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Lilian Loke: "Auster und Klinge"
Ein Aktionskünstler will Rebell werden

Nur Kunst kann die Menschheit jetzt noch retten: Mit einem milliardenschweren Erbe im Rücken will der Aktionskünstler Georg zum Rebellen werden. Und eigentlich hätte der zweite Roman von Lilian Loke damit das Zeug zur Kunst-Satire, wird dann aber eher zur Gangsterkomödie.

Von Miriam Zeh | 02.10.2018
    Buchcover: Lilian Loke: "Auster und Klinge" und Blick auf Frankfurt mit Skyline
    Ausgerechnet in Frankfurt am Main, dem deutschen Bankenzentrum, will Lokes Held als anti-kapitalistischer Künstler wirken (Buchcover: C.H. Beck Verlag, Foto: imago)
    Auf der Documenta in Kassel oder der Biennale von Venedig sah man sie im vergangenen Jahr aus unzähligen Ecken sprießen – die politische Kunst. Dabei scheint es gerade der gegenwärtige Verdruss über etablierte Institutionen und Politik zu sein, der den Ruf nach künstlerischem Aktivismus wieder laut werden lässt. Georg Bercking, eine der Hauptfiguren in Lilian Lokes Roman "Auster und Klinge", folgt dieser Forderung nach künstlerischem Engagement. Er entscheidet sich gegen die große internationale Karriere als Maler, wie sie ihm seine Frankfurter Galeristin in naher Zukunft voraussagt. Georg will keine Hände mehr schütteln, er hat genug Champagner geschlürft auf Ausstellungseröffnungen. Und vor allem frustriert ihn, dass es seiner Meinung nach immer die mittelmäßigen und harmlosen unter seinen Bildern sind, die sich am Ende verkaufen.
    "'Kunst ist nicht da, um den Alltag zu dekorieren, Kunst muss ein Messer sein, das du reichst, mit der Klinge voran, die Leute greifen zu, weil es so magisch funkelt, obwohl es ihnen tief ins Fleisch schneidet. Diejenigen, die nicht loslassen und dich verfluchten, haben etwas verstanden.'"
    Worte sind zu wenig
    Also wird Georg Aktionskünstler. Seine Kunst soll fortan der – seiner Ansicht nach – moralisch degenerierten Masse die Augen öffnen. Ohne Auftraggeber, ohne Honorar und ohne Entgelt stellt sich Georg in die aufklärerische Pflicht einer höheren Wahrheit, die er erkannt haben will. Seiner Selbstjustiz kommt dabei entgegen, dass Georg überhaupt nicht auf Geld angewiesen ist. Er hat bereits mehr als genug davon. Georg ist Anteilseigner eines milliardenschweren Schlachtkonzerns. Dieser Besitz lastet jedoch eher als Bürde auf seinem Gewissen. Denn von Georgs Idealen ist der Familienbetrieb weit entfernt.

    Vergeblich hat Georg bereits versucht, Missstände im Unternehmen intern zu kritisieren. Doch von seinen profitorientierten Geschwistern bekommt er dann bloß zu hören, dass unterbezahlte Arbeiter, unterschlagene Sozialabgaben, Falschetikettierung und Steuerhinterziehung nun mal "Branchenstandard" sind. Georgs Einwände haben wenig Gewicht. Seine Geschwister führen den Familienbetrieb de facto allein. Und ein Jahresumsatz von knapp vier Milliarden Euro scheint ihrem Führungsstil Recht zu geben. Die Nachfrage nach billigem Fleisch ist enorm. Der Konsument interessiert sich nicht für die Produktionsbedingungen, unter denen es hergestellt wird.
    Konsumkritik läutert die Mittel
    Hier greift Georgs Aktionskunst ein. Denn wer konsumiert, macht sich mitschuldig, lautet seine Devise. Als Servicemitarbeiter im Callcenter referiert er den Anrufern bereits ungefragt die Produktionsbedingungen ihrer Mobiltelefone.

    "'Innereien wie die Ihres Telefons werden sechs Tage die Woche in Zwölf- bis Fünfzehn-Stunden-Schichten zusammengeschraubt, bei einem Monatslohn von vierzig bis zweihundertfünfzig Euro, aber das können Sie sich ja denken beim Preis für Ihr Gerät. Außerdem möchte der Hersteller, dass Sie bald ein neues kaufen, spätestens nach Garantieablauf.'"

    Bald wird Georg aufgrund dieser widerständigen Perfomance im Callcenter gekündigt. Doch die neu gewonnene Freiheit stachelt Georg nur zu noch größer angelegten und vor allem kriminelleren Aufklärungsaktionen an.

    Dabei kommt Victor ins Spiel. Die beiden Männer lernen sich zufällig kennen und bemerken bald, dass der jeweils andere ihnen für die eigenen Ziele von großem Nutzen sein kann. Victor kann richtig gut einbrechen. Deshalb hat er gerade 13 Monate im Gefängnis gesessen. Jetzt will der gelernte Hotelfachmann ein neues Leben beginnen und ein eigenes Restaurant eröffnen. Dafür braucht er Geld. Georg hat Geld. Was er braucht, ist Victors kriminelles Know How, um seinen selbstgerechten Kunstaktionen eine gewalttätigeren Nachdruck zu verleihen.
    Selbstjustiz bleibt selbstgerecht
    So streben Georg und Victor zwar in entgegensetzte Richtungen. Georg will Machtverhältnisse umkehren, Victor will Besitz und bürgerliche Anerkennung erlangen. Im Laufe des Romans wird jedoch entlarvt, dass beide Männer aus denselben egoistischen Motiven handeln.
    "Es geht Georg nicht um banale Gebote, das hat noch nie funktioniert, er macht Unsichtbares sichtbar, weil ihn interessiert, was es auslöst zwischen Teller und Bett. Was er tut, ist eigennützig, Kunst ist ein selbstsüchtiger, gieriger Eindringling. Warum macht einer Kunst, warum konsumiert einer Kunst, weshalb dulden, wollen Leute diese nach allen Regeln ichsüchtige Spielerei?"
    Nur ein leichtes Zwicken des Gewissens
    Lilian Loke entwirft in schnellen Schnitten eine facettenreiche Spannungskurve. Die Perspektive wechselt nicht nur zwischen den Protagonisten Georg und Victor. Loke setzt auch erzählerische Schlaglichter auf einige pointiert ausgewählte Adressaten von Georgs Kunstaktionen.

    Über Splatter- und Slapstick-Elemente wird der Roman allerdings immer mehr zur ironischen Gangsterkomödie, der komplexe Diskursen abhanden kommen. Eine Kritik der Verbindung von Kunst und Kommerz ist im Roman zwar angelegt, ebenso wie eine Problematisierung des selbstgerechten und medial so oft hofierten politischen Aktionskünstlers. Doch Lokes eher oberflächliche Beobachtungen bleiben weit entfernt von einer entlarvend-satirischen Sprengkraft, wie sie im vergangenen Jahr etwa Ruben Östlunds Kunstbetriebs-Film "The Square" entwickelte.

    Dabei wäre kaum ein Handlungsort geeigneter dafür gewesen als derjenige, den Loke ohnehin gewählt hat. Ihr Roman spielt in Frankfurt am Main. Abgründe des Kunstmarkts und der Finanzwelt wären hier beide in geradezu bodenloser Dimension zu finden. Doch die saturierte Stadt dient Loke allenfalls als blasses Kolorit.

    Auch hinter den textimmanente Forderungen nach aufrüttelnder Kunst bleibt ihr eigener Roman zurück. Die moralische Indifferenz der westlichen Konsumgesellschaft wird auf so generalisiertem und banalem Niveau vorgeführt, dass es allenfalls mal sachte ins Gewissen zwickt. So bleibt "Auster und Klinge" von Lilian Loke ein technisch tadelloser Unterhaltungsroman, der den Leser weit weniger verstört zurücklässt, als er es selbst von wirklich großer Kunst fordert.
    Lilian Loke: "Auster und Klinge"
    C. H. Beck Verlag, München. 313 Seiten, 19,95 Euro.