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Lindner: FDP befindet sich in einer "schwierigen Vertrauenskrise"

Die Kernkompetenzen der Liberalen kommen derzeit nicht zum Tragen, bemängelt FDP-Generalsekretär Christian Lindner. Eine Personaldiskussion wolle man aber auch nach dem schlechten Abschneiden bei der Berliner Wahl nicht führen.

Christian Lindner im Gespräch mit Silvia Engels | 19.09.2011
    Silvia Engels: Sieben Landtagswahlen gab es in diesem Jahr. Hamburg und Baden-Württemberg, die liefen noch einigermaßen glatt für die FDP. Aber Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und gestern Berlin endeten für die FDP jeweils mit dem Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde. Nach jeder dieser Landtagswahlen hat FDP-Generalsekretär Christian Lindner das kommentieren müssen. Das klang kurz und knapp so:

    "Wir werden bis zu unserem Bundesparteitag über die personelle und über die politische Ausrichtung der FDP nachdenken, und wir werden uns in einigen Teilen neu aufstellen müssen." – "Unser neuer Bundesvorsitzender, Philipp Rösler, hat in der vergangenen Woche angekündigt, dass die FDP an den großen Themen des Landes arbeiten möchte. Wir wollen zeigen, dass es einen positiven Unterschied macht." – "Meine Damen, meine Herren, Mecklenburg-Vorpommern ist für die FDP eine Niederlage. Die Gewinner sind heute Abend woanders. Herzlichen Glückwunsch." – "Ich empfehle uns, das Ergebnis in Demut aufzunehmen und jetzt eine Phase der Nachdenklichkeit, des Zuhörens, vor allen Dingen aber auch der Sammlung uns selbst zu verschreiben."

    Engels: Christian Lindner, FDP-Generalsekretär, jeweils nach verlorenen Landtagswahlen in diesem Jahr, zuletzt nun nach 1,8 Prozent gestern in Berlin. – Nun ist er live am Telefon. Guten Morgen, Herr Lindner!

    Christian Lindner: Hallo! Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Fallen Ihnen überhaupt noch neue Formulierungen zur Beschreibung eines weiteren Tiefs ein?

    Lindner: Nun, die Lage verändert sich immer mal wieder und deshalb muss man sie auch immer neu analysieren. Richtig ist, dass die FDP in einer ausgesprochen schwierigen Vertrauenskrise ist, und die Wahlen, die Sie ja gerade auch durch diese kleine Collage noch mal in Erinnerung gerufen haben, die liegen alle in dieser Phase und die Phase ist noch nicht überwunden, ganz im Gegenteil, wie wir am gestrigen Abend gesehen haben.

    Engels: Wie viele Stimmen gibt es denn mittlerweile in der FDP, die danach rufen, sich in der Opposition zu erneuern, denn die Liberalen können ja offenbar als Regierungspartei im Bund nur verlieren?

    Lindner: Da ist mir keine bekannt, erst recht keine ernst zu nehmende. Wir kennen unsere Verantwortung als Regierungspartei und, Frau Engels, die Alternative wäre doch, dass wir in Deutschland dauerhaft linke Mehrheiten bekommen, wenn Schwarz-Gelb scheitert, und wir werden doch nicht denjenigen jetzt die Verantwortung für unser Land übergeben, die insbesondere die europäische Schuldenkrise hier mit verursacht haben, ich denke an Rot-Grün und die Entscheidungen zur Aufhebung des Stabilitätspakts, zur Aufnahme Griechenlands in die Euro-Zone und jetzt aktuell wollen die auch nichts anderes als Erleichterung von Schulden durch sogenannte Eurobonds. Also denen werden wir das Land nicht überlassen, wir sind da in einer Verantwortung und wir wollen die Koalition mit CDU/CSU zum Erfolg führen.

    Engels: Auf das Thema Euro-Krise kommen wir gleich noch. Aber schauen wir zunächst auf die Stimmung bei Ihnen. Wäre die denn vielleicht etwas aufzubessern, wenn die FDP noch einmal einen Personalwechsel vornimmt, diesmal im Amt des Außenministers?

    Lindner: Nein! Wir wollen keinerlei Personaldiskussion mehr führen und auch von außen nicht reintragen. Aus meiner Sicht gibt es drei Punkte, die für unsere schwierige Lage gegenwärtig bearbeitet werden müssen. Der erste Punkt ist der Eindruck mangelhafter Geschlossenheit in der FDP. Das haben alle Umfragen am gestrigen Abend auch noch mal gezeigt. Die FDP gilt als nicht geschlossen, und dazu tragen solche Personaldebatten bei, diesen Eindruck zu erwecken, und insbesondere dann, wenn sie von außen in die Partei hineingetragen werden, müssen wir das ganz entschieden zurückweisen.
    Der zweite Punkt ist, dass unsere Kernkompetenzen gegenwärtig nicht so zum tragen kommen. Wir müssen also die marktwirtschaftliche Handschrift der FDP herausarbeiten, und zwar durch ganz solide Regierungsarbeit, indem wir uns Themen widmen und im Regierungshandeln dann auch zu einer Lösung führen. Ich nenne mal neben der Euro-Krise, über die wir noch sprechen wollen, das Thema Fachkräftemangel, auch Realisierung der Energiewende. Da ist ja noch sehr viel zu tun.
    Und das Dritte ist, dass es symbolhafte Fehlentscheidungen oder zumindest problematische Entscheidungen im Regierungshandeln der letzten zwei Jahre gegeben hat, die wie Blei an uns hängen, die zwar für Deutschland insgesamt eine geringe Auswirkung hatten, die aber für den Parteienwettbewerb unseren Gegnern Flanken öffnen, die wir schließen müssen. Und wenn wir an den drei Punkten arbeiten, kann die FDP auch wieder Vertrauen gewinnen.

    Engels: Kernkompetenz mahnen Sie an. Dazu gehörte allerdings auch immer früher die Außenpolitik, und die FDP brauchte bei früheren Wahlen immer den Amtsbonus des Ministers im Auswärtigen Amt, um bei Wahlen erfolgreich zu sein. Den hat sie nun mit Guido Westerwelle nicht?

    Lindner: Ja nehmen Sie doch aber bitte auf, dass ich sage, wir führen da keine Personaldebatte, und auch Sie, Frau Engels, sollten sehen, dass eine Mehrheit der Deutschen hinter dem Bundesaußenminister steht. Alle Umfragen sagen, er soll im Amt bleiben, und er hat ja auch in der Sache Erfolge vorzuweisen. Auch seine Entscheidung, die Entscheidung der Bundesregierung, die auf eine deutsche Militärbeteiligung in Libyen verzichtet hat, wird von den Deutschen mehrheitlich geteilt, um nur dieses eine Beispiel zu nennen. Also das sollte man zur Kenntnis nehmen und diese Debatte einstellen. Wir werden mit Guido Westerwelle weiter und gut zusammenarbeiten.

    Engels: Dann schauen wir, wie es Ihnen geht, ob Sie diesen Wunsch auch befolgt bekommen. – Dann schauen wir auf die Euro-Krise. Der FDP-Spitzenkandidat für Berlin, Christoph Meyer, hat ja in den letzten Tagen klar gesagt, "die FDP mache die Berlin-Wahl zu einer Euro-Wahl, gegen den Ausverkauf deutscher Interessen in der Euro-Krise". Für die FDP in Berlin hat das nichts gebracht, eher eine Verschlechterung. Beendet nun auch die Bundes-FDP diese Richtung, die ja Parteichef Rösler mit angestoßen hatte?

    Lindner: Das ist nicht unsere Richtung. Das was Herr Meyer dort gesagt hat, ist nicht die Haltung der Bundes-FDP. Wir wollen Europa, wir wollen auch mehr Europa, aber eine Stabilitätsunion, und aus großer Verantwortung für unser Land und für die Entwicklung auf dem Kontinent hat der Bundeswirtschaftsminister jene Position bezogen. Das war keine Positionsbestimmung für eine Wahl oder im Vorfeld einer Wahl, sondern das hat einen anderen Charakter und deshalb gibt es da auch keine Korrektur, denn es wäre falsch zu korrigieren und auch wenn man bei Wahlen nicht erfolgreich ist. Es gibt noch ein paar Dinge, die wichtiger sind als so eine Landtagswahl, und was könnte wichtiger sein als Europa. Das ist unsere Selbstbehauptung in der Globalisierung. Nur es muss das richtige Europa sein, und daran zu arbeiten, das ist eines unserer Projekte. Philipp Rösler hat dazu Vorschläge gemacht.

    Engels: Das richtige Europa, das ist auch Thema für einige Kritiker in der FDP. Die streben nun einen Mitgliederentscheid an, um der Zustimmung zu Euro-Rettungspaketen zu begegnen. Der wird wohl kommen. Was passiert denn, wenn dieser Mitgliederentscheid eine Mehrheit findet?

    Lindner: Das sehe ich so nicht. Ich teile Ihre Einschätzung, dass der Mitgliederentscheid kommen wird. Der Mitgliederentscheid ist für uns aber eine Chance, unsere Position klarzustellen, denn die FDP hat bisher in der Bundesregierung in großer Verantwortung den Rettungsschirmen zugestimmt und ich kann der FDP auch nur empfehlen, dem europäischen Stabilitätsmechanismus, also, wenn man so will, dem dauerhaften Rettungsschirm ab 2013 zuzustimmen. Da sind viele Erfolge gerade auch liberaler Stabilisierungspolitik enthalten. Ich nenne mal als Beispiel die Parlamentsbeteiligung. Die Bundesregierung kann nicht einfach so entscheiden über Rettungsmaßnahmen, die braucht den Bundestag. Es war unser Anliegen, dass zukünftig auch private Gläubiger beteiligt werden an der Beseitigung von Staatsschuldenkrisen. Also hier sind eine Reihe von liberalen Akzenten drin, dem kann man zustimmen. Philipp Röslers Vorschläge laufen darauf hinaus, den europäischen Stabilitätsmechanismus auch noch um ein Staateninsolvenzrecht zu ergänzen. Das ist erforderlich und auch vom Deutschen Bundestag gewollt, da gibt es entsprechende Entschließungsanträge von CDU/CSU und FDP, das wird auch von Ökonomen begrüßt. Also das ist unsere Richtung.
    Es gibt bei uns einen Mitgliederentscheid, dessen Initiatoren das nicht wollen, die aber keine tragfähige Alternative vorlegen. Beispielsweise am vergangenen Samstag hat ein Landeshauptausschuss – das ist der kleine Landesparteitag – sich mit der Frage befasst und von, ich glaube, etwa 100 Delegierten haben sich sieben lediglich für den Kurs der Initiatoren des Mitgliederentscheides ausgesprochen. Ich gehe davon aus also, dass es eine klare Mehrheit für die bisherige Linie der FDP gibt.

    Engels: Wie sehen Sie denn die Möglichkeit, dass die Kanzlermehrheit von FDP und Union bei den anstehenden Abstimmungen für die Erweiterung der Euro-Rettungspakete nicht steht?

    Lindner: Das kann man jetzt noch nicht sehen. Ich glaube aber, dass diese Frage auch symbolisch überhöht ist. Wir brauchen nämlich für dieses Gesetz nur eine einfache Mehrheit des Deutschen Bundestages, nicht die Kanzlermehrheit. An uns jedenfalls wird es nicht scheitern. Wir haben eine sehr geringe Zahl nur von Skeptikern gehabt in der FDP-Bundestagsfraktion. Bei unseren Kollegen von der Union ist das zurzeit noch ein etwas höherer Anteil. Und die Entscheidung, hier den Parlamentsvorbehalt – ich habe eben darüber gesprochen – auch einzuführen, hat bei uns einige zusätzlich überzeugt und das Vertrauen gestärkt. Also ich glaube, dass die Mehrheit gesichert ist.

    Engels: Aber andere Bundeskanzler, beispielsweise Gerhard Schröder, haben mit wichtigen inhaltlichen Fragen sogar die Vertrauensfrage verknüpft. Und für Sie ist die Kanzlermehrheit nicht wichtig?

    Lindner: Ich bin mir nicht sicher, ob das alles vergleichbar ist. Gerhard Schröder hat bei verschiedenen Gesetzen um die einfache Mehrheit schon bangen müssen. Die einfache Mehrheit ist hier aber gesichert.

    Engels: Generalsekretär Christian Lindner (FDP). Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.

    Lindner: Danke, Frau Engels.

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    Sammelportal Landtagswahlen 2011