eine Leiche vermutlich schon seit zwölf bis 14 Tagen dort liegt."
    Soweit zur Theorie. Problematisch bei der Liegezeitbestimmung von Leichen sind die zahlreichen äußeren Faktoren, wie etwa Temperatur und Feuchtigkeit, die bestimmen wie und mit welcher Geschwindigkeit ein Körper zersetzt wird. Ob wirklich alles immer nach einem Schema abläuft, wollte die Forscherin mit Freilandexperimenten herausfinden.
    "Erhalten wir immer dieselbe Zusammensetzung von Mikroben, wenn die Körper an unterschiedlichen Stellen liegen? Das haben wir zuerst mit Mäusen untersucht, und zwar an Wüstenboden, Präriegrass und hochalpinem Wald, wo es verschiedene Mikroben im Boden gibt. Und das wollten wir dann natürlich auch als Freilandexperiment mit menschlichen Körpern durchführen."
    Viele Mikroorganismen kommen erst von außen
    Die mikrobiologischen Analysen zeigten, dass die Zusammensetzung der Mikroben in Mäusen und Böden tatsächlich vorhersagbar ist. Jessica Metcalf und ihre Kollegen konnten die Todeszeit auch nach vier Wochen noch auf zwei Tage exakt bestimmen, und zwar unabhängig von der Jahreszeit. Das war vorher nicht möglich. Dann folgte das nächste Experiment an menschlichen Körpern.
    "Bei dieser Studie hatten wie vier Leichname, zwei hatten wir im Winter im Freiland untersucht, zwei im Frühjahr. Das Ganze haben wir in einer anthropologischen Forschungsstation in Huntsville in Texas gemacht, die oft als Body Farm bezeichnet wird. Wir haben die Körper 70 Tage lang der natürlichen Zersetzung preisgegeben."
    Dabei entnahmen sie regelmäßig Proben aus dem Inneren der Körper, zudem von der Haut und der direkt darunterliegenden Bodenschicht. Bei der Analyse sahen die Forscher, dass ein Großteil der Mikroorganismen aus dem Boden stammt, einige Mikroben wurden von Insekten eingebracht. Viele Mikroorganismen kommen also erst von außen und treiben die Zersetzung voran.
    "Wir haben nicht nur die Bakterien untersucht, sondern auch Pilze und mikroskopisch kleine Würmer. Diese Fadenwürmer gibt es nach einigen Tagen der Verwesung überall, es ist geradezu eine Explosion, weil eben plötzlich durch die Bakterien unglaublich viele Nährstoffe zur Verfügung stehen."
    Liegezeit lässt sich auf zwei Tage eingrenzen
    Die Ergebnisse waren eindeutig. Die Mikrobengemeinschaften verändern sich während der Verwesung immer nach einem festen Schema, und zwar unabhängig von Jahreszeit. Der jeweilige Bodentyp kann auch in der Leiche nachgewiesen werden. Damit können die Forscher auch zeigen, wenn ein Leichnam zuerst einige Tage in der Wüste lag und später in den Wald gebracht wurde. Die jeweilige Mikrobengemeinschaft, also die Zusammensetzung der Pilze, Einzeller, Bakterien und Würmer an sich und die Menge der Mikroorganismen geben exakt Auskunft über Liegeort und Liegezeit.
    "Bei allen Experimenten konnten wir immer an bestimmten Tagen der Verwesung stets dieselbe Mikroben-Zusammensetzung nachweisen."
    Jessica Metcalf und ihre Kollegen haben aus diesen Daten ein Schema entwickelt, mit dem sich die Liegezeit einer Leiche auf zwei Tage eingrenzen lässt. Daher könnte, so die Hoffnung der Forscher, diese Methode demnächst die Todeszeitbestimmung eines Leichnams für die Rechtsmedizin vereinfachen. Als nächstes werden sie die Methode verfeinern. Jedes Jahr sollen an drei Instituten ganzjährig Leichname im Freiland auf ihre Mikrobengemeinschaften untersucht werden.