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Linkspartei
"Biermann hat ein Schwarz-Weiß-Denken"

Wolf Biermann als Opfer der politischen Verfolgung in der DDR gestehe er die Kritik an der Linkspartei zu, sagte Richard Pitterle (Die Linke) im DLF. Biermann habe mit seiner massiven Kritik an der Linken in der Bundestags-Gedenkrede aber ein Schwarz-Weiß-Denken gezeigt, das er von den Kommunisten gelernt habe.

Richard Pitterle im Gespräch mit Christiane Kaess | 07.11.2014
    Der Liedermacher Wolf Biermann singt am 07.11.2014 während einer Gedenkveranstaltung zum 25. Jahrestag des Mauerfalls im Deutschen Bundestag in Berlin. Im Hintergrund verfolgt Richard Pitterle (3. Reihe, mitte) der Linken den Vortrag.
    Der Liedermacher Wolf Biermann singt am 07.11.2014 während einer Gedenkveranstaltung zum 25. Jahrestag des Mauerfalls im Deutschen Bundestag in Berlin. Im Hintergrund verfolgt Richard Pitterle (3. Reihe, mitte) der Linken den Vortrag. (picture-alliance / dpa/Wolfgang Kumm)
    "Wenn man Wolf Biermann einlädt, weiß man, er wird nicht nur ein Lied singen, sondern alte Rechnungen begleichen", sagte Pitterle über den Liedermacher, der von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) zu der Gedenkveranstaltung zum Mauerfall in den Bundestag eingeladen worden war.
    Linke hat SED-Programm über Bord geworfen
    Im Hinblick auf Biermanns Kritik an der Linkspartei, sie "sei weder links noch rechts", sondern "reaktionär" und "der elende Rest der SED", sagte Pitterle: Die Linke sei zwar die SED-Nachfolgepartei, habe aber das "Erbe der SED programmatisch und ideologisch über Bord geworfen. Unsere Fraktion besteht zur Mehrheit aus Menschen, die aus dem Westen kommen und nie in der SED waren." Und jene, die aus der DDR kämen, seien Reformer oder beim Mauerfall noch sehr jung gewesen.
    Auf die Frage, ob die DDR ein Unrechtsstaat war, sagte Pitterle: "Die DDR war nun mal eine Diktatur, sie war auf keinen Fall ein Rechtsstaat."
    Der 77-Jährige Wolf Biermann erhielt in der DDR ein totales Auftritts- und Publikationsverbot. 1976 wurde er während einer Auslandsreise aus der DDR ausgebürgert.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: „Du, lass Dich nicht verhärten in dieser harten Zeit. Die allzu hart sind, brechen, die allzu spitz sind, stechen und brechen ab sogleich." So sang heute Wolf Biermann in der ersten Strophe seines Liedes „Ermutigung", das er im Bundestag zur Gedenkveranstaltung zu 25 Jahren Mauerfall vorgetragen hat. Davor hatte Biermann ausgiebig auf die Abgeordneten der Linksfraktion eingeschimpft. Dabei sah er sich als den Drachentöter, der Die Linke auf der anderen Seite als den Rest der Drachenbrut sieht, der elende Rest dessen, was zum Glück überwunden wurde, so Biermann. - Richard Pitterle ist Abgeordneter der Linken im Bundestag und er ist jetzt am Telefon. Guten Tag!
    Richard Pitterle: Ja, guten Tag.
    Kaess: Herr Pitterle, Sie sind uns aufgefallen, weil Sie zwischen Petra Pau, Katja Kipping und Ihren anderen Parteikollegen, die einen nicht so glücklichen Eindruck gemacht haben während dem Auftritt von Wolf Biermann, ganz fröhlich bei Wolf Biermanns Widerstandslied mitgesungen haben. Seit wann sind Sie denn Biermann-Fan?
    Pitterle: Ich bin eigentlich seit meiner Jugend Biermann-Fan. Ich habe seine Platten gekauft und habe in der Gewerkschaftsjugend im Westen seine Lieder gesungen. Ich kenne viele Lieder auswendig und auch wenn Wolf Biermann meines Erachtens heute überzogen hat und völlig undifferenziert gegen die Linken losschlägt, bleibt es dabei, dass er sehr schöne Lieder gemacht hat, und das Lied "Ermutigung" konnte man nicht nur in der DDR singen, sondern auch mit einem anderen Background, auch im Westen Deutschlands. Wie gesagt: Der Wolf Biermann ist so wie er ist und ich denke, dass man deswegen trotzdem seine Lieder singen kann.
    Kaess: Aber, Herr Pitterle, wenn Sie sich so mit seinen Inhalten identifizieren können, warum sind Sie dann eigentlich der SED-Nachfolgepartei beigetreten?
    Pitterle: Weil die SED-Nachfolgepartei das Erbe der SED programmatisch, politisch und auch organisatorisch über den Bord geworfen hat und heute eine demokratisch-sozialistische Partei ist.
    Kaess: Das sieht Wolf Biermann offenbar nicht so, weil die Kritik heute hat sich ganz, ganz eindeutig gegen sie gerichtet.
    Pitterle: Das sieht er nicht so. Ich habe ihn noch nach der Veranstaltung darauf angesprochen und habe ihm gesagt, dass er von einem Schwarz-Weiß-Denken ausgeht, das er mal bei den Kommunisten gelernt hat, das er jetzt nur umstülpt, und damit war er natürlich auch nicht einverstanden. Aber ich denke, ...
    Kaess: Sie haben danach noch miteinander gesprochen?
    Pitterle: Ich habe nach der Veranstaltung auch noch mal mit ihm gesprochen. Ich habe ihn vor drei Wochen bei einer Veranstaltung der KfW getroffen und da hat er genauso auf Die Linke geschimpft, und ich habe ihn angesprochen, dass ich ein Abgeordneter der Linken bin und dass ich trotzdem seine Lieder mag, und habe ihn daran erinnert, dass er im Januar 1990 in Dresden an der Technischen Universität als einziges für eine sozialistische DDR gesungen hat, und da hat er mir gesagt, so links, wie er war, werde ich nie werden.
    Kaess: Herr Pitterle, es ist ja aufgefallen heute, dass offenbar Ihre Parteikollegen diese Schimpftiraden nicht so gelassen über sich ergehen haben lassen wie Sie, der dann auch noch so großzügig war, dieses Lied mitzusingen. Haben Sie denn mit Ihren Parteikollegen schon darüber diskutiert?
    Pitterle: Nein, noch nicht. Ich bin dann nach der Veranstaltung gleich in mein Büro gegangen, weil ich ja einige Terminsachen zu erledigen hatte.
    Kaess: Aber die haben sich offenbar durchaus angegriffen gefühlt.
    Pitterle: Ja. Kann man ja auch verstehen, weil ich meine, unsere Fraktion besteht zur Mehrheit aus Menschen, die nie in der SED Mitglied waren, die aus dem Westen kommen, die dort ihre Sozialisation erfahren haben, und diejenigen, die aus dem Osten kommen, sind überzeugte Reformer oder waren teilweise bei Ende der DDR elf Jahre alt, haben also mit dem Drachen, den Wolf Biermann bekämpfen will, relativ wenig zu tun.
    "Ich wusste, dass er Fraktions-Chef Gysi auf dem Kieker hat"
    Kaess: Warum sind Sie denn eigentlich davor gegen den Auftritt von Biermann gewesen?
    Pitterle: Ich denke nicht, dass es die Gesamtfraktion ist, aber es gibt vielleicht einzelne Kolleginnen und Kollegen, die geahnt haben, dass Wolf Biermann - das muss man ja wissen: Wenn man ihn einlädt, wird er nicht nur ein Lied singen, sondern wird versuchen, seine alten Rechnungen zu begleichen. Und dass sich das niemand jetzt freiwillig antun will, dafür muss man auch Verständnis haben.
    Kaess: Und er hat sie sogar benannt. Er hat gesagt, ihr seid jetzt dazu verurteilt, das hier zu ertragen. Ich gönne es euch! - Wie schwer war es denn zu ertragen?
    Pitterle: Für mich war es nicht schwer, weil das Lied, das ich so oft gesungen habe, das hat mir das leichter gemacht.
    Kaess: Es hat ja auch Attacken auf Linken-Fraktionschef Gysi gegeben, für die Biermann dann großen Applaus bekommen hat von vielen Abgeordneten. Wie bedrückend war das für Sie?
    Pitterle: Ich wusste das aus der Vorveranstaltung bei der KfW, dass er meinen Fraktionsvorsitzenden auf dem Kieker hat. Und ja gut, ich kann nur sagen: Jemand, der tatsächlich Opfer der politischen Verfolgung in der DDR war, dem gestehe ich das zu, dass er anders reden kann, als wenn das jemand von der CSU ist, der so eine Kritik dann instrumentalisiert.
    Kaess: Aber die CSU darf dann Beifall spenden?
    Pitterle: Ja. Sie macht das ja gerne, wobei ich wie gesagt bei vielen gar nicht wissen will, wie sie sich verhalten hätten, wenn sie durch die Geschichte in den anderen Teil Deutschlands geraten wären, wo eine andere Besatzungsmacht die politischen Dinge diktiert hat. Wir haben ja das Glück gehabt, dass wir in den westlichen Besatzungszonen waren, wo die Entwicklung anders war. Wie gesagt: Deswegen sehe ich das sehr differenziert. Ich meine, wenn jemand vor der Verfolgung der DDR-Justiz gewesen ist, hat er das Recht, das anders zu sehen, auch Die Linke anders zu sehen.
    "Die DDR war nun mal eine Diktatur"
    Kaess: Herr Pitterle, noch kurz zum Schluss. Gysi ist ja dennoch bei seiner Haltung geblieben, die DDR nicht pauschal als Unrechtsstaat zu bezeichnen. Wäre das heute eigentlich nicht die Gelegenheit gewesen, das zu revidieren?
    Pitterle: Wissen Sie, es war Herr Schorlemmer, der gesagt hat, es wird immer abverlangt, dass man einen Gesslerhut grüßt. Ich habe selber damit keine Probleme, aber ich sehe, dass viele meiner Kolleginnen und Kollegen, die in der DDR immer einen Gesslerhut grüßen mussten, nicht bereit sind, sich jetzt wieder vor irgendetwas zu bücken. Ich habe damit keine Probleme. Ich war auch 1992, glaube ich, mit einer Schülergruppe in Torgau und da ging es genau um das Thema, war die DDR ein Unrechtsstaat, und da habe ich das moderiert und das war sehr schwierig für die PDS in Torgau, das so zu schlucken, wie das die Schüler, die eine vergleichende Arbeit gemacht haben über Sindelfingen nach '45 und über Torgau nach 1989, vorgetragen haben. Aber die Diskussion, denke ich mir, muss auch mit bestimmtem historischen Abstand geführt werden. Die DDR war nun mal eine Diktatur ...
    Kaess: Und ein Unrechtsstaat?
    Pitterle: Wenn sie das so wollen. Die Frage ist doch, wie das dann definiert wird. Bei der Definition sagen mir dann Leute, es gab ja viele Rechtsbeziehungen, die funktioniert haben. Man konnte sich scheiden lassen, man konnte Erbschaftsverträge abschließen und so weiter. Aber dann gab es diesen Bereich der politischen Justiz, die verbrecherisch war und die man deutlich verurteilen muss, und es war so, dass die DDR auf keinen Fall ein Rechtsstaat war, weil es dort keine freien Wahlen gab, weil es dort keine Gewaltenteilung gab und weil es auch politische Willkür gegeben hat. Wenn Sie das, was ich jetzt aufgezählt habe, als Unrechtsstaat sehen, dann war sie Unrechtsstaat. Wenn Sie das anders definieren, dann müsste ich mir überlegen, ob ich zustimme.
    Kaess: Sagt Richard Pitterle. Er ist Abgeordnete der Linken im Bundestag. Danke für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.