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Linken-Spitzenkandidatin Demirel
Europawahlkampf mit NRW-Fokus

Die Linke ist beim Thema Europa gespalten. Ein EU-freundlicher und EU-skeptischer Flügel streiten um den richtigen Kurs. Mittendrin: Spitzenkandidatin Özlem Demirel. Für ihren Wahlkampf spielt es dabei durchaus eine Rolle, dass sie aus Nordrhein-Westfalen kommt, dass ihre Heimatstadt Düsseldorf ist.

Von Mathias von Lieben | 16.05.2019
Özlem Alev Demirel, die Spitzenkandidatin der Partei Die Linke bei der Europawahl, spricht bei der Vorstellung der Plakat-Kampagne ihrer Partei
Özlem Alev Demirel, die Spitzenkandidatin der Partei Die Linke bei der Europawahl (dpa / Paul Zinken)
Özlem Alev Demirel steigt in einen weißen Transporter. Die Spitzenkandidatin der Linken für die Europawahlen ist am Dienstagvormittag in ihrer Heimatstadt Düsseldorf in geheimer Mission unterwegs. Verstärkung bekommt sie von Linken-Parteichefin Katja Kipping, die extra aus Berlin angereist ist. Gemeinsam mit dem Team aus der NRW-Landesgeschäftsstelle der Partei steuert der Wagen in Richtung des Unternehmens Rheinmetall, einem der größten deutschen Waffenexporteure. Demirel und Kipping sitzen auf der Rückbank:
"Sie wissen ja, dass Rheinmetall Waffen in alle Welt importiert – auch in Krisenregionen. Und den wollen wir ein kleines Mahnmal setzen."
Mit dem Mahnmal warten die Komplizen von Demirel und Kipping bereits vor der Zentrale. Auf einem kleinen Lastwagen steht ein ausgebranntes Autowrack. Demirel und Kipping steigen aus und stellen sich vor ein großflächiges Plakat. Die Aufschrift: "Waffenexporte töten".
Protestaktion vor Rheinmetall
"Und Sie sehen auf diesem Bild eine Situation: Zerstörung im Jemen, die entstanden ist durch Bomben. Da ist auch ein Autowrack."
Nach einer halben Stunde kommt die Polizei, die Personalien von Kipping und Demirel werden aufgenommen, dann ist die Aktion vorbei. Das Autowrack wollen die beiden zurücklassen – auch, wenn dafür Entsorgungskosten auf sie zukommen. Alles einkalkuliert. Denn sie wissen: Die Europawahlen stehen vor der Tür, so richtig in Schwung kommen will ihr Wahlkampf nicht. Aktuelle Umfragen sehen die Linke bei sechs bis acht Prozent. Ist die Protestaktion ein Akt der Verzweiflung?
"Also auch wenn wir in Umfragen bei 50 Prozent wären, wäre ich heute früh um fünf aufgestanden, um deutlich zu machen: Hier muss man was transparent machen!"
Kurdisch-stämmig und in NRW aufgewachsen
Die Aufmerksamkeit, die sich die Linken von der Aktion erhoffen, kann Demirel gut gebrauchen. Genauso wie Martin Schirdewan, ihrem Co-Spitzenkandidaten, ist die 35-Jährige ziemlich unbekannt. Dabei hat sie schon viele Stationen hinter sich: 1989 kam sie als Tochter einer kurdisch-stämmigen Flüchtlingsfamilie aus der Türkei nach Deutschland, wurde Gründungsmitglied der Linken. Sie saß für die Partei im Kölner Stadtrat, war Fraktionsgeschäftsführerin im Düsseldorfer Landtag und 2017 Spitzenkandidatin der NRW-Linken. Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in: Düsseldorf.
"Düsseldorf ist genau so wie auch das Land Nordrhein-Westfalen oder auch die Bundesrepublik und auch Europa eine gespaltene Gesellschaft. Wir haben auf der einen Seite großes Vermögen und Superreiche, auf der anderen Seite viele Menschen, die tatsächlich von Armut betroffen sind, Hartz IV beziehen müssen, weil sie eben nicht von ihrer Arbeit leben können oder keine haben. Insofern ist die Entwicklung in Düsseldorf genauso wie die Entwicklung in Europa."
Gegen prekäre Beschäftigung in Europa
Die soziale Ungleichheit bekämpfen, Rüstungsexporte stoppen, große Konzerne zur Kasse bitten. Im Wahlprogramm setzt die Linke neben diesen Klassikern diesmal auch auf Umweltschutz. Eine Forderung: Alle Kohlekraftwerke sollen bis 2020 vom Netz. Noch im Februar, beim Europaparteitag in Bonn, wirkte die Linke gespalten in ihrem Verhältnis zur EU. Die Pro-Europäer um Parteichefin Kipping standen den EU-Skeptikern gegenüber, unter denen viele Anhänger der Parteilinken Sahra Wagenknecht sind. Wo ordnet sich da Özlem Alev Demirel ein?
"Ich mag es nicht, wenn man immer wieder versucht, uns als Partei gespalten darzustellen in verschiedenen Positionen. Nein wir kämpfen gemeinsam und geschlossen gegen Aufrüstung in Europa, gegen prekäre Beschäftigung in Europa und wir kämpfen auch gemeinsam für Menschenrechte."
Aachen, ein paar Stunden später. Ein Straßenmusiker steht neben dem Rathaus in der Sonne, die Cafés am zentralen Katschhof sind prall gefüllt. Vor dem Aachener Dom hat die Linke eine Bühne aufgebaut: ein weiterer Wahlkampf-Termin für Demirel – ein besonderer. Das Dreiländereck steht repräsentativ für Europa, Belgien und die Niederlande sind hier gleich um die Ecke. Jonas hat bereits auf einer der Bierbänke vor der Bühne Platz genommen:
Wahlkampf am Dreiländereck
"Ich selber profitiere sehr davon. Ich wohne in Aachen, ich studiere in Maastricht, ich jobbe hier im Restaurant. Ich bekomme das mit: Hier kommen jeden Tag Belgier, Niederländer über die Grenze. Ich profitiere eigentlich sehr davon und deswegen hoffe ich auch, dass die Leute merken, dass die EU etwas ist, wovon alle profitieren können."
Davon will Demirel die Aachener heute überzeugen – oder zumindest davon, die Linke zumindest zu wählen:
"Liebe AachenerInnen, ich komme gerade aus meiner Heimatstadt Düsseldorf und war gemeinsam mit Katja Kipping bei Rheinmetall."
Sie schnappt sich das Mikrofon und legt los. Auch hier in Aachen bekommen die Zuhörer erwartbare linke Inhalte geliefert – gepaart mit viel Kritik an den derzeitigen Verhältnissen der EU:
"Jeder Bäckermeister zahlt mehr Steuern als Riesen-Konzerne, die sich dumm und dämlich verdienen. Wir wollen damit endlich brechen, wir fordern eine Digitalsteuer auf europäischer Ebene und Mindestbesteuerungsregeln für Konzerne. Das wäre doch das Mindeste."
Eine gute halbe Stunde spricht Demirel zu den knapp 200 Interessierten,. Dann muss sie weiter nach Bonn – der nächste Termin im NRW-Wahlkampf. Gekommen sind die meisten heute allerdings nicht ihretwegen, sondern für Linken-Galionsfigur Sahra Wagenknecht – wie diese zwei älteren Herren, die anonym bleiben möchten:
"Ich kenne nur Wagenknecht"
"Nein, ich kenne nur Sahra Wagenknecht."
"Ja, ich wollte die mal live sehen. Die Wagenknecht ist eben das Zugpferd."
Dunkelblauer, langer Mantel, die Haare zusammengebunden. Jetzt ist Wagenknecht an der Reihe. Sie spricht über die gleichen Themen wie Spitzenkandidatin Demirel: steuerflüchtige Großkonzerne, Die Kluft zwischen Arm und Reich – und über den Aufstieg der Rechtspopulisten in Europa:
"Die EU ist nicht deshalb krank, weil in vielen Ländern auch in Deutschland anti-europäische Kräfte gewählt werden. Sondern es ist doch gerade andersherum. Weil die Freiheit des Kapitals größer geschrieben wird als soziale Rechte. Und das muss sich dringend verändern, wenn man will, dass Europa eine Zukunft hat."
Als sich danach auch Wagenknecht Richtung Bonn aufmacht, ist Student Jonas begeistert – besonders vom Auftritt der Spitzenkandidatin Özlem Alev Demirel. Dass sie und die Linke eher auf EU-Kritik – und weniger auf proeuropäische Poesie setzen. Für Jonas okay:
"Ich sehe den Kritikpunkt. Ich finde aber, dass die viele Kritik eigentlich davon zeugt, dass Frau Demirel daran interessiert ist, was zu ändern und Interesse daran hat das Projekt weiter nach vorne zu bringen."