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Lindner: Hartz-IV-Reform ist ein "ordentliches Paket"

Friede und Freude bei Christian Lindner ob der Hartz-IV-Einigung, auch wenn die Grünen die Verfassungsmäßigkeit infrage stellen: Die Politik habe Handlungsfähigkeit bewiesen.

21.02.2011
    Dirk Müller: Die SPD steht in Hamburg vor der absoluten Mehrheit, die CDU muss sich mit einer historischen Wahlkatastrophe beschäftigen und Guido Westerwelle wird FDP-Chef bleiben dürfen. Dann einige Stunden später in Berlin: die schwarz-gelbe Koalition und die SPD einigen sich dann doch auf eine Hartz IV-Reform und die Grünen kneifen.
    Die Wahlen in Hamburg und dann heute Nacht vor knapp vier Stunden die Einigung bei Hartz IV. Darüber sprechen wollen wir nun mit FDP-Generalsekretär Christian Lindner. Guten Morgen!

    Christian Lindner: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Lindner, wie haben die Liberalen denn heute Morgen in Berlin noch die Kurve bekommen?

    Lindner: Also wir haben – darauf spielen Sie ja an – ein vernünftiges Paket jetzt mit der Opposition verabredet. Wir haben mit Sorge dafür getragen, dass der Hartz IV-Regelsatz nicht willkürlich erhöht wird. Eine Anpassung aufgrund der Preisentwicklung zu einem späteren Zeitpunkt war ja immer geplant. Wir haben das Bildungspaket gemeinsam größer gemacht, benachteiligte Kinder erhalten jetzt eine Förderung, eine stärkere Förderung als durch das rot-grüne Gesetz. Und zuletzt bei der Zeitarbeit ist es gelungen, das Instrument zu erhalten, aber Missbrauch auszuschließen. Zu einem früheren Zeitpunkt war ja bereits über eine Lohnuntergrenze dort gesprochen worden, das war schon mal zu einem früheren Zeitpunkt Teil des Pakets. Also ein ordentliches Paket, das wir geschnürt haben. Bedauerlich, dass die Grünen sich aus der Verantwortung gestohlen haben, aber Union, SPD und FDP haben dieses Paket jetzt auf den Weg gebracht.

    Müller: Die Grünen, Herr Lindner, haben ja ein Argument vorgebracht: dass alles ist nicht verfassungskonform. Stimmt das nicht?

    Lindner: Ich kann nicht sehen, dass dieses Argument tatsächlich einschlägig ist, es ist nicht hinreichend begründet worden. Die Grünen haben jetzt nur versucht, gesichtswahrend sich dort rauszumogeln. Sie haben ursprünglich 420 Euro Hartz-IV-Regelsatz ja gewollt, das haben sie auch beschlossen, das war von keiner Statistik gedeckt, und haben jetzt bis zum Schluss sich in der Frage verrannt, wie jetzt dieser Regelsatz berechnet wird. Das hat keiner der Anwesenden geteilt. Die Grünen haben hier keine Kompromissfähigkeit gezeigt. So, wie sie sich in Hamburg aus der Koalition dann geschlichen haben, aus machttaktischen Gründen, haben sie sich jetzt auch einen schlanken Fuß machen wollen. So sind sie, die Grünen.

    Müller: Reden wir über die Regelsätze, Herr Lindner. Acht Euro mehr ab 2012, so haben wir das jetzt nachgelesen, so haben wir das in dem Bericht auch verstanden. Das heißt, die FDP hat da deutlich nachgegeben?

    Lindner: Nein, wir haben nicht nachgegeben, sondern wir haben ein gemeinsames Ergebnis erzielt. Sie versuchen jetzt – und das ist ja auch Ihr gutes Recht -, bei Einzelnen jetzt zu messen, wer hat gewonnen, wer hat verloren, aber das wird Ihnen hier nicht ohne Weiteres gelingen, denn unsere Anforderung war ja, es darf keine willkürliche Erhöhung geben, sie muss durch Statistik gedeckt sein.

    Müller: Aber das wussten Sie vor zwei Wochen noch nicht?

    Lindner: Ja, Moment, wenn ich das kurz erläutern darf! – Und wir haben für dieses Jahr festgestellt mit der Berechnungsgrundlage, das war der Regelsatz von Ursula von der Leyen, 364 Euro ergibt sich aus der Statistik. Zu einem späteren Zeitpunkt wird der Regelsatz angepasst, das war ja auch eine Neuerung unseres Vorschlags als Koalition. Zum 1. 1. 2012 wird man jetzt den Regelsatz anpassen. Das war immer von Anfang an von der Koalition beabsichtigt. Wir haben jetzt vorgenommen, dass dort die drei Euro, die sich schon aus der Preisentwicklung 2010 ergeben, mit hereinkommen, aber das war zu jedem Zeitpunkt auch sicher geplant. Und zum Zweiten: Wir erhöhen jetzt auf der Grundlage die fünf Euro, die wir als Berechnungsgrundlage hatten. Also insofern ein ordentliches Ergebnis.

    Müller: Wenn Sie sagen, Herr Lindner, das war immer schon geplant, die Erhöhung ab 2012, dann haben die Sozialdemokraten das vor einiger Zeit noch nicht verstanden?

    Lindner: Das will ich jetzt gar nicht im Nachhinein der SPD vorwerfen oder jetzt auch nachtragen und eine Rückschaubetrachtung machen. Aber das kann man ja nachlesen, das ist ja im ursprünglichen Gesetzesvorschlag von Frau von der Leyen auch drin, keine Zahl, natürlich, sondern nur der Hinweis darauf, es wird regelmäßig angepasst. Für dieses Jahr haben wir jetzt die 364 Euro, den Regelsatz halten wir für richtig, das haben wir immer gesagt, Willkürfreiheit des Verfahrens ist sichergestellt. Jetzt wollen wir uns mal darüber freuen, dass die Politik insgesamt Handlungsfähigkeit bewiesen hat, und jetzt können wir endlich auch daran gehen, das Bildungspaket umzusetzen und dafür zu sorgen, dass Menschen nicht dauerhaft im Hartz-IV-Bezug bleiben, sondern endlich den Einstieg wieder in den Arbeitsmarkt finden. Das sind doch jetzt die wesentlichen Projekte.

    Müller: Ich habe zu dem Punkt noch eine Frage. Seit wann geht die Republik nicht mehr unter, wenn die FDP für Mindestlöhne stimmt?

    Lindner: Wir haben schon im Koalitionsvertrag, den wir Ende 2009 mit der Union beschlossen haben, klargestellt, dass wir für branchenspezifische Mindestlöhne sind, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind, so auch jetzt hier. Erinnern Sie sich: Vor wenigen Wochen haben wir für den Pflegebereich einen Mindestlohn auf den Weg gebracht. Wogegen wir uns wenden sind flächendeckende gesetzliche Mindestlöhne, wo nicht die Tarifpartner, sondern die Politik am Ruder ist, weil das zu einem Überbietungswettbewerb führt.

    Müller: Aber darum ging es doch nicht, Herr Lindner, um die flächenmäßigen Erhöhungen. Die einzelnen Punkte, Wachgewerbe, Zeitarbeit zum Beispiel, das stand doch immer auf der Agenda bei Hartz IV.

    Lindner: Ja, aber das war doch auch schon vor 14 Tagen Gegenstand des Pakets. Das war doch bereits ein Ergebnis, mit dem wir in den Vermittlungsausschuss hereingegangen sind. Das ist keine Einigung, keine Erneuerung der Position der vergangenen Nacht, sondern das war auch zu einem früheren Zeitpunkt bereits Gegenstand des Pakets, keine Innovation der letzten Nacht.

    Müller: Dann haben wir das falsch verstanden. Das heißt, da gab es schon Konsens bei den Mindestlöhnen?

    Lindner: Ja. Bei den drei Mindestlöhnen gab es immer Konsens. Der strittige Punkt war lediglich die Frage des Equal Pay bei der Zeitarbeit. Der Punkt ist jetzt auch aus dem Paket herausgenommen worden, weil es keine Annäherung gegeben hat. Gutes Ergebnis, aber die drei Mindestlöhne Zeitarbeit, Sicherheitsgewerbe und Weiterbildung, die waren auch schon zum Zeitpunkt der Ablehnung im Bundesrat mit Teil des Verhandlungspakets, wie auch etwa Grundsicherung im Alter, die der Bund übernimmt. Das war zu einem früheren Zeitpunkt bereits Bestandteil, ja.

    Müller: Herr Lindner, reden wir über Hamburg. Wie gravierend ist das CDU-Disaster für die Koalition?

    Lindner: Das ist natürlich für die Union eine Sondersituation. Sie hat dort eine personelle Veränderung im Laufe der Periode auch durchführen müssen. Sie haben mit den Grünen einen Partner gehabt, ich habe es eben schon angedeutet, der sich im Laufe der Periode dann auch jetzt vom Acker gemacht hat. Aus machttaktischen Gründen haben die Grünen dort die Koalition verlassen, weil sie sich mehr Einfluss erhofft haben in einer anderen Konstellation. Das hat für beide Partner jetzt ganz offensichtlich nicht geklappt und Schwarz-Grün scheint mir kein belastbares Modell zu sein, denn wie zuvor in Kiel oder in Köln, wo es in einem Maßstab größerer Städte erprobt worden ist, hat es eben auch in Hamburg nicht funktioniert. Eine Lehre vielleicht für die Zukunft.

    Müller: Noch mal die Frage: Wie groß sind die Auswirkungen auf die Koalition?

    Lindner: Ich hatte ja gesagt, es handelt sich bei der Union insbesondere um ein Hamburger Spezifikum. Sie haben in Hamburg einen schwierigen Personalwechsel gehabt und hatten eine schwierige Konstellation in ihrer Partei. Das heißt, dass die Union sich halbiert, das scheint mir eine Besonderheit zu sein, daraus kann man keinen Bundestrend ableiten.

    Müller: Ist das immer so, dass diejenigen, die verlieren, bei einer Landtagswahl sagen, das hat keine Auswirkungen auf Berlin, und die, die gewinnen, sagen, na ja, jetzt sind wir insgesamt auch im Aufwärtstrend?

    Lindner: Herr Müller, wenn wir eine ehrliche Analyse machen – und das tun wir ja miteinander -, dann muss man eben unterschiedliche Aspekte mit anlegen. Bei der Union habe ich einen gerade genannt. Bei der SPD kann man auf der anderen Seite sagen, es handelt sich auch da offensichtlich um eine interessante Konstellation, weil Olaf Scholz ja mit dem genau entgegengesetzten Kurs zu dem von Sigmar Gabriel dort reüssiert hat. Gabriel führt seine Partei nach links, in Richtung auf die Linkspartei, Olaf Scholz führt die Hamburger SPD in die Mitte, gewinnt damit, Sigmar Gabriel ist ein Polemiker, Olaf Scholz ist ein nüchterner Analytiker und damit hatte Scholz Erfolg. Deshalb zeigt sich daraus für mich: diese Strategie für die SPD war erfolgreich, die Strategie der SPD im Bund ist ganz anders als die der hamburgerischen SPD.

    Müller: Demnach müsste die SPD jetzt im Bund nur in die Mitte rücken und dann wird es gefährlich?

    Lindner: Na ja, zumindest kann ich nicht erkennen, dass der Kurs von Sigmar Gabriel sich in den Umfragen beispielsweise für seine Partei positiv ausgewirkt hat. Er hat auch keine belastbare Erneuerung seiner Partei auf den Weg gebracht, wenn ich etwa an dieses sehr pessimistische Fortschrittspapier denke, das die SPD verabschiedet hat. Ich mache nur darauf aufmerksam, dass man aus dem, was die hamburgerische SPD jetzt an Erfolg hat, absolute Mehrheit, in der Dimension keine Renaissance der SPD bundesweit ableiten kann. Aber vielleicht sprechen wir über die FDP!

    Müller: Haben wir leider keine Zeit mehr zu, Herr Lindner.

    Lindner: Wie schade, Herr Müller.

    Müller: Dennoch danke schön, dass Sie für uns Zeit gefunden haben. Bei uns im Deutschlandfunk FDP-Generalsekretär Christian Lindner.

    Lindner: Danke Ihnen!

    Hartz-IV-Reform kommt in zwei Schritten - Regierung und Opposition erringen Kompromiss